Eine nächtliche Straßenbahnfahrt endete für einen 47-Jährigen tagelang im Spital, nachdem er von einem anderen Fahrgast schwer verprügelt wurde.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Selbst Verteidigerin Irene Oberschlick will und kann nichts beschönigen. "Es ist einfach unfassbar, wenn man die Anklage liest", sagt sie im Eröffnungsplädoyer zu den Vorwürfen der absichtlichen schweren Körperverletzung, die die Staatsanwaltschaft ihrem Mandanten macht. Der 29-jährige Alexander A. soll in den späten Abendstunden des 2. Oktober 2021 in den nördlich der Donau gelegenen Stadtbezirken mit der Straßenbahn gefahren sein. Sturzbetrunken, dafür ohne FFP2-Maske. Als ihn ein 47-jähriger Fahrgast aufforderte, Mund und Nase zu bedecken, verpasste der unbescholtene Angeklagte dem anderen Fahrgast zunächst einen Faustschlag ins Gesicht. Damit nicht genug: Als der Ältere ausstieg, schleuderte A. ihm eine volle Bierflasche gegen den Kopf und trat dem vor der Tram-Garnitur auf der Straße Liegenden dann noch gegen den Kopf-Schulter-Bereich.

Der geringfügig beschäftigte Österreicher bekennt sich mit hängenden Schultern vor dem Schöffengericht unter Vorsitz von Philipp Schnabel uneingeschränkt schuldig. "Ich bin nicht stolz auf so was, und ich genier mich auch dafür", gesteht er ein. Das Gericht kann damit auf die Einvernahme der anderen Fahrgäste verzichten und will nur noch vom Verletzten wissen, ob er Schmerzensgeld fordert.

Schlüsselbeinbruch und Schädel-Hirn-Trauma

Schnabel muss den Zeugen aus baulichen Gründen bitten, etwas lauter zu sprechen. "Es ist leider eine Katastrophe hier mit der Akustik", fasst der Vorsitzende den Raumklang im Saal 312 zusammen. Der 47-Jährige bemüht sich also, lautstark zu beschreiben, welche körperlichen Folgen die Attacke für ihn hatte. Er erlitt einen Schlüsselbeinbruch, ein Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen im Gehirn, Rissquetschwunden am Kopf, Abschürfungen und Hämatome. Sechs Tage lag er stationär im Krankenhaus, auch elf Monate später muss er immer noch Übungen machen, um die Beweglichkeit der Schulter wieder völlig herstellen zu können.

"Ich war beim Weißen Ring, das Sozialministerium hat mir schon 4.000 Euro Entschädigung gezahlt", verrät das ohne Privatbeteiligtenvertreterin erschienene Verbrechensopfer. "Vom Angeklagten hätte ich gerne weitere 3.000 Euro. Ich denke, das ist fair", meint der Zeuge. A. verspricht, diese Summe in Raten zu zahlen.

Schnaps ist zu meiden

Verteidigerin Oberschlick, die sonst eher als Privatbeteiligtenvertreterin im Verhandlungssaal auftritt, merkt in ihrem Schlussvortrag an, dass sie es seltsam findet, dass das Opfer keinen Rechtsbeistand zur Seite gestellt bekommen hat. Ihr Mandant sei mittlerweile klüger geworden, ist sie überzeugt: "Ihm ist bewusst, dass er knapp an einer Mordanklage vorbeigeschrammt ist", hält sie fest. Auch seine Problemlösungsstrategie habe sich geändert: "Ihm ist klar, dass der Schnaps zu meiden ist, wenn man angefressen ist."

Während der Urteilsberatung entschuldigt sich der Angeklagte vor dem Saal mit Handschlag nochmals bei dem Verletzten. Er habe damals familiäre und berufliche Probleme gehabt, versucht er zu erklären. Warum er damals aber derart ausgerastet ist, weiß er selbst nicht.

Der Senat braucht nicht lange, um eine Entscheidung zu treffen: A. wird wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung zu 20 Monaten Haft verurteilt, acht davon sind unbedingt. Da weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung eine Erklärung abgeben, ist das Urteil nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 16.9.2022)