Immer die gleiche Formel? Das kann auf Dauer nicht gutgehen.

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Ausgerechnet Rainbow Six hat Ubisoft den sprichwörtlichen Hintern gerettet. Ausgerechnet jene Serie, der vor Siege das gleiche Schicksal drohte wie Splinter Cell, verramscht als B-Ware und mit der Aussicht, als Mobile-Zombie das weitere Dasein fristen zu müssen. Ausgerechnet jener Taktik-Shooter wurde für Ubisoft im aktuellen Quartalsabschluss zur wichtigsten Marke und rettete neben den noch andauernden Verkäufen von Assassin's Creed die Bilanz vor einem Absturz. Dennoch musste Ubisoft Umsatzeinbußen von fünf Prozent hinnehmen.

Nicht falsch verstehen: Rainbow Six Siege ist immer noch ein großartiges Spiel, die aktuelle Season gilt als die bislang beste des Taktik-Shooters, und Ubisoft macht immer noch einen Umsatz von über zwei Milliarden Euro im Jahr. Aber ein Unternehmen, dessen Absatzzahlen von einem sieben Jahre alten Game und dessen Koop-Spin-off Extraction getragen werden, hat ein Problem. Überschattet wird das alles von anhaltenden Sexismusskandalen und Belästigungsvorwürfen.

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Als der chinesische Großkonzern Tencent Anfang September über Umwege 11,3 Prozent der Anteile des französischen Publishers kaufte, stürzte die Aktie um beinahe 24 Prozent ab. Dabei war Ubisoft zumindest in den Köpfen vieler Gamerinnen und Gamer das letzte echte Familienunternehmen in der Videospieleindustrie, obwohl die Co-Gründer, die Guillemot-Brüder, ohnehin nur noch einen kleinen Aktienanteil hielten.

Der Fluch der Ubisoft-Formel

Was den Aktionären langsam dämmert, wusste die Kundschaft von Ubisoft, die Gamerinnen und Gamer, längst: Ubisoft steckt mit den großen Marken Assassin's Creed und Far Cry in der Krise, weil zu lange auf das immer gleiche Rennpferd gesetzt wurde – man könnte sogar meinen, Ubisoft hätte den Gaul noch geritten, als er schon längst tot war. Far Cry hat mittlerweile sechs Teile, die Spin-offs nicht mitgerechnet – und ist seit einer Dekade dasselbe Spiel. Eine Open-World-Beschäftigungstherapie aus Ballern, Tiere für Upgrades jagen und den verhassten Funktürmen – das Franchise hat sich seit Far Cry 3 aus dem Jahr 2012 nicht wesentlich verändert.

Assassin's Creed steckt in einem ähnlichen Problem wie 2016, als mit Syndicate der neunte Teil der Serie erschien. Der war zwar spielerisch solide und technisch besser als der Vorgänger – aber er war auch der neunte Teil des immer gleichen Spiels. Der Reboot mit Origins war danach origineller, aber die Nachfolger Odyssey und Valhalla waren im Grunde wieder das gleiche Spiel noch einmal aufgewärmt. Die Spielzeit wurde länger – manchem zu lang –, und mittlerweile ist klar: Assassin's Creed braucht einen Relaunch vom Relaunch.

Das neue Line-up beinhaltet drei "Assassin's Creed"-Spiele, ein Mobile-Game, eine Netflix-Serie und "Infinity".
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Es mag eine Verschwörungstheorie sein, dass die Einladung zum Reveal-Event vergangene Woche vor allem auf Druck der Aktionäre erfolgte, schließlich stellen fast alle großen Publisher ihre kommenden Spiele zu Herbstbeginn vor. Klar ist aber: Ubisoft muss jetzt liefern.

Ubisoft beweist Humor

Geht man nach Zwischentönen in der Show, dann könnte Ubisoft die Zeichen der Zeit richtig gedeutet haben. Zumindest macht sich ein Projektmanager namens Pierre in einem kurzen Abschnitt über die "Eagle Dives" und die klischeehafte Darstellung von Bösewichten in Assassin's Creed seit dem ersten Teil aus dem Jahr 2007 lustig. Darüber hinaus wird angedeutet, dass niemand mehr die Trailer der Serieneinträge unterscheiden könne – Humor haben sie bei Ubisoft.

Schnell wurde klar, wer den Karren aus dem Dreck ziehen muss und welches Pferd weitergeritten wird – die Meuchelmörder müssen es wieder einmal richten. Mirage soll der nächstjährige Serieneintrag heißen, und er soll in Bagdad spielen, was Veteranen des ersten Teils freuen dürfte, schließlich durfte man schon anno 2007 den arabischen Raum bereisen. Ein mutiges Setting. Als Service für die Fans darf man Assassin's Creed: Red bezeichnen, die sich ja schon lange einen Serienteil im feudalen Japan wünschen. Besonders früh springt Ubisoft aber nicht auf den Japan-Zug auf: Nioh, Sekiro, Ghost of Tsushima spielen alle in derselben Ära und haben nun schon ein paar Jahre auf dem Buckel. Mit Assassin's Creed Hexe ist ein düsteres Spiel in Arbeit, das wohl im Deutschland des 16. Jahrhunderts spielen soll – ein Abstecher ins Horrorfach könnte der Serie tatsächlich guttun. Allen genannten Spielen ist aber gemein, dass man den Rollenspielaspekt reduziert und mehr auf Action-Adventure und Story setzen möchte. Damit werden die Spiele nun auch wieder kürzer, was ihnen die einschüchternde Wucht von Odyssey oder Vallhalla nehmen soll.

"Infinity" soll eine Art Hub-Welt für alle Serienteile werden.
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"Infinity", der Hub für Meuchelmörder

Wirklich spannend ist aber Assassin's Creed Infinity, das kein Spiel per se wird, sondern eine Art Hub für die verschieden Teile der Serie. Das klingt zuerst einmal nach einem eigenen Launcher neben Ubisoft Connect, soll aber tatsächlich eine spielerische Komponente aufweisen.

So wird die ohnehin umstrittene Gegenwartsstory in Infinity stattfinden und sich um den Spieler selbst drehen und nicht um Desmond Miles. Die Meta-Story kann also bequem ausgelagert werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, dass der Multiplayermodus zurückkehrt. Das Hub-Konzept macht es Ubisoft darüber hinaus leichter, kleinere Inhalte wie Zusatzmissionen, Abstecher in andere Epochen oder gar Elemente mit anderem Gameplay als den üblichen Stealth-Kills einzubauen.

Bitte versaut es nicht

Die Ideen klingen durchwegs spannend und brechen hoffentlich aus der Abwärtsspirale der berühmt-berüchtigten Ubisoft-Formel aus. Wenn der Publisher jetzt Versuchungen wie Onlineglücksspiel, Mikrotransaktionen, Lootboxen, halbgaren Metaverse-NFT-Experimenten, Mobile-exklusiven Inhalten und fragwürdigen Abomodellen widersteht, dann kann der Turnaround gelingen. Ubisoft, versaut das nicht, Rainbow Six wird die Hintern eurer Assassinen nicht ewig retten. (Peter Zellinger, 19.9.2022)