In der öffentlichen Klimadebatte werden oft Staaten gegeneinander ausgespielt, das Thema der sozialen Ungleichheit kommt viel zu kurz.

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Viel zu langsam bewegt sich die Weltwirtschaft in Richtung der Klimaneutralität. Große Hoffnungen werden in technologische Lösungen gesetzt, sei es grüner Wasserstoff oder effiziente Stromspeicher. Die Ökologie soll sich damit in bestehende ökonomische Rahmenbedingungen fügen, ohne die Art des Wirtschaftens grundlegend zu verändern. Instrumente wie CO2-Steuer, Emissionshandel oder grüne Veranlagungen, die die Wirtschaftssysteme strukturell anpassen, sind erst zarte Pflänzchen, die nur sparsam kultiviert werden. Dabei ist die grüne Transformation in aller Munde. Greenwashing ist eine Art gesellschaftliche Grundstimmung geworden.

Noch dazu bleibt der Klimawandel nicht die einzige Krise. Pandemie und Ukraine-Krieg führen zu wirtschaftlichen Verwerfungen, die den Status quo, den gewohnten Wohlstand, ebenfalls gefährden. Drohen diese Probleme die ohnehin überschaubaren grünen Ansätze im Keim zu ersticken? Oder ist das Gegenteil der Fall: Können diese unmittelbaren Krisenfälle als eine Art Katalysator dienen, der zu einer schnelleren Veränderung führt und das ökonomische Gefüge besser auf den Klimawandel vorbereitet?

Krise als Chance

Johannes Jäger von der Fachhochschule des BFI Wien, der sich unter anderem mit internationaler politischer Ökonomie und Entwicklung beschäftigt, tendiert eher zur zweiten Sichtweise: "Auch wenn es im Moment schlecht aussieht, können die aktuellen Krisenfälle langfristig betrachtet auch zu positiven Effekten im Umgang mit dem Klimawandel führen", sagt der FH-Fachbereichsleiter für Volkswirtschaftslehre. "Man kann die aktuelle Situation auch als Chance verstehen, um zu lernen, wie man mit der ungleich größeren Krise der Klimaerwärmung umgeht."

Praktische Anzeichen für diesen Lerneffekt sind bereits gegeben. "Wir sehen neue Formen von staatlichen Interventionen auf allen Ebenen, die helfen sollen, die Folgen der Corona- und der Energiekrise abzufedern", erklärt Jäger. "In Hinblick auf die ausbleibenden Gaslieferungen aus Russland stehen sogar Rationierungen im Raum." Plötzlich ist ein starker Staat gefragt, der in der Krisenzeit moderierend eingreift. Und genau diesen starken Staat wird es auch brauchen, um wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu setzen.

Planwirtschaftsanleihen

"Um die Energiekrise zu managen, werden planwirtschaftliche Elemente aus der Mottenkiste geholt", sagt Jäger. "Aus den Erfahrungen, die jetzt im Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft gemacht werden, können Lehren gezogen werden, wie man die ökologische Transformation schaffen kann." Die derzeitige Energiekrise könnte sich als Experimentierfeld für die Klimakrise erweisen.

Klimaschutz brauche ein generelles Umdenken, fordern viele politisch Interessierte auf den Straßen.
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Dass durch freiwillige Nachhaltigkeitsbemühungen von Unternehmen keine grüne Wende zu schaffen sei, lässt sich für Jäger auch am aus seiner Sicht überschaubaren Erfolg der Green-Finance-Bewegung ablesen. Der Wissenschafter hat etwa im Auftrag der Arbeiterkammer eine Studie zu diesen Investitionsformen erarbeitet, die im Journal für Entwicklungspolitik erschienen ist. Ein Ergebnis war, dass damit den Unternehmen letztlich kein Anreiz gegeben wird, ihr Handeln grundsätzlich zu verändern.

Gewinn erzielen vs. Umwelt retten

"Die Aufgabe des Finanzsektors ist, Gewinn zu machen, nicht, die Umwelt zu retten", betont Jäger. "Marktprozesse allein werden, wenn man ihnen keine strengen Regeln auferlegt, nicht für Nachhaltigkeit sorgen. Und die Regeln können nur vom Staat kommen."

Viele aktuelle staatliche Interventionen in Europa zielen auf eine Sicherstellung der Grundversorgung im Bereich von Energie oder Mobilität ab. Auch Österreichs "Strompreisbremse" ist ein Instrument dieser Art. Für Jäger berühren die Maßnahmen ein Problem, das bei einer sozialökologischen Transformation oft übersehen wird – die starke ökonomische Ungleichheit zwischen den Menschen.

"Die oberen ein Prozent der CO2-Emittenten sind für 17 Prozent des globalen Ausstoßes verantwortlich, die unteren 50 Prozent insgesamt nur für zwölf Prozent", veranschaulicht der Wissenschafter. Gleichzeitig werden aber oft Länder im Wettstreit um niedrigere Emissionen gegeneinander ausgespielt. Man verweist auf China, die USA oder den globalen Süden.

Ungleiche Machtverhältnisse

"Die Dimension der gesellschaftlichen Ungleichheit – auch innerhalb von Staaten – wird in öffentlichen Diskussionen kaum berücksichtigt. Das ist auch ein Ausdruck von bestehenden gesellschaftlichen Machtverhältnissen", sagt Jäger. "Dabei kann der ökologische Aspekt nicht vom sozialen getrennt werden. Die Transformation kann nur gelingen, wenn sie die Ressourcen gerechter verteilt." Wenn man die Klimakrise in den Griff bekommen und einen guten LebensStandard für alle erhalten will, muss die Ungleichheit wesentlich geringer werden. (Alois Pumhösel, 19.9.2022)