Bei der Kreuzung Schottenring/Wipplingerstraße kam es zum tödlichen Unfall. Davor hatte der Beschuldigte eine rote Ampel überfahren. Ob es ein spontanes "Hatzerl" gegeben hat, wird untersucht.

Das Gericht fand keine Haftgründe für den 26-Jährigen.

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Wien – War es ein illegales Straßenrennen, das zum tödlichen Verkehrsunfall am Sonntagabend auf der regennassen Wiener Ringstraße geführt hat – oder nicht? Diese Frage beschäftigt Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht seit Tagen. Beim verheerenden Unfall verstarb eine 48-jährige Frau, die mit ihrem Fahrzeug den Ring queren wollte und vom Mercedes eines 26-Jährigen im Kreuzungsbereich Schottenring/Wipplingerstraße abgeschossen wurde. Der Lenker hatte zuvor eine rote Ampel überfahren. Gegen ihn wird wegen grob fahrlässiger Tötung ermittelt.

Noch am Sonntagabend hatte die Wiener Polizei von einem illegalen "Rennen" auf der Ringstraße gesprochen. Ein Sprecher verwies in diesem Zusammenhang auf ein Video, das zwei involvierte Fahrzeuge aufgezeichnet hatte: den Mercedes des 26-jährigen Unfalllenkers sowie den BMW eines 30-Jährigen. Aufgenommen wurde dieses Video von einem hinter den beiden Fahrzeugen stehenden Tesla. "Es ist das ganze Rennen und der Unfall zu sehen, natürlich aus einer gewissen Entfernung, weil die beiden schneller weggestartet sind als die anderen Verkehrsteilnehmer", sagte ein Sprecher der Landespolizei.

"Kein Hinweis" auf Straßenrennen im Akt

Das zuständige Landesgericht Wien, das über einen U-Haft-Antrag gegen den Unfalllenker zu entscheiden hatte, kam aber zu einem anderen Schluss. "Im Akt findet sich überhaupt kein Hinweis, dass ein Straßenrennen stattgefunden hat", sagte Christina Salzborn, die Sprecherin des Gerichts, am Donnerstag dem STANDARD. Warum die Wiener Polizei von einem Rennen gesprochen habe, könne nicht nachvollzogen werden.

Der zuständige Haft- und Rechtsschutzrichter hatte zu entscheiden, ob gegen den festgenommenen Lenker die U-Haft verhängt wird. Diese hatte die Staatsanwaltschaft Wien beantragt, sie machte laut Salzborn den Haftgrund Fluchtgefahr geltend. Der 26-jährige Unfalllenker stammt aus Syrien und besitzt einen belgischen Führerschein. Nach Sichtung des aufgezeichneten Videos kam der Haft- und Rechtsschutzrichter aber zum Schluss, dass kein Haftgrund vorliegt. Der 26-Jährige wurde noch am Mittwochnachmittag enthaftet.

Vor der Polizei gab der Mann an, dass er sich als Tourist in Wien aufhalte und zuvor auch schon andere Länder besucht habe. Er lebt seit mehreren Jahren in Belgien und betreibt dort seit dem Jahr 2014 auch ein bekanntes Restaurant. Laut Salzborn gilt der Mann als unbescholten und als bestens integriert. Er habe zugesichert, zu kooperieren und zu möglichen Gerichtsverhandlungen zu kommen.

Ermittlungen wegen grob fahrlässiger Tötung

Zudem besteht zwischen Österreich und dem EU-Staat Belgien ein Rechtshilfeabkommen, das ausgezeichnet funktioniert. Er musste weder seinen Reisepass abgeben noch ein Gelöbnis leisten, sich dem Strafverfahren zu stellen. Er konnte also ohne weitere Auflagen das Land verlassen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiterhin wegen grob fahrlässiger Tötung. Der Maximalstrafrahmen bei diesem Delikt liegt bei drei Jahren Haft. Das ist bei Autounfällen mit tödlichem Ausgang nichts Ungewöhnliches. Zu klären wird aber noch sein, ob sich der 26-jährige Unfalllenker im PS-starken Mercedes und der beteiligte 30-Jährige, der einen BMW steuerte, auf der Ringstraße zu einem "Hatzerl" hinreißen lassen haben. Darauf deuten Aussagen eines Polizeisprechers hin. Ein "Hatzerl" beschreibt umgangssprachlich ein unabgesprochenes Ampelstartrennen, das einander bisweilen vor allem PS-starke Boliden liefern.

Mögliches "Hatzerl"

Demnach hätten die beiden Fahrzeuge bei einer Ampelkreuzung vor dem Unfall viel schneller beschleunigt als andere Verkehrsteilnehmer. Das sei auf dem Tesla-Video ersichtlich gewesen. Wie schnell genau der Beschuldigte unterwegs war und ob er die Höchstgeschwindigkeit auf der Ringstraße (50 km/h) überschritten hat, muss ein Sachverständiger klären. Fest steht, dass der 26-Jährige eine rote Ampel vor dem Unfall missachtete und nicht alkoholisiert war. Eine Amtsärztin hatte beim Lenker aber eine Übermüdung festgestellt.

Die unbeteiligte 48-Jährige wurde bei der Kollision in ihrem stark beschädigten Fahrzeug eingeklemmt, Einsatzkräfte der Feuerwehr mussten den Wagen mit hydraulischem Gerät öffnen. Sie wurde in ein Spital gebracht, erlag dort aber ihren schweren Verletzungen. (David Krutzler, 15.9.2022)