Der frühere ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz schreibt in seinem Gastkommentar über Österreichs Medienpolitik und darüber, was sich dringend ändern muss.

Seit 2007 hat sich die Medienwelt stärker verändert als in den 50 Jahren davor. Das goldene Zeitalter der gedruckten Zeitungen und Magazine sowie des Fernsehens als Leitmedium geht zu Ende. Smartphone (2007) und Smart-TV (2010) traten ihren Siegeszug als beherrschende Plattformen der Mediennutzung an. Milliarden Menschen veränderten innerhalb kürzester Zeit ihre Mediennutzung. Online-, Social und Streaming-Media bestimmen immer stärker, wie wir uns informieren und unterhalten.

Ist der ORF für die Zukunft gerüstet? Was gehört geändert?
Foto: Heribert Corn

Von den beherrschenden Plattformen dieser neuen Medienwelt kommen vier (Google, Youtube, Facebook und Instagram) aus den USA und eine aus China (Tiktok). Aus Europa? Keine einzige! Die stärksten Streaming-Plattformen kommen aus den USA (Disney+, Netflix, Amazon). Aus Europa? Keine einzige!

Die Plattformen vereinigen den größten Teil der Nutzung und der Onlinewertschöpfung auf sich. Mit der Macht dabei generierter Daten entziehen sie klassischen Medien Werbe- und Transaktionswertschöpfung. Der Abfluss von Onlinewerbung an US-Plattformen wird sich 2022 auf zwei Milliarden Euro verdoppeln. In den nächsten fünf Jahren werden sich die medialen Ökosysteme noch einmal disruptiver verändern als in den letzten zehn Jahren. Papierpreistsunami, Inflation, Pandemiefolgen und Portierung des jugendlichen Userverhaltens in die höheren Altersdekaden verstärken den technologisch-ökonomischen Trend.

Enormer Zeitdruck

Europäische Medienpolitik? Nicht existent! Österreichische Medienpolitik dreht sich im Kreis zwischen wirklichen, behaupteten und vermeintlichen Interessen der unterschiedlichen Medien-Stakeholder. Wenn die Politik weiterhin daran scheitert, die Dramatik des Wandels zu verstehen und die richtigen Schlüsse aus der Analyse zu ziehen, wird es im Jahr 2030 nur noch Rudimente des Printbereichs, des öffentlichen Rundfunks und der Privatsender geben. In der Information wird Europa von US-amerikanischen Digitalplattformen so abhängig sein wie derzeit im Energiebereich vom russischen Gas. Die Komplexität ist hoch, der Zeitdruck enorm. Die Antworten einfach.

Das Ziel ist klar: ein leistungsfähiger verlegerbasierter Printmedienbereich mit der Kraft, sich zu digitalisieren, ein starker ORF mit der Kraft und dem Auftrag, den Weg in die neue Video- und Audiowelt zu gehen. Strategische Public-Private-Partnerships der beiden Bereiche sind eine Säule der digitalen Zukunft.

Die Abschaffung und/oder Schwächung von einzelnen Medien ist kein Mittel der Stärkung aller Medien. Verbote und oder Entzug von Förderungen und anderer Finanzierung für einzelne Angebote helfen nicht, das gesamte mediale Ökosystem zu stärken. Aderlass ist auch im Medienbereich kein Mittel für gesunde Entwicklungen.

Globale Konzentration

Vielmehr geht es darum, dem Medienbereich Mittel, die durch Plattformlogik und globale Konzentration entzogen wurden, wenigstens teilweise wieder zuzuführen. Die österreichische Digitalsteuer für globale Plattformen wie Google und Facebook wurde richtig konzipiert. Es fehlt jedoch der zweite wesentliche Teil des ursprünglichen Konzepts. Die Erlöse, die bald 100 Millionen Euro erreichen werden, müssen durch Zweckwidmung in den österreichischen Medienkreislauf rückgeführt werden.

Für diese so massiv ausgebaute Medienförderung sind neue Instrumente zu entwickeln. Kernpunkt ist die Förderung von Abo-Modellen. Eine substanzielle Förderung jedes abgeschlossenen Digitalabos wäre transparent und effizient.

Der Gedanke, dass durch ein Verbot der ORF-On-Seite Hunderttausende zu privaten Digitalabos wandern würden, entbehrt jeder faktenorientierten Grundlage. Im Gegenteil, eine der Aufgaben einer auf Überblicksberichterstattung konzentrierten ORF-On-Seite der Zukunft wäre es, zu den vertiefenden abobasierten Angeboten aus dem Printsektor hinzuführen. Mit einfachen Registrierungs- und Log-in-Modellen und der öffentlichen Förderung der Abo-Preise in den kommenden Jahren wäre es möglich, eine Million digitale Abonnenten zu gewinnen. Um das Vertrauen der Verlage in die Schubkraft der ORF-On-Seite zu erhöhen, ist eine Beteiligung der Verleger als Public-Private-Partnership zu ermöglichen.

Überfällige rechtliche Möglichkeiten

Im Gegenzug sind dem ORF endlich die längst überfälligen rechtlichen Möglichkeiten für Audio- und Videoangebote der Zukunft zu geben. Die Limitierung des TV auf das lineare Zeit- und Inhaltskonzept des klassischen Fernsehens führt unweigerlich dazu, dass die digitale Videozukunft von den Algorithmen und Angeboten westlicher oder chinesischer Konzerne gestaltet wird. Die nachhaltige Finanzierung des ORF ist durch rasche und einfache gesetzliche Schließung der Streaminglücke sicherzustellen.

Österreich hat einen sehr starken verlegerbasierten Printbereich und einen leistungsfähigen ORF. Kluge und schnell gestaltete zukunftsfähige Rahmenbedingungen müssen das langfristig absichern. (Alexander Wrabetz, 16.9.2022)