"Der hohe Energieverbrauch von Bitcoin hat den Vorteil, Sicherheit vor Attacken zu bieten und somit eine Stabilität gewährleisten zu können", sagt Blockchain-Experten Robert Schwertner.

Der "Merge" von Ethereum sorgte in den letzten Tagen für großes Aufsehen in der Welt der Kryptowährungen. Dahinter steckt ein technisches Software-Upgrade, das den Konsensmechanismus des Netzwerks auf ein Proof-of-Stake-Modell umstellt. Mit diesem Schritt will Ethereum vor allem seinen CO2-Fußabdruck um mehr als 99 Prozent reduzieren und somit das Image des Klimasünders ablegen.

Eine solche Reduktion scheint für Branchenprimus Bitcoin noch unvorstellbar. Aber warum eigentlich? DER STANDARD hat beim österreichischen Blockchain-Experten Robert Schwertner nachgefragt, was der Merge für den Bitcoin bedeutet und was die größte Kryptowährung daran hindert, grüner zu werden.

STANDARD: Wie beurteilen Sie den Merge von Ethereum bis jetzt?

Schwertner: Der Merge ist bis jetzt sehr erfolgreich verlaufen, es sind keine nennenswerten Probleme aufgetaucht. Im Gegenteil: Die Blockchain scheint sehr stabil zu laufen, allerdings wird sich erst in den nächsten Tagen zeigen, ob das für alle Anwendungen auch gilt. Wie bei allen Computerprogrammen sind manche Fehler sehr offensichtlich, manche sehr versteckt, aber die größten Hürden sollten bald genommen sein.

STANDARD: Die Marktkapitalisierung von Bitcoin ist mehr als doppelt so groß wie von Ethereum. Sollte die Priorität nicht darauf liegen, den Energieverbrauch der stärksten Kryptowährung zu senken?

Schwertner: Ganz richtig, Bitcoin ist jetzt das umweltfeindliche Enfant terrible unter den Blockchains. Es ist die wichtigste Blockchain, sie ist aber auch ein Laborprojekt gewesen, das sich gewaltig weiterentwickelt hat. Der berechtigten Forderung, diese Blockchain auch energiesparender zu machen, schließe ich mich an.

Bitcoin mit einer Umstellung energieeffizienter gestalten zu können scheitert aber nicht an der Technologie, sondern vor allem an den Menschen, die involviert sind. Der Widerstand ist sehr hoch: Bei Bitcoin hängen unglaublich viele Miner dran, und Investoren setzen auf die Stabilität, die gerade durch den Energieverbrauch gewährleistet wird. Die Beteiligten wollen das einfach nicht aufgeben.

STANDARD: Glauben Sie, dass Ethereum Bitcoin mit dem Merge unter Druck setzen kann?

Schwertner: Bitcoin kommt definitiv unter Druck. Der Erklärungsbedarf ist da, weshalb man nicht auch umstellen kann, und hinsichtlich Software wäre eine Umstellung auch kein schwieriges Unterfangen. Es fehlt nur einfach der Wille. Ich kenne aus meiner Praxis zwei Konzerne, die Ethereum bislang nicht eingesetzt haben, mittlerweile aber einen Einsatz erwägen, weil das Netzwerk jetzt den Unternehmensrichtlinien entspricht. Man merkt, dass der Merge ein Umdenken bewirkt.

STANDARD: Was spricht dagegen, dass Bitcoin auch auf Proof of Stake umstellt?

Schwertner: Das ist ungefähr so als würde man das Bargeld abschaffen wollen. Klar, es verbraucht viel Energie, Metall und Papier. Geht aber nicht, weil die Menschen es wollen, und bei Bitcoin ist es ähnlich. Der hohe Energieverbrauch von Bitcoin hat den Vorteil, Sicherheit vor Attacken zu bieten und somit eine Stabilität gewährleisten zu können. Das ist genau das, was Investoren und Miner wollen. Momentan sehe ich da keine Lösung.

STANDARD: Gäbe es realistische Alternativen zur Umstellung des Konsensverfahrens, um den CO2-Fußabdruck von Bitcoin zu verringern?

Schwertner: Natürlich gäbe es Zwischenlösungen, es muss nicht alles auf der Bitcoin-Blockchain gespeichert werden. Ein wesentliches Problem bei Bitcoin besteht aber darin, dass nicht so viele Entwickler zur Verfügung stehen wie bei Ethereum, die diese Blockchain weiterbringen. Deswegen passieren ja die meisten Anwendungen und Innovationen auf Ethereum. Bitcoin hat einen anderen Wert, es ist ein Werteaufbewahrungssystem. In Zeiten hoher Inflation hat auch das seine Berechtigung.

STANDARD: Die USA sind derzeit wichtigster Standort für Bitcoin-Miner. Gleichzeitig hat die US-Regierung ein Mining-Verbot in den Raum gestellt für den Fall, dass sich Betreiber nicht an Umweltstandards halten. Welche Konsequenzen könnte das haben?

Schwertner: Das stimmt, Europa spielt bei Bitcoin-Mining im Gegensatz dazu überhaupt keine Rolle mehr. Selbst wenn man dort Mining verbieten würde, hätte das keine Auswirkungen. Sollten die USA hingegen Green Mining fordern, dann werden Bitcoin-Miner entweder Wüsten mit Photovoltaik zustellen. Oder sie verlegen den Standort nach Lateinamerika, in den asiatischen Raum, vielleicht auch in den Iran. Bitcoin ist also schwer angreifbar, der Einfluss der USA ist nur begrenzt vorhanden.

STANDARD: Zum Merge von Ethereum hörte man von Kritikern oft, dass Proof of Stake eine Gefahr für die Dezentralisierung bedeute. Aber ist Bitcoin trotz Proof of Work derzeit nicht auch sehr zentralisiert?

Schwertner: Es ist richtig, dass Bitcoin keine ideale Dezentralisierung aufweist. Es gibt theoretisch drei große Mining-Pools, die den Bitcoin gemeinsam übernehmen könnten. Rein theoretisch, in der Praxis halte ich das für ausgeschlossen, Bitcoin ist sehr sicher. Beim Proof of Stake von Ethereum hingegen besteht nicht die Gefahr, dass die Währung direkt zentralisiert wird, sondern vielmehr, dass Staaten indirekt über Regulierung der Pools Einfluss auf das Netzwerk nehmen könnten. (Benjamin Brandtner, 16.9.2022)