Ein Neuling in der Softwarewelt ist Gnome wahrlich nicht, die Linux-Desktop-Umgebung feierte vor wenigen Wochen ihren 25. Geburtstag. Am 15. August 1997 meldeten sich die damals noch studierenden Softwareentwickler Miguel de Icaza und Federico Mena Quintero erstmals öffentlich mit der Idee für einen vollständig auf freier Software basierenden Desktop zu Wort.

Gnome 43

Ein Vierteljahrhundert, in dem sich vieles verändert hat, eines blieb aber gleich: Während Linux mittlerweile in praktisch allen anderen Bereichen das dominante Betriebssystem darstellt – oder zumindest die Basis dafür bildet –, ist es nie gelungen, die Windows-Dominanz am Desktop zu brechen. Das hält die Open-Source-Entwickler allerdings nicht davon ab, eifrig weiter an ihren Projekten zu arbeiten. Und so gibt es nun auch bei Gnome wieder ein großes Update.

Gnome 43 ist da.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Auf das vor sechs Monaten freigegebene Gnome 42 folgt also Gnome 43. Und wer glaubt, dass die Entwicklung langsam einmal ins Stocken kommen muss, der sieht sich rasch eines Besseren belehrt – bringt die neue Version doch eine Reihe von substanziellen Neuerungen.

Bevor es aber los geht, ein Hinweis in eigener Sache: Im Folgenden werden viele Fachbegriffe verwendet. Wer dazu mehr wissen will, sei auf unser Linux-Glossar hingewiesen, in dem viele davon möglichst einfach erklärt werden.

Quick Settings

Die sichtbarste Änderung ist dabei unzweifelhaft die Einführung eines Schnelleinstellungsbereichs, wie man ihn von anderen Betriebssystemen wie Chrome OS oder Android schon kennt. Dieser ersetzt das alte Systemmenü, ist also über einen Klick auf die Icons rechts oben im Panel zu erreichen.

Optisch sieht das dann so aus: Es gibt eine Fülle an Einstellungen, bei denen über eine Schaltfläche symbolisiert wird, ob sie gerade aktiviert sind. Dazu zählen WLAN, Bluetooth, VPN, Dark Mode, Nachtlicht und der Flugzeugmodus.

Neben all diesen Schaltflächen gibt es aber meist auch noch die Möglichkeit, auf weitere Details zuzugreifen, etwa schnell ein anderes WLAN oder eine VPN-Verbindung zu aktivieren – und zwar an dieser Stelle. Der Wechsel zwischen unterschiedlichen Performance-Profilen – zwischen maximaler Leistung und Stromsparmodus – kann ebenfalls direkt in den Schnelleinstellungen vorgenommen werden. Bei den WLAN- und VPN-Schaltflächen werden aufrechte Verbindungen zudem gleich namentlich ausgewiesen.

Ein Wunsch

Der neue Schnelleinstellungsbereich mit auf- und zugeklappten Detaileinstellungen für einzelne Punkte.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Negativ fällt hingegen Bluetooth aus dem Rahmen. Hier besteht lediglich die Möglichkeit, dieses Feature generell ein- oder auszuschalten. Eine Aktivierung einzelner Geräte fehlt ebenso wie eine Anzeige der derzeit offenen Verbindungen. Für all das müssen weiterhin die Systemeinstellungen bemüht werden. Bleibt zu hoffen, dass hier in der nächsten Version nachgebessert wird.

Weiterer Aufbau

Oberhalb dieser Schaltflächen finden sich Schieberegler für Helligkeit und Lautstärke, wobei Letzterer mit einem erfreulichen Extra aufwarten kann. Direkt angefügt ist nämlich ein Knopf, über den das Ausgabegerät verändert werden kann. Wer so einen Schnellzugriff wollte, musste dafür bisher eine Erweiterung für die Gnome Shell verwenden.

Noch weiter oben befinden sich Knöpfe mit Information über den Akkustand, zum Aufrufen der Screenshot-Funktion, der Systemeinstellungen und der Bildschirmsperre sowie zum Ausschalten oder Neustarten des Geräts. In Summe sind die neuen Schnelleinstellungen wirklich gelungen – wenn wir einmal von den Defiziten bei der Bluetooth-Steuerung freundlich absehen.

Modernisierung

Gnome Maps gehört zu den auf GTK portierten Anwendungen.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Für die Funktionalität einer jeden Software sind auch jene Komponenten entscheidend, aus denen sie aufgebaut ist. Bei Gnome ist das nicht zuletzt das grafische Toolkit GTK, das zur Entwicklung der grafischen Oberfläche genutzt wird. Von diesem wurde vor nicht allzu langer Zeit eine neue Generation veröffentlicht, die zahlreiche grundlegende Änderungen und Verbesserungen bringt, was dann auch heißt, dass darauf basierende Programme angepasst werden müssen.

Mit Gnome 42 wurden bereits viele Komponenten des Desktops modernisiert, mit Gnome 43 gibt es weitere signifikante Fortschritte. Zu den frisch auf GTK4 portierten Programmen gehören etwa der Dateimanager Files, der Kartendienst Gnome Maps, die Kommandozeilenanwendung Gnome Console und die Dialoge für die ursprüngliche Einrichtung des Desktops. All diese profitieren nicht nur von einem aktualisierten Look, sondern auch von einer gesteigerten Performance und einer Reihe an nett gemachten Animationen.

Grunderneuerung für den Dateimanager

Bei einem der erwähnten Programme fallen die Umbauten besonders umfassend aus. Der Dateimanager Files (früher: Nautilus) wurde einer grundlegenden Überarbeitung unterzogen. Neben dem angepassten Look fällt dabei sofort auf, dass die Oberfläche der Software nun adaptiv ist.

Die Oberfläche des Dateimanagers passt sich nun automatisch der Größe des Fensters an.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Wird ein Fenster entsprechend verkleinert, verschwindet der Sidebar automatisch, er ist dann über einen neuen Knopf erreichbar. Überhaupt wird die Positionierung der Oberflächenelemente für diese Schmalspureinstellung verändert. Die Transformation zwischen diesen Darstellungsarten wird dabei über Animationen nett visualisiert.

Viele nette Details

Deutlich aufgeräumter wirkt die neue Listenansicht von Gnome Files. Zudem wurde die gleichzeitige Auswahl mehrerer Objekte über eine "Rubber Band"-Auswahl mit der Maus verbessert. Dazu kommen auch hier neue Animationen, etwa wenn eine Datei oder ein Ordner als Favorit markiert werden.

Auch die Listenansicht (hier mit "Rubber Band"-Auswahl) wurde neu gestaltet.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Bei externen Geräten wird im Kontextmenü nun wieder eine Formatierungsoption angezeigt. Auch die Detailansicht für Dateien präsentiert sich in einem neuen Look, dabei werden die wichtigsten Berechtigungsinformationen nun auf den ersten Blick gezeigt.

Ebenfalls ein Redesign gibt es beim "Öffnen mit"-Dialog, über den entschieden werden kann, mithilfe welchen Programms einzelne Dateitypen geöffnet werden sollen. Nützlich ist zudem, dass sowohl in der "Recents"-Ansicht als auch bei Suchergebnissen nun gleich zu sehen ist, in welchem Verzeichnis sich die jeweilige Datei befindet.

Ambitionierte Sicherheitsinformationen

Eine weitere Neuerung von Gnome 43: In den Systemeinstellungen wird künftig eine generelle Beurteilung der Gerätesicherheit abgegeben. Dabei geht es allerdings nicht darum, ob auch brav alle Updates eingespielt wurden, wie man vielleicht erwarten könnte. Stattdessen wird eine Analyse der darunterliegenden Hardware, der zugehörigen Firmware und ihrer Konfiguration vorgenommen.

Klingt jetzt zugegeben etwas mysteriös, also probieren wir es mit ein paar Beispielen. An dieser Stelle wird etwa geprüft, ob Secure Boot zur Absicherung der Boot-Kette aktiviert ist oder ob die verwendete BIOS/UEFI-Version halbwegs auf dem aktuellen Stand ist. Aber auch ob gewisse Schutzfunktionen aktueller Prozessoren genutzt werden, und ob diese wirklich funktionstüchtig sind, ist Teil dieser Analyse.

Fast noch wichtiger: Dieser Dialog informiert darüber, wenn sicherheitsrelevante Änderungen vorgenommen wurden. Also etwa wenn Secure Boot deaktiviert oder der Kernel verändert wurde. War man das nicht selbst, könnte das immerhin auf ein kompromittiertes System hinweisen.

Ein erster Versuch

All das ist fraglos sinnvoll, und doch wirkt das Ganze nur halb gelungen. Denn so nützlich diese Informationen auch sein mögen, ein zentrales Problem ist, dass die Nutzer sehr wenig Einfluss darauf haben. Zum Teil weil der Hersteller keine Firmware-Updates mehr liefert, zum Teil weil es dabei auch um Entscheidungen der jeweils genutzten Distribution geht – also etwa ob Secure Boot überhaupt verwendet wird.

Insofern bleibt abzuwarten, welche Distributionen diesen Dialog überhaupt übernehmen werden, im kommenden Ubuntu 22.10 soll er jedenfalls schon mal nicht enthalten sein. Und auch in den aktuellen Testversion von Fedora 37 funktioniert das Ganze derzeit nicht.

Im Kern handelt es sich dabei aber ohnehin um eine grafische Aufbereitung von Informationen, die das Firmware-Management-Tools fwupd jetzt schon liefert. Wer daran Interesse hat, kann also mittels des Befehls "fwupdmg security" eine solche Aufschlüsselung in der Kommandozeile erhalten – auch wenn sich diese dort für Nicht-Experten zugeben zunächst etwas kryptisch liest.

Web und Software

Themenwechsel: Der Desktop-eigene Webbrowser – einst Epiphany – hat ebenfalls einige interessante Neuerungen verpasst bekommen. So ist es nun einfacher, Webseiten als Apps am System zu installieren, passend dazu gibt es eine separate Ansicht, um all das zu managen. Zudem wurde die Oberfläche an einigen Stellen modernisiert, nicht zuletzt ist die Screenshot-Funktion für ganze Webseiten jetzt leichter zu erreichen.

In Gnome Software werden die Quellen, die für jedes Programm zur Verfügung stehen, nun klarer herausgestrichen.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Die Softwarezentrale von Gnome kann mit einem neu gestalteten Dialog für die Wahl zwischen unterschiedlichen Paketquellen aufwarten. Dabei wird auch darüber informiert, ob es sich jeweils um ein "klassisches" Paket – also etwa im RPM/DEB-Format – oder distributionsübergreifende Lösungen wie Flatpak oder Snap handelt. Doch auch sonst gab es einige Oberflächenanpassungen: So werden nun andere Anwendungen derselben Entwicklerin speziell herausgestrichen.

Vermischtes

Gnome Contacts kann jetzt endlich vCard-Dateien direkt importieren und exportieren. Die Characters-Anwendung bietet bei vielen Emojis verschiedene Haarfarben und Hauttöne. Die Kalenderanwendung von Gnome wurde ebenfalls grafisch überarbeitet. Es gibt nun eine Seitenleiste mit einem kleinen Übersichtskalender, zudem passt sich das Interface auch hier jetzt adaptiv an die Größe an.

Am Rande: All diese adaptiven Anpassungen sind nicht zuletzt auch auf das steigende Interesse an einer ganz anderen Gerätekategorie zurückzuführen: Smartphones – verwendet doch etwa Purism für sein Librem 5 einige Gnome-Apps, und selbst eine Variante der Gnome Shell – also der Kernoberfläche des Desktops – für Smartphones ist derzeit in Entwicklung.

Gnome Shell samt Mutter

Apropos Gnome Shell: An dieser sowie am Fenstermanager Mutter gab es erneut diverse Optimierungen, die die Performance steigern sollen. Zudem verspricht die neue Version einen besseren Multi-Monitor-Support, etwa beim Merken der gewünschten Skalierung.

Eine falsche Erkennung der unterstützten Farbtiefen führte in der Vergangenheit immer wieder zu kurzen Aussetzern bei manchen Monitoren, das sollte nun dank einer verbesserten Display-Erkennung der Vergangenheit angehören. Mutter übernimmt zudem das Farbmanagement, das bisher in einer anderen Desktop-Komponente – dem Gnome Settings Daemon – zu finden war. Das ist nicht zuletzt auch ein wichtiger Schritt in Richtung des derzeit in Entwicklung befindlichen HDR-Supports.

Bei der Gnome Shell gab es diverse Verbesserungen an der Bildschirmtastatur, bei den Schnelleinstellungen werden jetzt auch Wireguard VPNs dargestellt. Noch schöner wäre allerdings, wenn diese auch direkt über die Gnome-Einstellungen eingerichtet werden könnten. Genau das geht nämlich noch immer nicht. Nett ist dafür, dass jetzt Benachrichtigungen umgehend entfernt werden, wenn der Fokus gewechselt wird – also noch bevor ihre eigentliche Anzeigezeit abgelaufen ist. Ebenfalls neu ist die Unterstützung von hochauflösenden Scrollrädern bei manchen aktuellen Mäusen.

GTK

Der neue, standardisierte About-Dialog im auch sonst neu gestalteten Gnome Calender.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Das bereits erwähnte Toolkit GTK wird nun in der Version 4.8 verwendet, die unter anderem die Performance für viel genutzte Widgets wie die List View und die Column View verbessert. Die für den Look von Gnome-Anwendungen zuständige Libadwaita enthält jetzt auch ein standardisiertes Design für About-Dialoge, dieses wurde denn auch gleich von vielen Programmen übernommen.

Die Entwicklungsumgebung Build wurde ebenfalls auf GTK4 portiert. Zusätzlich gibt es jetzt eine klassische Tab-Ansicht sowie eine Statuszeile mit allerlei Kontextinformationen sowie eine bessere Integration mit dem Analysetool Sysprof. Außerdem werden nun sowohl ein heller als auch ein dunkler Oberflächenstil angeboten.

Verfügbarkeit

Gnome 43 ist ab sofort in Form des Quellcodes der einzelnen Komponenten verfügbar, die offizielle Ankündigung findet sich auf der Webseite des Projekts. Zudem werden die neuen Versionen schon bald in die Entwicklungsversionen vieler Linux-Distributionen einfließen. So soll etwa in ein paar Wochen Fedora 37 samt Gnome 43 veröffentlicht werden.

Wer einfach nur mal in einen modernen Gnome-Desktop hineinschnuppern will, kann aber auch Gnome OS herunterladen, ein ausschließlich zu Testzwecken gedachtes System, das immer den aktuellen Entwicklungsstand des Desktops abbildet. (Andreas Proschofsky, 21.9.2022)