In einer virtuellen Realität können Unternehmen ihre Produkte erlebbar machen.
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Der Begriff Web3 ist ein nicht eindeutig definierter Sammelbegriff aus Technologien wie 3D-Spieleumgebungen, smarten Brillen, künstlicher Intelligenz, Gestik- und Sprachsteuerung, digitalen Zwillingen sowie neuen Organisationsformen ("dezentralized autonomous organizations") und Web3-Geschäftsmodellen. Eine wesentliche Rolle im Web3 spielt die zugrunde liegende Blockchain-Technologie.

Als Unterkategorie des Web3 können die sogenannten Metaversen gesehen werden. Die Virtual Realities eröffnen eine eigene, virtuelle 3D-Welt, in der die User ihre Avatare durchnavigieren und Dienstleistungen, Güter und Erlebnisse konsumieren können.

Das von Facebook – nunmehr Meta – gegründete Metaverse namens "Horizon Worlds" bietet den Usern – wie etwa bei Minecraft – die Möglichkeit, eigene Welten zu bauen, Konzerte zu besuchen und gemeinsam für reale Projekte zu arbeiten. Das Beratungsunternehmen PwC lädt in dem firmeneigenen Metaverse Kandidaten ein, den Recruiting- und Assessmentprozess als Avatare zu bestreiten.

Neben den Kostenersparnissen geht es auch darum, die Attraktivität als Arbeitgeber bei digitalaffinen Zielgruppen zu steigern. Viele große Unternehmen haben bereits Schritte gesetzt, um als Marke im Web3 präsent und auffindbar zu sein und erzielen erste Web3-Umsätze. Diese Möglichkeiten sind für viele Branchen interessant:

Finanzbranche

Mit den Kryptowährungen wie Ethereum oder Bitcoin entstand ein alternatives Finanzsystem, das ohne Banken und Staat auskommt. Momentan liegen die Kurse tief ("Kryptowinter"), und es gibt wie in allen Systemen unseriöse Teilnehmer. Die Geschichte lehrt uns aber, dass das bei vielen Systemen am Beginn so war.

Die ambitionierten Projekte arbeiten an einem geringeren Stromverbrauch der Blockchains (Proof of Stake). Risikokapitalgeber haben – angeführt vom Venture-Capital-Unternehmen Andreessen Horowitz – zudem das Web3 selbst als spannendes Betätigungsfeld als Investoren entdeckt und im Jahr 2021 rund 30 Milliarden US-Dollar in Krypto- und Blockchainfirmen investiert.

Kunst und Kultur

Kunstwerke, Konzerttickets oder digitale Kleidungsstücke für Avatare sind digitale Güter – also mehr oder weniger Kopien analoger Produkte in der virtuellen Welt – kurz "NFT" (Non-Fungible Tokens): Digitale Kunst kann als NFT auf virtuellen Auktionen gehandelt bzw. ersteigert werden.

Digitale Kunst kann nicht nur in Ausstellungen betrachtet, sondern auch virtuell ersteigert werden.
Foto: AP / Tsafrir Abayov

Ein Beispiel ist die Cartoon-Sammlung "Bored Ape Yacht Club", die Bildchen werden zurzeit mit einem durchschnittlichen Preis von jeweils 130.000 Dollar gehandelt. Der größte NFT-Marktplatz ist derzeit Open Sea, der potenziell wohl größte Web3-Konkurrent von Amazon.

Immobilien

In den Metaversen werden auch digitale Grundstücke in virtuellen Welten verkauft: Sie existieren nicht real, ihre Kosten aber schon. Im Decentraland etwa kann man mit der Kryptowährung Mana digitale Grundstücksparzellen kaufen – die in begehrten Lagen schon mal umgerechnet 200.000 Euro kosten können. Metaversen ziehen also auch hier reale Investoren und Spekulanten an.

Entertainment und Konsum

Das Metaverse zielt auf Virtual-Reality-Erlebnisse und -Begegnungen sowie soziale Interaktionen ab, gleichzeitig sind auch Product- und Brand-Placement für Marken sehr interessant. Immer mehr globale Marken zieht es in die virtuellen Welten auf Kundenfang: Nike stattet die Avatare der User im Nikeland auf der Spieleplattform Roblox aus, die Luxusmarke Gucci gestaltete ebendort eine virtuelle Gartenausstellung und verkaufte eine limitierte Edition an digitalen Produkten – die von Usern sogar deutlich teurer weiterverkauft wurden, als sie im echten Leben wert waren.

Eines ist sicher: Das Surfen im bisher üblichen World Wide Web via Smartphone und Bildschirm hat ein Ablaufdatum. In den nächsten fünf bis zehn Jahren werden wir uns im virtuellen oder augmentierten realen Raum bewegen – so wie wir heute nicht ohne Mobiltelefon aus dem Haus gehen.

Bis 2030 sollen in Metaversen laut Einschätzung des Beratungsunternehmens McKinsey rund fünf Billionen US-Dollar an Wertschöpfung generiert werden. Auch Jobs gibt es dort immer mehr, die Betreiber bauen kleine Volkswirtschaften. So kann man etwa mit Computerspielen Geld verdienen, wenn man virtuelle Tiere aufzieht oder andere Spieler trainiert. Auch wenn vielen von uns diese Anwendung seltsam erscheint, folgt sie dennoch klassischen Wirtschaftsdynamiken – und sie wächst.

Eine Web3-interessierte Führungskraft sollten es einfach ausprobieren: Legen Sie sich eine Kryptowallet an, borgen Sie sich eine virtuelle Brille aus, oder testen Sie ein Recruiting mit virtuellem Onboarding. Erst wenn man im Kleinen hineinschnuppert, kann man fürs Unternehmen eine fundierte Entscheidung treffen. Einen Fehler, der schon einmal passiert ist, sollten wir nicht wieder machen: Die damalige Geschwindigkeit der Verbreitung des Web 2.0 hat viele, insbesondere in Europa überrascht. Wir dürfen nicht in fünf Jahren erneut bereuen, auch die Chancen des Web3 verschlafen zu haben. (Barbara Stöttinger, Martin Giesswein, 16.9.2022)