Die Generalprokuratur am Obersten Gerichtshof (hier Iustitia) soll zur Generalstaatsanwaltschaft mit zwei Abteilungen ausgebaut werden.

Foto: Christian Fischer

Ein Thema dürfte auch das derzeit stattfindende 31. Forum der Österreichischen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte in Kössen in Tirol sehr interessieren und beschäftigen: die Struktur der geplanten Generalstaatsanwaltschaft, mit deren Einrichtung das Weisungsrecht der Justizministerin abgeschafft werden soll. Jene Arbeitsgruppe, die sich "mit der Schaffung einer unabhängigen und weisungsfreien Bundesstaatsanwaltschaft" beschäftigt hat und aus 26 Experten besteht, hat jüngst ihren Endbericht beschlossen. Derzeit haben ja die Justizministerin oder der Justizminister – also Politiker – ein Weisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften, zudem ist der Weisungsrat eingebunden, etwa in "clamorosen" Fällen, an denen großes öffentliches Interesse besteht. Er gibt Empfehlungen ab, an die sich die Ministerin oder der Minister aber nicht halten müssen.

In ihrem 44 Seiten umfassenden Endbericht, der dem STANDARD vorliegt, erteilt die Arbeitsgruppe Empfehlungen, wie dieses seit langem kritisierte System geändert werden soll – wobei auch die abweichenden Meinungen (dissenting opinion) ausgewiesen werden. Die ÖVP hatte sich lang gegen eine unabhängige Bundes- oder Generalstaatsanwaltschaft gesträubt, ihre Meinung angesichts der jüngsten Verwerfungen in der Justiz aber geändert.

Knackpunkt Kontrolle

Wie berichtet soll die neue, unabhängige Weisungsspitze gemäß internationaler Vorbilder "Generalstaatsanwaltschaft" heißen, ihre Leiterin bzw. ihr Leiter Generalstaatsanwältin bzw. Generalstaatsanwalt, dafür haben sich bis auf vier alle Mitglieder der Arbeitsgruppe ausgesprochen. Eine der Kernfragen in dem Zusammenhang ist jene nach der parlamentarischen Kontrolle – und die wollen die Experten so gelöst sehen: Im Bereich der Justizverwaltungsangelegenheiten soll die parlamentarische Kontrolle uneingeschränkt weiterbestehen, laufende Ermittlungsverfahren sollen aber grundsätzlich von parlamentarischer Kontrolle ausgenommen sein, um auch nur den "Anschein von politischer Einflussnahme" auszuschließen.

Ermittlungsverfahren sollen nur der Kontrolle durch die Gerichte unterliegen. Erst nach ihrem rechtskräftigen Abschluss (durch Anklage oder Einstellung, Anm.) sollen sie Gegenstand parlamentarischer Anfragen sein dürfen. Der Idee, einen ständigen Untersuchungsausschuss im Parlament für die Untersuchung der Tätigkeit der Staatsanwaltschaften einzurichten, hat die überwiegende Mehrheit der Experten eine Abfuhr erteilt.

Justizministerin Alma Zadić hat sich die Reform der Staatsanwaltschaften vorgenommen – eine unabhängige Generalstaatsanwaltschaft soll implementiert werden.
Foto: www.conr.at/Heribert Corn

Personalsenate ohne Ministerium

Und wie sollen die Generalstaatsanwältin oder der Generalstaatsanwalt und ihre Vertretung bestellt und abberufen werden? So wie bisher schon Richterinnen und Richter. Demnach sollen Personalsenate Besetzungsvorschläge erstellen (bisher machen das Personalkommissionen), in die keine Leute aus dem Ministerium entsendet werden, bei denen wiederum der Anschein der politischen Einflussnahme entstehen könnte. Geht es nach der Arbeitsgruppe, soll dieser Bestellungsmodus künftig für alle Staatsanwaltschaften angewendet werden.

Der Personalsenat soll aus neun Mitgliedern bestehen, was ein Dirimierungsrecht der oder des Senatsvorsitzenden obsolet macht. Vorsitz führen sollen die dienstältesten Leitenden Oberstaatsanwältinnen oder die Präsidentin oder der Präsident des Obersten Gerichtshofs (OGH). Mindestens drei Leute sollen dann auf dem Besetzungsvorschlag stehen, Ministerin oder Minister daran aber nicht gebunden sein. Sollte sie oder er dem Vorschlag des Personalsenats nicht folgen wollen, müssen die Gründe dafür dargelegt werden, der Personalsenat kann dazu schriftliche Stellung nehmen.

Voraussetzung Richterqualifikation

In der Folge geht der Ernennungsvorschlag (samt genannten "Erwägungen" zum Abgehen vom Vorschlag) zum Bundespräsidenten – der die vorgeschlagene Person ernennt oder auch nicht. Bestellt werden dürften Leute, die die Ernennungsvoraussetzungen für das Richteramt haben. Bedenken gegen diese Lösung äußerte nur Strafrechtsprofessor Peter Lewisch, er plädierte dafür, auch Nichtjuristen für den Generalstaatsanwalt-Job zuzulassen.

Die Amtszeit soll unbefristet sein und mit dem 65. Lebensjahr der Amtsinhaberin oder des Amtsinhabers enden, so die Empfehlung der Arbeitsgruppe – auch das ist angelehnt an hohe Posten in der Justiz wie etwa im OGH oder an den Oberlandesgerichten. Lewisch hat sich für eine befristete Amtszeit ausgesprochen.

Die WKStA könnte im Rahmen der Justizreform zu einer Oberstaatsanwaltschaft aufgewertet werden.
Foto: imago images/CHROMORANGE

Unabhängige Weisungssenate

Und wie soll die Generalstaatsanwaltschaft organisiert werden? Wie berichtet soll die beim OGH angesiedelte Generalprokuratur – sie ist höchste staatsanwaltschaftliche Instanz und als "Wahrerin des Rechts" für Nichtigkeitsbeschwerden zur Wahrung des Gesetzes zuständig – zur Generalstaatsanwaltschaft ausgebaut und in zwei Abteilungen unterteilt werden: eine für die bisherigen Aufgaben der Generalprokuratur sowie eine für die Fachaufsicht in Einzelstrafsachen, was die Funktion als oberste Weisungsspitze über Staatsanwaltschaften und Oberstaatsanwaltschaften inkludiert.

Mit diesen Weisungsangelegenheiten soll die Generalstaatsanwältin oder der Generalstaatsanwalt aber nichts zu tun haben: Zuständig dafür sollen (je nach Arbeitsanfall) "ein bis zwei" unabhängige Dreiersenate sein, bestehend aus Generalanwältinnen und Generalanwälten. Diese Lösung dient laut Endbericht der "maximalen Unabhängigkeit" und erhöhe die Plausibilität von Entscheidungen. Alle anderen Aufgaben, die heute die Generalprokuratur erledigt, sollen unter Leitung des Generalstaatsanwalts erfolgen, also etwa die Mitwirkung an Strafverfahren des OGH, an Disziplinarverfahren oder Begutachtung von Gesetzesentwürfen. Der Weisungsrat soll abgeschafft werden.

Umstrittene Lösung

Bei diesem Thema tat sich offenbar sehr viel Diskussionsbedarf auf, jedenfalls sind im Abschlussbericht einige "dissenting opinions" vermerkt. So sprach sich die Österreichische Rechtsanwaltskammer für ein Kollegialorgan an der Spitze der Generalstaatsanwaltschaft und Uniprofessor Lewisch für eine Doppelspitze aus.

Und die Leiterin der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA), Ilse-Maria Vrabl-Sanda, trat dafür ein, dass in den Weisungssenaten die Leiterinnen bzw. Leiter der vier Oberstaatsanwaltschaften und der WKStA gemeinsam entscheiden sollten. Sie fand dafür aber so gut wie keine Unterstützer. Lewisch ist grundsätzlich dagegen, die Generalprokuratur zur Generalstaatsanwaltschaft auszuweiten.

Reduktion der Berichtspflichten

Breiten Raum nahm in der Arbeitsgruppe auch die künftige Regelung der Berichtspflichten der Staatsanwaltschaften ein, deren weitere Reduktion laut Arbeitsgruppe "anzustreben" ist. Aus ihrem Bericht geht hervor, wie viele Berichte in der Strafjustiz produziert werden. Linzer und Innsbrucker Oberstaatsanwaltschaften (OStA) legten zwischen 2014 und 2021 jährlich meist weniger als 90 Vorhabensberichte (über die geplante Einstellung oder Anklageerhebung in Ermittlungsverfahren, Anm.) ans Justizministerium vor, die Grazer OStA fast immer unter 150 Vorhabensberichte.

Bei der für die große Staatsanwaltschaft Wien und die WKStA zuständige OStA Wien waren es dagegen fast immer rund 400 Berichte im Jahr, 2015 sogar 545. Allein im Vorjahr wurden 569 Berichte ans Ministerium erstattet – Vorhabensberichte nicht eingeschlossen. Beim Weisungsrat landeten im Vorjahr 173 Fälle. Zahlen, mit denen die Arbeitsgruppe ihre Einschätzung begründet, dass es die genannten ein bis zwei Senate für Weisungsangelegenheiten brauchen werde.

Soll WKStA Oberstaatsanwaltschaft werden?

Und: Die Berichte, in denen die Staatsanwältinnen ihre vorgesetzte Behörde, die Oberstaatsanwaltschaft, und diese das Justizministerium von wichtigen Verfahrensschritten informieren, sollen immer auch an die Generalstaatsanwaltschaft gehen. Dazu ist WKStA-Leiterin Vrabl-Sanda, wie der Beirat von Justizministerin Alma Zadić, anderer Ansicht. Sie plädierte dafür, dass die Berichtspflicht, abgesehen von bestimmten Ausnahmefällen, bei der Oberstaatsanwaltschaft enden solle. Die Arbeitsgruppe hält es übrigens "auf Vorschlag der WKStA-Leiterin" für zweckmäßig, zu diskutieren, ob man die WKStA nicht zu einer Oberstaatsanwaltschaft ausbauen sollte.

Elf Sitzungen hat die Arbeitsgruppe nach ihrer Konstituierung im Mai 2021 abgehalten und zwei Zwischenberichte erstellt – nun, nach Vorlage ihres Endberichts ist die Politik am Zug. Eines der Themen, das da mit Garantie noch für viel Diskussionsstoff sorgen wird: die Frage der parlamentarischen Kontrolle der Generalstaatsanwaltschaft. (Renate Graber, 15.9.2022)