Foto: Vienna Textile Lab

Pestizidgetränkte Baumwollfelder, Fabriken in Billigländern mit niedrigen Umwelt- und Sozialstandards, emissionsintensive Herstellungsverfahren mit hohem Verbrauch an Wasser, fossilen Rohstoffen und schwer abbaubaren Chemikalien: Die Textilindustrie hat viel Arbeit vor sich, will sie ihre Ökologisierung ernsthaft betreiben. Kreislaufwirtschaft, grüne Chemie und ein Zurückholen der Produktionen nach Europa, wo sie mittels Hightech-Einsatzes umweltfreundlicher werden sollen, stecken noch in den Anfängen.

Blaue Jeans meist synthetisch gefärbt

Ein Element auf dem von vielen Prozessschritten geprägten Weg zu T-Shirt, Kleid und Sakko ist die Färbung der Textilfasern. Herkömmliche Fertigungstechniken basieren großteils auf fossilen, zum Teil aber auch auf pflanzlichen Grundstoffen. Beispielsweise stammen die Indigo-Pigmente, die traditionellerweise Jeans blau färben, von der gleichnamigen Pflanze, werden heute aber meist synthetisch hergestellt.

Daneben etabliert sich aber gerade eine dritte Schiene, die auf der Nutzung von Mikroorganismen basiert. Bestimmte Stoffwechselprodukte der Kleinstlebewesen sind gleichzeitig Farbstoffe, zum Teil sogar ident zu jenen, die aus Pflanzen gewonnen werden. Das 2016 gegründete Wiener Start-up Vienna Textile Lab (VTL) ist eines der Unternehmen, die eine Technologieplattform für Farben aus Mikroorganismen entwickeln. 2025 sollen die ersten Produkte am Markt sein.

Im Labor lassen sich mithilfe der Mikroorganismen diverse Farben
Foto: Julia Kaleta

"Wir sehen, dass die Textilindustrie ein starkes Interesse an den neuen Färbemitteln hat. In der EU werden Ansätze gesucht, die die Wirtschaft unabhängiger von globalen Lieferketten machen – dazu haben auch die Corona-Krise und der Krieg in der Ukraine beigetragen", erklärt Unternehmensgründerin Karin Fleck. "Der mikrobielle Ansatz birgt die Chance, den Färbeprozess wesentlich ressourcensparender und umweltfreundlicher zu machen. Der erforderliche Bioreaktor kann überall stehen, ohne dass sich die Produktionskosten wesentlich verändern – auch in einem EU-Land."

Von TU Wien zum eigenen Start-up

Fleck hat selbst technische Chemie an der TU Wien studiert, gefolgt von einem Doktorat an der RMIT University in Melbourne, Australien. Ihre erste Karriere führte sie in die Energiewirtschaft, eigentlich wollte sie in diesem Bereich auch ihr eigenes Unternehmen gründen. Doch es kam anders: Im Textile Lab Amsterdam, einer Art offenem Labor, das in Workshops eine breite Palette an Textiltechnologien zugänglich macht, lernte Fleck die mikrobiellen Färbemittel kennen.

Aus dem Interesse für das ökologische Produktionsverfahren wurde eine Unternehmensidee: "Das VTL gehört nun zu einer ersten Welle an Start-ups, die sich der bakteriellen Färbung von Textilien widmen", sagt Fleck. Die Mikroorganismen, die in dem Start-up verwendet werden, stammen aus dem Boden, dem Meer oder anderen aquatischen Umgebungen.

"Bacteriograph" liefert zu

Allerdings müssen Fleck und ihr Team nicht selbst auf die Suche gehen. Hauptlieferant für die Farbproduzenten ist Erich Schopf. Als "Bacteriograph" sammelt der Wiener bereits seit Jahrzehnten Mikroorganismen. Sie werden etwa für künstlerische Zwecke – für das Malen von Bildern – genutzt. "Für uns ist die wohl weltweit einzigartige Sammlung des Bacteriographen ein absoluter Glücksfall", betont Fleck.

Die Produktion von farbigen Textilien ist ökologisch meist wenig nachhaltig. Der Einsatz von Mikroorganismen könnte dies zum Guten verändern. Mit ihnen ist eine ganze Palette an Textilfarben herstellbar, wie ein Wiener Start-up beweist.
Foto: Vienna Textile Lab

Vom Start-up werden die Bakterienstämme gleich auf verschiedene Textilfasern losgelassen, um die Färbewirkung zu prüfen und Affinitäten für bestimmte Fasern erkennen zu können. Vielversprechende Kandidaten werden genetisch identifiziert. Die Anforderungen sind groß: "Farben sind heute perfekt auf die Fasern abgestimmt. Zudem müssen sie auch gemeinsam mit einer Vielzahl an Verbesserungsmitteln und Additiven funktionieren, die etwa für Knitterschutz oder höhere Haltbarkeit sorgen", sagt Fleck.

Mikroorganismen mit hohem Potenzial werden eingehend beforscht. Wie kann der Stamm optimal kultiviert werden? Wie kann man die Farbproduktion maximieren? Und wie soll das Endprodukt schlussendlich chemisch formuliert werden? Viele Fragen dieser Art müssen beantwortet werden. Auch wenn künftig genetisch veränderte Mikroben einen maximierten Farboutput liefern, werde es vom VTL auch immer ein Angebot für Kunden geben, die auf diese Form von Gentechnik verzichten wollen, versichert Fleck. Unterstützt wird die Forschung des Start-ups unter anderem vom Austria Wirtschaftsservice (AWS) und von der Förderagentur FFG.

Große Nachfrage aus Textilindustrie

"Am Ende sollen Produkte stehen, die in vielen verschiedenen Bereichen der künftigen Textilproduktion einsetzbar sind", resümiert Fleck. Mit Betonung auf "künftig": "Die genutzten Technologien verändern sich gerade stark. Beispielsweise werden neue, besonders wassersparende Verfahren für einen effizienteren Färbeprozess entwickelt", erklärt die Gründerin. Auf diese Zukunft gilt es vorbereitet zu sein.

Diverse Blautöne lassen sich mit den winzigen Helferlein realisieren.
Foto: Vienna Textile Lab

Über einen Mangel an Interesse in der Textilindustrie kann sich Fleck nicht beschweren. "Obwohl wir noch kein zertifiziertes Produkt haben, unterstützt uns die Branche jetzt schon sehr. Es gibt mehr Projekte, als wir abarbeiten können", erklärt die Gründerin. "Es ist ein spannender Austausch, der – auch im Vergleich zu meinem früheren Metier der Energiewirtschaft – sehr weiblich geprägt ist. Manchmal sitzen zehn Technikerinnen am Konferenztisch."

Kleidung für den Weltraum

Die Nutzung von Mikroorganismen als Produktionssystem bleibt im VTL nicht auf Textilfarben beschränkt. Einen Vorgeschmack geben Projekte, die das Start-up mit der Raumfahrtagentur ESA, zu der auch Österreichs Klimaschutzministerium jährlich finanzielle Beiträge leistet, und dem Österreichischen Weltraumforum (ÖWF) umgesetzt hat. Dabei standen funktionale Substanzen im Vordergrund, die etwa antivirale oder antimikrobielle Wirkung haben – immerhin gibt es keine Waschmaschine für Astronautenkleidung. Wäsche wird lange getragen, dann entsorgt.

"Es ging etwa um die innerste Lage der Weltraumanzüge. Die Textilien sollen eine antimikrobielle Funktion bekommen, um weniger schnell zu verschmutzen", sagt Fleck. Durch die biotechnologische Forschung sollen Herausforderungen der fortgeschrittenen Raumfahrt gemeistert werden. "Es geht darum, wie im Weltall oder auf anderen Himmelskörpern Materialien herstellbar sind, die auf der Erde mittels Petrochemie entstehen. Denn auf dem Mars gibt es kein Rohöl." (Alois Pumhösel, 17.9.2022)