Die Anlaufstelle der Fremdenpolizei in Innsbruck. Erstgespräche finden von acht bis 16 Uhr statt. Campieren auf dem Areal ist verboten.

Foto: Steffen Arora

Innsbruck/Wien – Die am Mittwoch vom STANDARD aufgezeigte Praxis, Asylsuchende, die im Burgenland aufgegriffen wurden, für ihr sogenanntes Erstgespräch unbetreut hunderte Kilometer quer durch Österreich zu schicken, um sie danach wieder zurückfahren zu lassen, stößt auf Kritik bei Parteien und NGOs.

Nationalratsabgeordnete Stephanie Krisper von den Neos kündigte eine parlamentarische Anfrage dazu an und übte in einem Statement harsche Kritik am Innenministerium (BMI): "Die ÖVP-Innenminister versagen, genauso wie ihre Kollegen in den Ländern, sogar bei der simplen Aufgabe der Unterbringung – die Erstaufnahmezentren sind überbelegt, weil gerade die ÖVP-Bundesländer nicht wie versprochen Asylwerber:innen übernehmen." Krisper hat kein Verständnis dafür, "wenn im Jahre 2022 in Österreich oder sonst wo in der EU jemand auf der Straße schlafen muss".

Kritik aus Politik und Zivilgesellschaft

Dies zeuge von einem "Managementproblem in Bund und Land", sagte die Neos-Mandatarin. Dafür sei direkt die ÖVP verantwortlich, die schon seit vielen Jahren die entscheidenden Posten im Innen- und Außenministerium besetze, so Krisper weiter: "Anstatt sich in Brüssel für eine faire Verteilung von Geflüchteten in Europa und effiziente Verfahren in allen Mitgliedsstaaten einzusetzen, spielt sie das populistische Spiel. Sie führt uns schon lange auf die Seite der destruktiven Nationalisten – obwohl gerade Österreich von einer fairen Verteilung profitieren würde!" Sie forderte von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP), "ein Machtwort" zu sprechen, denn es gebe genug freistehende Unterkünfte für Asylsuchende in den Ländern.

In dieselbe Kerbe schlug Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination: "Es ist eine veritable Managementkrise auf dem Rücken von Schutzsuchenden und der lokalen Bevölkerung. Wir appellieren eindringlich und bieten uns auch als Vermittler zwischen Bund und Länder an, um das extrem teure Bund-Länder-Pingpong in der Unmenschlichkeitsvariante zu beenden. Es ist ein klares Nichtwollen und nicht ein Nichtkönnen. Das ist vollkommen inakzeptabel." Die Zivilgesellschaft habe schon viel geleistet, und seitens der Asylkoordination suche man auch weiterhin das Gespräch, so Gahleitner-Gertz: "Es muss aber endlich auch taugliche Maßnahmen wie Unterstützung von organisierten und privaten Quartiergeber:innen getroffen werden."

Unbetreute und obdachlose Flüchtlinge

Wie berichtet gibt es in Tirol Probleme nahe der Anlaufstelle der Fremdenpolizei am Innsbrucker Stadtrand, zu der die im Osten aufgegriffenen Flüchtlinge geschickt werden. Denn es gibt dort keinerlei Infrastruktur für sie. Einige übernachteten mangels Unterkunft im Freien, wärmten sich an Lagerfeuern und bettelten bei Anrainern um Essen und warme Kleidung. Und viele jener, die quer durchs Land geschickt wurden, nutzen diese Gelegenheit, um weiterzureisen und Österreich wieder zu verlassen, wie ein Vergleich der Zahlen aufgegriffener und letztlich in die Grundversorgung übernommener Menschen zeigt.

Harald Sörös, Sprecher des Innenministeriums, erklärte dazu, dass es sich um ein "Extrembeispiel" im Zuge einer seit Juli 2021 existierenden "Überlaufregelung", die besonders das Burgenland in Sachen Asylanträge entlasten soll, handle, indem die Erstbefragung in anderen Bundesländern stattfindet. Ihr zufolge übernimmt die Fremdenpolizei in anderen Bundesländern die Erstbefragung von Flüchtlingen, die nach ihrem Grenzübertritt im Burgenland – oder Niederösterreich – von der Fremdenpolizei aufgegriffen wurden. Danach werden sie einem Bundesquartier zugewiesen. In den beiden östlichsten Bundesländern werden derzeit mit Abstand am meisten Asylanträge gestellt, deren es allein von Jänner bis Ende Juli in ganz Österreich rund 42.000 gab.

Änderung des Prozederes seit August

Die Erstbefragung ist ein rechtlich besonders sensibler Moment im Asylverfahren, die dort gesammelten Informationen bestimmten dessen Fortgang. Sie soll nach dem Asylantrag, der meist gleich nach der Einreise gestellt wird, innerhalb von 48 Stunden stattfinden; so lange darf eine asylsuchende Person auch angehalten werden. Bis August wurden Asylantragsteller angehalten, um im Rahmen der Überlaufregelung innerhalb von 48 Stunden gen Westen gebracht und ersteinvernommen – und anschließend in ein Bundesquartier gebracht – zu werden. Die Transporte fanden in Innenministeriums- oder Bundesheerbussen statt. Nach Tirol verschlug es auf diese Art und Weise von Jänner bis Ende Juli genau 89 Asylsuchende.

Anfang August änderte die Polizei das Prozedere, Bundespolizeidirektor und Ex-Flüchtlingskoordinator Michael Takacs setzte einen neuen Erlass in Kraft. Statt die Asylantragsteller für 48 Stunden anzuhalten, wird ihnen seitdem nach der noch im Osten durchgeführten Identitäts- und Eurodac-Überprüfung auf Innenministeriumskosten ein Bahnticket in ein anderes Bundesland ausgestellt, wo die Fremdenpolizei die Erstbefragung durchführt – und ihnen gegebenenfalls ein weiteres Ticket in ein Bundesquartier gewährt.

Unklare Zuständigkeiten

Unklar bei alldem sei, wer während der outgesourcten Erstbefragung für Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge zuständig ist, erklärt Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination. Die für die Unterbringung im Asylverfahren zuständige Bundesagentur (BBU) trete erst nach dem offiziellen Einbringen des Asylantrags, also nach der Befragung, in die Verantwortung. Das Land Tirol sei nur für Quartiere von Flüchtlingen im laufenden Asylverfahren zuständig. Hinzu komme, dass sich in den vergangenen Jahren ein eklatanter Mangel an Asyl-Landesquartieren aufgebaut habe, was wiederum die BBU in den Bundesquartieren an den Rand der Überlastung bringe. "Seit 2019 haben die Länder rund 5.000 Wohnplätze abgebaut. Von den in Bundesquartieren Untergebrachten sollten 70 Prozent schon in Länderbetreuung sein", sagt Gahleitner-Gertz.

In Innsbruck versucht die Gemeinderatsfraktion Alternative Liste (Ali) zumindest kurzfristig zu helfen. Deren Gemeinderat Mesut Onay hatte die Missstände vor Ort an die Öffentlichkeit gebracht hatte, nachdem ihn eine Anrainerin kontaktiert hat. Nun lässt Ali mehrsprachige Flyer mit Informationen zur Innsbrucker Notschlafstelle drucken. Freiwillige und einige betroffene Anrainer werden diese Informationen an die Flüchtlinge verteilen. So können sie eine Unterkunft für die Nacht, Sanitäranlagen und etwas zu essen erhalten. Onay appelliert zugleich an die Politik, zu handeln: "Wir können als Innsbrucker Gemeinderatsfraktion nicht mehr ausrichten, hier sind Land und Bund gefragt." (Steffen Arora, Irene Brickner, Laurin Lorenz, 15.9.2022)