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Am vergangenen Freitag stellte Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) den Verfassungsschutzbericht 2022 vor. In dem 113 Seiten starken Papier findet sich eine Information, die bisher nicht öffentlich bekannt war: Es gab einen "Hinweis auf einen geplanten Anschlag auf das Volksstimmefest in Wien".

Der Hinweis wurde bei einem Rechtsextremen gefunden, so der Bericht. Bei dem Mann sind auch detaillierte Anleitungen zum Bomben- und Waffenbau sowie eine Datei mit dem Namen "Freundes- und Feindesliste" gefunden worden, ist darin ebenfalls zu lesen. Ebenso wurden "Listen mit mehreren politisch links gerichteten Organisationen vorgefunden, die als Feinde beziehungsweise potenzielle Ziele geführt wurden."

Verfassungsschutzbericht: "Hinweis auf einen geplanten Anschlag auf das Volksstimmefest". Das Fest wird seit Jahrzehnten von der KPÖ organisiert und ist ein Fest linker Gruppen.
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Dass er einen Anschlag auf eine linke Veranstaltung geplant haben soll, das war bekannt – auf welches Ziel jedoch nicht. Auf entsprechende Nachfragen gab sich das zuständige Innenministerium bisher stets wortkarg. Aber der Reihe nach.

Im Sommer 2022 wurde dicker aufgetragen

Schon im April des vergangenen Jahres ging das Innenministerium mit der Geschichte an die Öffentlichkeit. In einer Presseaussendung wurde erwähnt, ein Rechtsextremist hatte geplant, "mithilfe von Rohrbomben eine rechtsterroristische Straftat durchzuführen". Diese Mitteilung wurde aber medial kaum aufgegriffen, da zeitgleich in Wien ein Prozess gegen einen Neonazi-Rapper stattfand, dessen Musik in der Szene enorm populär ist. 2019 hatte ein Neonazi-Attentäter im deutschen Halle seine Musik im Auto auf dem Weg zur Synagoge gespielt, wie er später vor Gericht aussagte.

Ebenfalls wenig Beachtung fand der EU-Terrorismusbericht von Europol, in dem zu lesen ist, dass im Juli 2021 österreichische Sicherheitsbehörden einen Sprengstoffanschlag auf eine "linke Veranstaltung" vereitelt haben. Der Täter ist ein Rechtsextremist, handelte offenbar allein und spendete den Identitären Geld, ist in dem Bericht zu lesen.

Der EU-Terrorismusbericht von Europol wurde Mitte Juli 2022 veröffentlicht.
Screenshot: Markus Sulzbacher

Der Fall wird von Europol prominent erwähnt, schließlich wurde ein Terroranschlag in der EU verhindert, noch dazu vom österreichischen Verfassungsschutz, der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst, dessen Ruf – nicht erst seit dem Versagen rund um den islamistischen Terroranschlag vom 2. November – schwer beschädigt ist. Ausländische Sicherheitsdienste arbeiten nur zögerlich mit dem österreichischen Verfassungsschutz zusammen. Quelle für den Bericht von Europol war das österreichische Innenministerium, das offensichtlich in dem Europolbericht etwas dicker aufgetragen hat.

Wortkarg

Auf vertiefende Anfragen des STANDARD gab sich das Innenministerium damals sehr wortkarg. Es war nicht in Erfahrung zu bringen, welches Ziel der Rechtsextremist im Visier hatte und was genau unter "vereitelt" zu verstehen ist.

Immerhin wurden STANDARD-Recherchen bestätigt, dass es sich bei dem Täter um den 78-jährigen Rudolf P. handelt, der im vergangenen Jahr zu einer unbedingten Haftstrafe von fünf Jahren in Eisenstadt verurteilt wurde. Die Geschworenen folgten der Anklage, der Mann wurde wegen NS-Wiederbetätigung, Verhetzung und Vergehen gegen das Waffen- und Suchtmittelgesetz schuldig gesprochen.

Anwältin überrascht

Die Anwältin von P., Astrid Wagner, zeigte sich im Sommer von dem Europolbericht überrascht. "Mein Mandant wurde weder wegen Anschlagsplänen angeklagt noch verurteilt", sagte die Strafverteidigerin damals. Mittlerweile wurde der Mann rechtskräftig verurteilt. Auch Aktivistinnen und Aktivisten der Rechercheplattform "Österreich Rechtsaußen", die den Prozess gegen P. beobachteten, bestätigen, dass von einem konkreten Anschlagsziel keine Rede war.

STANDARD-Nachfragen beim Innenministerium verliefen im Sand. Warum das im öffentlichen Teil der Verhandlung nicht thematisiert wurde, "erfragen Sie bitte beim LG Eisenstadt", heißt es ausweichend.

Kontakte zu Neonazis und Identitären

Fest steht, dass P. sich seit Jahren im Neonazi-Milieu bewegte und gute Kontakte zu Aktivisten der Identitären unterhielt, wie "Österreich Rechtsaußen" dokumentiert hat. Der Verfassungsschutz kam P. auf die Spur, da er Facebook-Seiten der Identitären postete. Diese Beiträge führten dazu, dass er genauer unter die Lupe genommen wurde. Auf seinen eigenen Social-Media-Accounts zeigt sich, dass P. der FPÖ nahesteht und Beiträge von Freiheitlichen teilt und verbreitet. Laut "Stoppt die Rechten" war P. vor Jahren Ortsparteichef der FPÖ in einer burgenländischen Gemeinde.

Im Juli 2021 waren bei einer Demonstration der Identitären in Wien zahlreiche militante Rechtsextreme dabei.
Foto: Markus Sulzbacher

Bei einer Hausdurchsuchung wurden bei ihm neben Suchtmitteln und NS-Devotionalien auch Waffen, Munition sowie Material für den Bau von Bomben sichergestellt. Darunter drei Kilo Nitrozellulosepulver, 400 mit Schwarzpulver gefüllte Schweizer Kracher und Rohre. Während des Prozesses stellte sich auch heraus, dass P. in Ungarn eine Art Probesprengung durchgeführt hatte.

Porträtfoto von Franz Fuchs

Die Behörden fanden bei der Hausdurchsuchung auch gerahmte Porträtfotos der Rechtsterroristen Franz Fuchs, Beate Zschäpe und Anders Behring Breivik. Fuchs war in den 1990er-Jahren für mehrere Briefbomben und ein Bombenattentat verantwortlich, bei dem vier Roma im burgenländischen Oberwart starben. Zschäpe war Teil des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), der in Deutschland zwischen 2000 und 2007 neun Migranten und eine Polizistin ermordete. Breivik beging 2011 die Anschläge in Oslo und auf der Insel Utøya, bei denen 77 Menschen ums Leben kamen, davon 69 Teilnehmerinnen und Teilnehmer eines Zeltlagers der Jugendorganisation AUF der sozialdemokratischen "Arbeiderpartiet".

Der Rechtsterrorist Franz Fuchs (Mitte) verschickte in den 1990er-Jahren Briefbomben und ermordete vier Männer.
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Zusätzlich fand sich bei P. auch eine Art Manifest, ein Handbuch "Nationale Wehrkraft". Darin fanden sich nicht nur Anleitungen zum Bau von Bomben, sondern auch, wie man im Handel erhältliches Mineralwasser und Limonaden durch Injektion mit Gift präparieren und die Flaschen dann wieder unbemerkt zum Verkauf platzieren könnte. Nicht nur dieses Handbuch zeigt die Affinität von P. zu Rechtsterror.

Keine Warnung

Personen, die das Volksstimmefest organisieren, wurden jedoch nicht über eine mögliche Gefährdung informiert, wie der Journalist Michael Bonvalot rausfand. Obwohl der Täter Komplizen hätte haben können, schließlich bewegt er sich seit Jahren im rechtsextremen Milieu. Auch wurden Personen oder Organisationen, die auf der "Feindesliste" zu finden sind, nicht von den Behörden gewarnt. Warum, ist unklar. Seitens des Innenministerium heißt es dazu: "Nach einer Hausdurchsuchung im Juli 2021 wurde der Beschuldigte sofort in U-Haft genommen und in Folge nach Tatbeständen gemäß Verbotsgesetz und § 283 StGB (Verhetzung) rechtskräftig verurteilt. Die Polizei hat entsprechende Schutzmaßnahmen für die gegenständliche Veranstaltung vorgenommen."

Schlampige Berichte

Dazu kommt, dass Verfassungsschutzberichte seit Jahren extrem schlampig recherchiert werden. So wurde ein Brandanschlag auf ein Parteilokal der FPÖ in St. Pölten der linksradikalen Szene zugeschrieben, obwohl dafür später zwei Männer verurteilt wurden, die keine Kontakte zur der Szene hatten. Überhaupt werden immer wieder der linken Szene Taten zugeschrieben, obwohl es weder Bekennerschreiben noch (rechtskräftige) Verurteilungen gibt. (Markus Sulzbacher, 16.5.2023)

Update 17.05. 18:00: In einer Stellungnahme betont der Verfassungsschutz, die Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN), dass der Rechtsextremist "als (auto-) radikalisierter Einzeltäter kategorisiert" wurde und zur Zeit des Volksstimmefestes in Untersuchungshaft saß. "Somit ging von dieser Person keine Gefahr mehr aus", so die Stellungnahme.

Ergänzend wird erklärt, dass Betroffene – wie die Fest-Organisation – nicht informiert wurde, weil der Mann "keine Gefahr mehr" darstellte.

Im Text wurde präzisiert, dass die Aussage der Anwältin aus dem vergangen Sommer stammt. (Markus Sulzbacher)