Einzige Frau unter Männern: Am 25. September 1981 wurde Sandra Day O’Connor als erste Frau zur Richterin des U.S. Supreme Court ernannt.
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Am 25. September veranstaltet das 2009 gegründete Institut der ehemaligen U.S.-Supreme-Court-Richterin Sandra Day O’Connor den nach ihr benannten "Sandra Day O’Connor Day". Dieser Tag dient, wie Institutsleiterin Sarah E. Suggs betont, dem Diskurs über aktuelle verfassungspolitische Fragen, von denen es derzeit besonders viele gibt. Frauen in maßgeblichen juristischen Positionen sollen die fehlende Stimme der Richterin ersetzen, die sich 2018, bedingt durch eine Alzheimer-Diagnose, ganz aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hat.

Die am 25. September 1981 vereidigte Richterin spielte in den USA eine zentrale, ausgleichende Rolle in mehreren großen, sehr politischen Fällen. Im Streit um die vom U.S. Supreme Court im Jahr 1973 im Urteil Roe vs. Wade gefällte und 1992 im Fall Planned Parenthood vs. Casey bestätigte "liberale" Fristenlösungsentscheidung, aber auch im Wahlrechtsfall Bush vs. Gore im Jahr 2000 spielte O’Connor das Zünglein an der Waage. Seit sie im Januar 2006 den Ruhestand antrat, ist vieles anders geworden. Das am 24. Juni des heurigen Jahres gefällte, stark umstrittene Urteil im Fall Dobbs vs. Women’s Health Mississippi stammt ausgerechnet aus der Feder ihres direkten Nachfolgers Samuel Alito.

Das Abtreibungsurteil erfolgte mit einer 6:3-Mehrheit unter Federführung von Alito, der auch Bedenken des amtierenden Präsidenten des U.S. Supreme Court sowie obersten Richters der USA, John Roberts, wegfegte. Der 2009 von Präsident George W. Bush ernannte Richter Alito, ein italienischstämmiger Katholik, ist verheirateter Vater einer Tochter. Er graduierte in Princeton, New Jersey, an der Woodrow Wilson School. Donald Trump trug zudem mit der Nominierung der Mitglieder Neil Gorsuch, Brett Kavanaugh und Amy Coney Barrett zur Umwälzung der Mehrheitsverhältnisse in eine strikt konservative, kompromissfeindliche Richtung bei.

Der Bruch mit der weiten Auslegung von Persönlichkeitsrechten, die nicht ausdrücklich in der Verfassung stehen, führte zu problematischen, vor allem sozial schwache Frauen diskriminierenden Regelungen, welche einige Midwest-Staaten bereits vorbereitet hatten. Die Sorge wegen weiterer Einschränkungen ist mehr als berechtigt.

Ein Vierteljahrhundert

Sandra Day O’Connor wurde von republikanischer Seite nominiert, aber sie blieb ihren Überzeugungen verpflichtet. Indem sie liberale Positionen wie das Festhalten am bundesweiten Abtreibungsrecht teilte, riskierte sie hasserfüllte Angriffe von ultrarechter Seite. Die heute 92-jährige Juristin, die am 26. März 1930 in El Paso, Texas, geboren wurde, ließ sich von untergriffigen Attacken, mit denen sie konfrontiert war, nicht einschüchtern. Mit sechzehn hatte sie in Texas die Schule abgeschlossen, in den Jahren 1946 bis 1952 absolvierte sie die Stanford University und Law School. Als die von Senator Barry Goldwater geförderte Juristin von Präsident Ronald Reagan zur ersten Richterin am U.S. Supreme Court vorgeschlagen wurde, votierte der Senat im Hearing einstimmig für sie. In Washington D.C. traf sie auf ihren Studienkollegen, Höchstrichter William Rehnquist, der sie auch vereidigte. Ein Vierteljahrhundert, 1981 bis 2006, diente sie auf der Richterbank, ehe sie ihrem damals erkrankten Gatten John Jay O’Connor zuliebe im Alter von 76 Jahren in den Ruhestand trat. Er starb im Jahr 2009, das Paar hat drei Kinder.

Sandra Day O’Connor erwarb sich hohes Ansehen für ausgewogene und durchdachte Standpunkte und ihr unprätentiöses Auftreten. Als Richterin agierte sie weise, förderte Frauenrechte und trug verantwortungsbewusst zur Entscheidungsfindung bei. Anlässlich ihrer Nominierung flatterten Droh- und Hassbriefe ("Zurück an den Herd!") ins Weiße Haus, aber die Zustimmung überwog. Dennoch dauerte es, bis der Wandel die Bevölkerung erreichte. Mehrfach erlebte Day O‘Connor bizarre Situationen, etwa wenn in einem Restaurant Gäste auf ihren Ehemann zutraten, diesem gestenreich die Hand schüttelten, weil sie gehört hatten, dass "der ehrenwerte Richter O’Connor" im selben Raum war. Die Gratulierenden glaubten, dass es der Gatte war, der dem obersten Bundesgericht angehörte. Allmählich gewöhnte sich die Öffentlichkeit an die unkonventionelle, sportlich elegante Frau auf dem Richterstuhl, zu der sich mit der vom demokratischen Präsidenten Bill Clinton nominierten Ruth Bader Ginsburg erst zwölf Jahre später eine zweite, vom Typus her ganz andere, aber ebenso beeindruckende Juristin gesellte.

Ginsburg, deren markantes Kürzel "RBG" und deren Motto "I dissent" Furore machten, starb 2020 infolge einer Tumorerkrankung im Amt. Dies war nicht nur für ihre Angehörigen eine Tragödie, weil Präsident Donald Trump so, wie schon berichtet, sein Nominierungsrecht wahrnehmen konnte. Erst als Day O’Connor bereits den U.S. Supreme Court verlassen hatte, folgte die dritte Höchstrichterin, Maria Sotomayor, die von Barack Obama nominiert als erste Frau mit hispanischen Wurzeln 2009 ans Höchstgericht kam. Elena Kagan folgte 2010 als vierte – und die rechte Professorin Amy Coney Barrett als fünfte Frau. Die sechste, von Präsident Joe Biden nominierte, afroamerikanische Richterin, Ketanji Onyika Brown Jackson, ist seit Ende Juni 2022 im Amt. Kagan und Sotomayor haben gemeinsam mit Richter Breyer, dem Brown Jackson nunmehr nachfolgte, ein Minderheitenvotum zum Abtreibungsurteil vom 24. Juni 2022 erstellt, aber blieben mit 3:6 in der Minderheit.

Sandra Day O’Connor ging 2006 mit 76 Jahren in Pension und wurde von Samuel Alito abgelöst
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Wie sehr ein Generationenwechsel die Rechtsprechung beeinflussen kann, zeigt der Fall von O’Connors direktem Nachfolger Samuel Alito. Er galt schon vor seiner Nominierung als vehementer Gegner der Fristenlösung. Während die im als konservativ geltenden Südwesten sozialisierte Day O‘Connor, die mit ihrem Bruder Alan auf einer Ranch aufgewachsen war, eine weise, ausgleichende Linie in heiklen politischen Angelegenheiten vertrat, so schlug ihr Nachfolger gänzlich andere Töne an.

Samuel Alito fuhr nach dem "Erfolg" von Ende Juni, mit dem er den U.S. Supreme Court weltweit ins Gerede brachte, nach Rom, wo er den Vatikan besuchte. Britenprinz Harry versetzte ihm einen verbalen Stoß, als er bei einer Ansprache zum Ukraine-Krieg in einem Atemzug den Rückschritt in der Rechtsprechung seines Gastlandes ansprach. Alito fühlte sich "verletzt", wie er sagte. Aber wenn man die Folgen seines Tuns betrachtet, mit dem er juristisch dem Originalismus verpflichtet, im Endeffekt Frauen der Kriminalisierung und Diskriminierung aussetzt, hält sich Mitleid in Grenzen.

Höchstrichterliche Aura

Seine Vorgängerin erlangte als Richterin den Status einer nationalen Kultfigur. Dies hängt mit ihren Fähigkeiten, ihrem Charakter und ihrer Naturverbundenheit zusammen. Als 15-Jährige lenkte sie einen Pick-up quer durch die klapperschlangenverseuchten Grenzregionen von Arizona und New Mexico, um den Ranch-Arbeitern Mittagessen zuzustellen. Auf der riesigen, "Lazy B" genannten Ranch, wo ihre Eltern Viehzucht betrieben, widerfuhr ihr im Sommer 1945 in brennender Vormittagshitze ein Reifenplatzer, den sie, schweißgebadet und erschöpft, selbst behob, wie sie später in ihren aufgeschriebenen Erinnerungen detailreich schilderte. Nicht nur die Kargheit und die Entbehrungen der Abgeschiedenheit hatten ihre Persönlichkeit geformt, sondern auch ihr akademischer und beruflicher Werdegang.

Die 1950er-Jahre waren harte Zeiten für junge Frauen, die sich an Spitzenuniversitäten durchbeißen mussten und einen adäquaten Job suchten. Im Jahr 1952 hatte Sandra Day bereits zwei akademische Grade aus Stanford inne und war von 102 mehrheitlich Absolventen des Jahrgangs die Drittbeste. Wer glaubt, dass sich Anwaltskanzleien oder Gerichte um Sandra Day rissen, der irrt. Sie musste unbezahlt in Kalifornien als stellvertretende Staatsanwältin beginnen, weil die großen Kanzleien ihr nur Sekretariatsposten anboten. Nachdem sie am 19. Dezember 1952 John Jay O’Connor geheiratet hatte, der ein Jahr nach ihr graduiert hat, ging sie mit ihm nach Deutschland, wo sie als Juristin der U.S. Army diente. Nach der Rückkehr ging Day O’Connor in die Politik und wurde als erste Frau Mehrheitsführerin, ehe sie zur Richterin eines Berufungsgerichts aufstieg. Von dort aus gelang ihr die Nominierung an den U.S. Supreme Court.

Loosen up!

Sandra Day O’Connor schrieb lesenswerte Bücher über den U.S. Supreme Court, über ihre Laufbahn und die schwierige Frauenrolle zwischen Job und Familie. Neben ihrem Bestseller Lazy B über das Aufwachsen auf einer Rinderfarm verfasste sie 2013 ein Werk über die Geschichte des Höchstgerichts mit dem Titel Out Of Order – und auch ein Kinderbuch, in dem ihr erstes Pferd Chico die Hauptrolle spielt. Die Aura ihrer Persönlichkeit wirkt (wie der Autor des Textes das im August 2007 bei einem persönlichen Treffen am Juridicum bemerken durfte) im direkten Kontakt noch stärker.

Als Republikanerin wurde sie vom damaligen Gouverneur Arizonas in ein Berufungsgericht nominiert, ein wichtiger Schritt, um später Höchstrichterin zu werden. Auf die persönliche Frage, was das Motiv für diesen Aufstieg mithilfe eines politischen Gegners war, lautete ihre offene Antwort: "Weil er mich als Konkurrentin loswerden wollte." Als ein betrunkener Schauspieler sie einmal bei einem Empfang in peinlicher Weise aufforderte, doch etwas "lockerer" zu sein, besuchte sie fortan ihr Fitnesscenter mit einem T-Shirt mit der Aufschrift "Loosen up at the Supreme Court". Dem Schauspieler verzieh sie umgehend. Humor und die Fähigkeit zur Selbstreflexion, juristischer Scharfsinn und soziale Empathie, das alles verbindet sich in der Person von Amerikas erster Höchstrichterin. (Gerhard Strejcek, 25.9.2022)