"Aber mir kommt es schon vor, dass einige es nicht ganz schaffen, ihre wahre Gesinnung zu verbergen." ORF-Politikchef Bürger sprach bei einer Veranstaltung recht offen über Kollegen.

Foto: Christian Fischer

Bregenz – ORF-Innenpolitikchef Hans Bürger weiß, dass er gern "offen, zu offen" bei Diskussionsveranstaltungen spricht, und bei dieser Veranstaltung in Bregenz Anfang September wusste er auch, dass die Aufzeichnung auf Youtube gestellt wird. Er sprach wiederum sehr offen über seine Wahrnehmung von ORF-Journalisten, über "brutale" Interventionen, über seine Zweifel an der Corona-Berichterstattung des ORF und über Servus TV – ein Protokoll.

Hans Bürger vertrat den ORF in einer für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk eher nicht zu gewinnenden Podiumsdiskussion mit Ferdinand Wegscheider (Servus TV), Roland Tichy (Tichys Einblick) und Richard Schmitt (Exxpress) laut seinen eigenen Worten, weil sein Chefredakteur nicht gekommen sei. Gesponsert hat die Veranstaltung die Liechtensteiner Libertatem-Stiftung, 25-Prozent-Gesellschafterin von Eva Schütz' und Richard Schmitts "Exxpress".

"Ich weiß, welchen Ruf der ORF zum Teil hat", leitete Bürger ein, und zwischen den Zeilen klang er durchaus so, als würde er den Ruf nicht nur kennen.

Bürger im O-Ton

Bürgers O-Töne, protokolliert aus der Youtube-Aufzeichnung, kursiv und unter Anführungszeichen, Hervorhebungen DER STANDARD:

Über ORF und Servus TV

"Im ORF muss man einiges aushalten, wenn man im Salzkammergut unterwegs ist, gerade in Corona-Zeiten. Da sagen’s da: I schau nur mehr Wegscheider. Sag ich: Ja, eh, i a (ich auch, Anm.). Ab Gosau, wenn das stimmt, da rein ins Tal, da schauen alle Servus TV und Oe24. Das heißt, man hat es da als ORF nicht so leicht."

Meinung über ORF

"Was ist die Unabhängigkeit? Wir sind laut Gesetz zur Objektivität verpflichtet. Ja (lacht), das ist schon einmal. Das ist eigentlich unser Grundsatz.

Ich möchte eines schon auch dazusagen: Ich bin nie mit allem einverstanden, was im ORF passiert. Aber ich werde hier mit Sicherheit die Meinung vertreten, die mir bis Montag einen Job noch ermöglicht. Weil ich möchte schon noch ein paar Jahre dort arbeiten."

Meinung auf Twitter

"Ich werde versuchen, meine persönliche Meinung einfließen zu lassen, aber als Journalist bin ich, da gibt es jetzt Richtlinien, auch in der Öffentlichkeit zur Objektivität verpflichtet. Ich frage mich zwar bei manchen, die bei uns auf Twitter sind, ob die das auch wissen, aber ja … Ich fühle mich der Objektivität verpflichtet."

"Extreme" Interventionen im ORF

"Es wird extrem interveniert. Seit ich im Amt bin, kann ich sagen: Es ist fast jede Regierung gleich im Versuch, eine bestimmte Berichterstattung herbeizuführen. Es ist wurscht, wer da der Bundeskanzler ist, das ist das Dramatische. Weil es immer heißt, wir sind der Rotfunk, unter Schüssel war’s nicht anders. Und dass der Bundeskanzler Kurz eine kleine, aber sehr schlagkräftige Gruppe hinter sich hatte, die auch dafür sorgen wollte – ha, bin ich vorsichtig! –, dass bestimmte Dinge kommen und bestimmte Dinge nicht kommen, das ist, glaub ich, auch bekannt. Der (frühere Pressesprecher, Medienbeauftragte von Sebastian Kurz, Gerald) Fleischmann, der steht einer (Ex-SPÖ-Geschäftsführerin) Laura Rudas und Co um nichts nach."

"Ich bin seit 1998 längstdienender Ressortleiter* Innenpolitik, überhaupt wahrscheinlich von allen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten, darum sagen sie ja: Wann ist der Bürger endlich weg? Was wirklich noch nie war: Dass vor einer Analyse jemand daherkommt und sagt: Sag das! Das hat ein Chefredakteur einmal versucht, mit so kleinen Zettelchen, die er mir kurz vor der Analyse hingelegt hat, ich hab’s trotzdem nicht gesagt. Unser Verhältnis war dann wirklich nicht sehr gut. Aber grundsätzlich ist es so, dass man in den Analysen, in den Kommentaren absolut frei ist. Das war’s dann aber auch schon wieder. In der Berichterstattung wird schon sehr, sehr viel versucht. Da brauchen wir uns überhaupt nichts vormachen."

"Den Satz: Wenn ihr das nicht so macht, dann warst du’s, nämlich Chef der Innenpolitik, das ist dir hoffentlich eh klar, diesen Satz habe ich, schätze ich, tausendmal gehört. Ich könnte jetzt so viele Namen nennen, und sie kommen aus allen Parteien. Es waren alle gleich, und alle zum Teil sehr brutal am Telefon. (…)"

"Es haben sich einige auch angewöhnt, das auf Whatsapp zu machen, die machen das jetzt nicht mehr. Völlig überraschend (schmunzelt). Aber das Problem ist, ich hab da (Mobiltelefon) noch einiges. (…)"

"Dann hängt es halt davon ab: Ich würde sagen, dass es sehr zum Teil an den handelnden Personen liegt. Ja, wurscht, dann wird’s halt morgen online gestellt. Aber mir kommt es schon vor, dass einige es nicht ganz schaffen, ihre wahre Gesinnung zu verbergen. (Applaus)"

Innenpolitik-Ressortleiter Bürger deutet hier zumindest an, dass einzelne ORF-Journalistinnen oder -Journalisten in ihrer Berichterstattung eine wohl politische Schlagseite erkennen ließen.

Corona-Berichterstattung

"Das war für mich sicherlich die schwierigste Zeit im Unternehmen. Der ORF hat irgendwann einmal klargemacht – nicht nur der ORF, auch die Opposition am Anfang –, dass wir die Gesundheitspolitik der Bundesregierung nicht ganz groß infrage stellen. (…)"

"Ein paar Wochen sind alle, auch die meisten Medien, mitgegangen, dann kam der lustige Ostererlass des Rudi Anschober, und da sind die Medien dann auseinandergegangen."

Und natürlich war es dann so für jene nicht einfach, sich in Diskussionen durchzusetzen, die gesagt haben: Achtung, wir verlassen da möglicherweise einen objektiven Kurs."

"Ich habe dann irgendwann selbst in Vertretung der Ingrid Thurnher (damals ORF-3-Chefredakteurin, heute Radiodirektorin) ein – wie heißt die Sendung – 'Politik Live' auf ORF 3 moderiert. Dann haben sie mir sechs Befürworter reingesetzt. Sechs, die bezüglich Corona-Maßnahmen alle einer Meinung waren. Dann habe ich gesagt: Und wie genau soll daraus eine Diskussion entstehen?"

Zur Antwort habe er bekommen: "Das ist wurscht, das ist halt so."

"Da habe ich zum ersten Mal gesagt: Ich weiß nicht, ob wir diesen Kurs durchhalten können. Weil auf Servus TV schaut’s anders aus. Wenn du im ORF das Wort Servus TV sagst, bist du sowieso schon verdächtig. Aber na ja, hab ich gesagt: Die machen das halt."

Corona, Wissenschaft und Proportion

"Jetzt kommt der Unterschied zwischen dem ORF, nein, sagen wir so, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einem Privatsender. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk geht, was Wissenschaftsberichterstattung betrifft, davon aus: Wir akzeptieren die vorherrschende wissenschaftliche Meinung. Und wenn von 100 Wissenschaftern 98 der gleichen Meinung sind, werden wir doch nicht so deppert sein und genau die zwei einladen, die nicht der Meinung sind.

Ich habe zig Diskussionen mit (ORF-Wissenschaftschef) Günther Mayer geführt. Das Argument ist: Wenn du das machst, musst du 49 einladen, dann kannst du einen Gegner einladen. Aber bei fünf stimmen die Proportionen nicht. Das ist der Unterschied. Das muss man diskutieren. Es hat sich daran aber eigentlich relativ wenig geändert. Bestimmte Leute, die in Servus TV aufgetreten sind, (waren) ein No-Go bei uns, überhaupt keine Möglichkeit. Dort sind die Diskussionen, na ja, anders verlaufen."

Bürger kommt zurück zur ORF-3-Diskussion mit sechs Befürwortern der Corona-Maßnahmen:

"Und dann haben sie mir den (FPÖ-Chef Herbert) Kickl eingespielt, der böse Kickl. Und dann sind alle sechs über den Kickl hergefallen. Was machst jetzt als Moderator? Du musst automatisch die Position übernehmen und sagen – na ja, hat er nicht da und da recht? Und dann passiert Folgendes: Der Bürger, der ist FPÖ-nahe, was ist denn da los? Du musst also wahnsinnig aufpassen bei allem, was du machst. Aber wenn du eine Diskussionssendung leitest, wo sechs Leute der Meinung sind, die Corona-Maßnahmen sind gut – was bleibt dir anderes übrig, als den Pfeffer hineinzugeben, was dich natürlich als Moderator unobjektiv macht. Wenn Sie mich jetzt fragen: Was ist die Lösung? – Keine Ahnung!"

Tichy, Wegscheider rätseln

Die Ausrichtung an der vorherrschenden wissenschaftlichen Position bezeichnet Roland Tichy als "intellektuelle Kapitulationserklärung", wissenschaftlicher Fortschritt sei stets von "Außenseitern" gekommen, er verweist etwa auf Ignaz Semmelweis.

Ferdinand Wegscheider von Servus TV fragt in der Veranstaltung: "Wie kann ein Journalist, wie kann ein Sender wirklich der Meinung sein: Trust the Science, wir haben die einzige Wahrheit, das versteh ich nicht."

Bürger erklärt daraufhin: "Ich bin mit Günther Mayer befreundet, aber wir haben darüber extrem viele Diskussionen gehabt, auch in der Öffentlichkeit." Er verweist auf das gemeinsam verfasste Buch "Knockdown" und betont aber: "Im Wissenschaftsteil habe ich gar nichts geschrieben, ich habe nur den wirtschaftlichen und politischen Teil geschrieben".

"Günther kommt mir dann mit dem Argument von der Erde und der Scheibe. 100 sagen, die Erde ist rund, und zwei sagen, die Erde ist eine Scheibe, würdest du einen der beiden einladen? Nein, sage ich, natürlich nicht. (...) Es gibt natürlich eine Schulmedizin und eine andere Medizin. Das Problem ist immer die Verhältnismäßigkeit."

(fid, 15.9.2022)