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Mit Wurst, Speck und Schnitzel ist es so eine Sache: Irgendwie reden wir ständig darüber, aber eine ernsthafte politische Debatte gibt es nicht. Jedenfalls keine, die dem Ausmaß des Problems gerecht wird. Es gibt Ziele für 100 Prozent Erneuerbare, für den Ausbau der E-Mobilität, die Reduktion der Treibhausgase. Aber ein Elefant im Raum, der Fleischkonsum, bekommt politisch wenig Aufmerksamkeit. Das muss sich ändern, denn der exzessive Fleischkonsum treibt Klimakrise und Artensterben voran, und Extremregen, Dürren und das Sterben von Vögeln und Insekten gefährden die Ernährungssicherheit der nächsten Generationen.

Politisch zu heiß? Das Schnitzel.
Foto: imago images/Manfred Segerer

Wann genau die Debatte um den Fleischkonsum zum No-Go wurde, lässt sich schwer sagen. Müsste man sich auf einen Tag festlegen, wäre es wohl der 5. August 2013. Damals machte die deutsche "Bild" mit "Die Grünen wollen uns das Fleisch verbieten!" auf. Die Partei hatte sich zuvor für einen Veggie-Day in Kantinen ausgesprochen. Ein gefundenes Fressen für andere Parteien und Medien. Erstere konnten sich als volksnah positionieren und Letztere Klicks generieren. Von der politischen Agenda verschwand das Thema daraufhin schnell.

Was die Grünen ziemlich ungeschickt zum Thema machten, verdient große Aufmerksamkeit. Unser Ernährungssystem ist ethisch schon lange nicht mehr vertretbar, es sorgt neben den ökologischen Schäden für großes Leid unter Schweinen, Kühen und Hühnern und macht uns krank statt gesund. Eigentlich sollten Parteien darüber jeden Tag reden. Aber wer will sich schon mit Ansage die Finger verbrennen?

Klimaziele ade

Auf den ersten Blick wirkt es auch komisch: Warum sollte es die Politik etwas angehen, was die Menschen essen? Es geht sie auch nichts an, genauso wenig wie es sie etwas angeht, ob jemand mit dem Auto in die Arbeit fährt oder mit dem Bus oder Rad. Wofür wir aber Parlamente, Ministerien und Regierungen haben, ist, um Rahmenbedingungen für ein gutes Zusammenleben zu schaffen. Dazu gehört neben der Demokratie und Menschenrechten auch, dass der nächsten Generation ein lebenswerter Planet übergeben wird.

Warum? Würden alle Menschen auf der Welt so viel Fleisch, Milch und Käse konsumieren wie wir, würde allein das das Treibhausgasbudget für das Zwei-Grad-Ziel dreimal sprengen. Die Vögel verschwinden – 40 Prozent in den vergangenen 20 Jahren – und mit ihnen Schmetterlinge, Wildbienen, Frösche. Das liegt zu einem Gutteil an unserem Ernährungssystem – auf 60 Prozent der Agrarfläche wird Tierfutter angebaut.

Es geht die Politik nichts an, ob ich ein E-Auto oder einen Diesel fahre oder ob ich ein Schnitzel esse oder zwei oder gar keins. Aber es ist ihr Job, durch Steuern, Förderungen, Standards und Infrastruktur dafür zu sorgen, dass nach und nach die meisten Leute auf E-Autos umsteigen und mehr Menschen Bahn, Bus und Rad nutzen. Genauso ist es beim Fleisch, bei der Milch, beim Käse. Nicht weil man das nicht mehr darf, sondern weil sich die Rahmenbedingungen ändern und Menschen darauf reagieren.

Reformen in der Ernährung

In der Mobilität leuchtet uns das ein – es werden Radwege gebaut, Busse dichter getaktet, die Steuern auf Sprit erhöht. Aber was kann die Politik im Hinblick auf die Ernährung ändern?

1. Sie kann eine Tierwohlabgabe einführen. Das wird gerade in Deutschland probiert. Ein Kilo Fleisch soll um 40 Cent teurer werden und das Geld dann zurück in die Landwirtschaft fließen, damit Ställe tierwohlgerechter werden. Sie kann dann mit der Zeit immer weiter erhöht werden – mit einem parallelen Anstieg der Tierwohlstandards.

2. Tierisches muss teurer, Pflanzliches billiger werden. Auf Gemüse, Obst und Hülsenfrüchte könnte man die Mehrwertsteuer ganz abschaffen. Das würde ein paar Hundert Millionen Euro kosten. Der Mehrwertsteuersatz für Milch, Eier und Fleisch sollte von derzeit zehn auf 20 Prozent erhöht werden, fordern Experten immer wieder.

3. Ärmere Haushalte müssen entlastet werden. Weil es unrealistisch ist, dass viele sofort umsteigen, werden vor allem ärmere Haushalte mehr für ihre Ernährung zahlen müssen. Darum muss analog zum Klimabonus, der die Kosten der CO2-Steuer mehr als ausgleicht, auch hier Geld an ärmere Haushalte fließen.

4. Die Landwirtschaft ist der einzige Sektor, der klimapolitisch eigentlich gar nicht reguliert ist. Gleichzeitig sorgt sie in Österreich für zehn Prozent der Emissionen – dreimal mehr als der Flugverkehr –, global gesehen sogar für ein Viertel. Forscher schlagen vor, etwa eine Abgabe auf Dünger einzuführen. Beim Düngen wird schädliches Lachgas emittiert.

5. Fördergelder auf EU-Ebene müssen umgestellt werden. Das ist der größte Hebel. Die Produktion von Gemüse und Hülsenfrüchten muss lohnender werden. In Kalifornien werden Betriebe unterstützt, von der Tierhaltung zum Beispiel in den Gemüseanbau umzusteigen.

6. Staatliche Labels können für Transparenz im Supermarkt sorgen. In Deutschland hat der Handel von sich aus eine Tierwohlkennzeichnung eingeführt. Auch eine Information über die Klimawirkung ist wichtig. Die Politik darf die Verantwortung aber nicht abschieben.

7. Es braucht verpflichtende Standards für eine gesunde und vorwiegend pflanzenbasierte Ernährung in Schulen, Kindergärten, Krankenhäusern und Pflegeheimen. Diese von den führenden Experten ausgearbeiteten Standards gibt es schon, aber eben unverbindlich.

Tugendterror?!

Das würde in Summe dazu führen, dass deutlicher weniger Fleisch, Milch und Eier in Österreich nachgefragt würden. Sie denken sich jetzt vielleicht: Okay, träum weiter. Denn jeder einzelne dieser Punkte hat das Potenzial, eine Debatte wie 2013 um den Veggie-Day auszulösen. Linsen mit Knödel statt Würstel in der Schule? Abgaben für Fleischesser und die Bauern, die es produzieren? Tugendterror! Die Politik schreibt uns vor, was wir essen sollen!

Wie schaffen wir es trotzdem? Einer, der sich damit wissenschaftlich beschäftigt, ist Lukas Fesenfeld. Während sich viele Fachleute fragen, wie einzelne Reformen wie eine CO2-Steuer helfen könnten, beschäftigt sich der Deutsche, der an der Uni Bern und der ETH Zürich forscht, damit, wie Systeme im positiven Sinne ins Kippen kommen. Gesellschaften sind träge, unsere Tendenz, lieber alles beim Alten zu belassen, und starke Lobbys sichern den Status quo ab. Wer Veränderung bewirken möchte, muss also strategisch vorgehen. Wie könnte das funktionieren?

Punkt 1: Eine Lobby schaffen

Derzeit gibt es noch große Player, deren wirtschaftliches Interesse ist, dass der Fleischkonsum hoch bleibt. Etwa große Fleischproduzenten. Hier muss die Politik, sagt Fesenfeld, gezielt andere Interessengruppen schaffen. Durch die Förderung des Umstiegs von Tierhaltung auf pflanzenbasierte Produktion und für die regionale Herstellung von Fleischersatzprodukten. Auch alternative Geschäftsmodelle für Bauern wie Photovoltaik auf den Wiesen oder Geld für die Speicherung von CO2 in Böden kann notwendige Reformen einfacher machen.

Punkt 2: Alternativen aufzeigen

Die Bereitschaft, weniger Fleisch zu essen, steigt, wenn man schon einmal ein Ersatzprodukt probiert hat, zeigt eine Studie. In Kantinen führt eine größere Auswahl an Gerichten mit Gemüse dazu, dass auch mehr davon gegessen wird. "Hier kann man bei der Außerhausverpflegung ansetzen", sagt Fesenfeld. Mehr Erfahrungen mit Alternativen steigere die Akzeptanz von Abgaben auf Fleisch. Das leuchtet auch ein: Wer sich nicht vorstellen kann, wie er sich ohne Fleisch ernähren soll, ist für Argumente wohl nur schwer zugänglich.

Punkt 3: Ein besseres Gefühl geben

Seien wir uns einmal ehrlich: Die meisten von uns finden es nicht super, wie die Tiere in der Landwirtschaft großteils gehalten werden. Manche verdrängen es nur besser als andere. In der Psychologie spricht man vom Fleischparadox: Unsere Werte – Tierschutz! – passen nicht mit unserem Verhalten – Billigschnitzel! – zusammen. Das führt zu Unwohlsein und kurze Zeit später zu Verdrängung und Ausreden (die können nicht fühlen, das ist in der Natur so, die anderen machen es auch, es gibt größere Probleme ...).

Weil die Menschen ihr Schnitzel und ihren Speck lieben (ich auch), können sich viele nicht vorstellen, ihr Verhalten zu ändern. Dann bleibt nur die Verdrängung. Fleischersatzprodukte können Abhilfe schaffen. Darum fordern Forscher wie Fesenfeld, dass die Politik gesunde und nachhaltige Ersatzprodukte aus regionaler Wertschöpfung fördert.

Punkt 4: Große Reformen statt kleine

Wer jetzt eine Steuer auf Fleisch einführt, ärgert zuerst einmal viele – und ob die Steuer allein so viel bringt, ist unklar. So gewinnt man keine Wahlen. Eine Studie von Fesenfeld zeigt aber, dass Maßnahmenbündel diese Abgaben mehrheitstauglich machen können. Ein großes Reformpaket mit einer moderaten Fleischabgabe, Bewusstseinskampagnen, Änderungen in Kantinen und Förderungen für Alternativen schafft mehr als 50 Prozent Zustimmung in Deutschland, wie eine repräsentative Umfrage zeigt.

Punkt 5: Richtig kommunizieren

Fesenfeld rät dazu, ein Narrativ zu entwickeln, das möglichst viele verschiedene Gruppen und Interessen unter einen Hut bringt. Wer lediglich eine Tierwohlreform macht, hat dann im öffentlichen Diskurs eine nicht so starke Unterstützung von Ärzten oder Klimaschützern. "Das Thema Ernährungssicherheit bietet sich an", sagt der Forscher. "Sicherheit ist konservativ und integrativ. Hier kann man Gesundheitsaspekte, Umwelt und Tierwohl integrieren."

In etwa so: Weil wir so viel Fleisch essen, ist die Ernährungssicherheit der Zukunft gefährdet, gleichzeitig ist es auch schlecht für unsere Gesundheit, für die Natur und die Insekten und treibt die Klimakrise an. Wir bauen Tierfutter an, während andere nicht genug zu essen haben.

Punkt 6: Institutionen schaffen

Fleisch ist ein emotionales Thema. Darum braucht es für Reformen breite Bündnisse. Hier ist die deutsche Borchert-Kommission ein Vorbild: Eingesetzt von Ex-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) haben Bundesländer, Wissenschafter, Bauern und Landwirtschafts-, Wirtschafts- und Umweltverbände gemeinsam Vorschläge für eine Abgabe auf Fleisch, Milch und Eier ausgearbeitet, die sonst wohl nie Unterstützung bekommen hätte. Derzeit stellt sich die liberale FDP noch gegen die Abgabe, aber alle anderen Parteien unterstützen sie.

Noch ein Vorbild aus Deutschland: die Zukunftskommission Landwirtschaft. Auch dort haben Betriebe gemeinsam mit Wissenschaftern, Verbänden und NGOs Empfehlungen für die Politik ausgearbeitet – etwa dass der Fleischkonsum sinken sollte.

Und wie geht es jetzt weiter?

13 Prozent der 15- bis 29-Jährigen in Deutschland essen gar kein Fleisch, 25 Prozent selten, und noch einmal 30 Prozent wollen ihren Fleischkonsum senken. Das ist eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Auch der Absatz von Fleisch in Österreich sinkt, von 65 Kilo pro Kopf (2015) auf 59 Kilo (2021). Gleichzeitig setzen Einzelhändler wie Billa auf pflanzenbasierte Ernährung, bei McDonalds gibt es einen McPlant und bei Burger King einen pflanzenbasierten Whopper.

Es ist etwas in Bewegung. Unsere Esskultur und -traditionen, starke Lobbys und die Angst vor der Veränderung stehen aber den Klimazielen im Weg. Denn eine verträgliche Menge an Fleisch pro Kopf und Jahr wären 15 Kilo, also um 75 Prozent weniger als derzeit. Kluge und mutige Politik kann sich selbst verstärkende Prozesse auslösen, so Fesenfeld: Indem sie die Alternativen fördert, mehr Leute Erfahrungen machen, sich Einstellungen ändern und damit auch die Bereitschaft für Abgaben steigt, die den Fleischkonsum weiter senken.

Wenn dann noch landwirtschaftliche Betriebe gutes Geld mit Erbsen verdienen, die ums Eck zu einem Fleischersatzprodukt werden, und die Betriebe in Reformen eingebunden werden, statt dass nur über sie geredet wird, könnte der Wandel schneller gehen, als viele denken.

Im nächsten Beitrag der Serie geht es darum, welche Rolle Fleischersatzprodukte bei einer nachhaltigeren Ernährung spielen können. Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an, um ihn nicht zu verpassen. (Andreas Sator, 18.9.2022)