Atomuhren nutzen Quanteneffekte für besonders genaue Zeitangaben. Die neue Anlage in Wien soll ab 2024 einsatzbereit sein.
Bild: Thorsten Schumm / TU Wien

Für die Zeit gilt das, was auch über den Tod gesagt wird: Sie ist für alle Menschen gleich, unabhängig von Stand und Status. So schwer wir Menschen uns manchmal tun, uns über Dinge einig zu werden, so überraschend einfach einigen wir uns auf die Zeit.

In grauer Vorzeit, als Gestirne und Sonnenstand als Zeitmaß dienten, mag es noch Debatten über verschiedene Ansichten über Zeit gegeben haben, doch mit immer genauer werdenden Uhren verschwand das Problem. Es ist kein Zufall, dass Uhren, sobald sie in ausreichender Präzision hergestellt werden konnten, in Stadtzentren hoch über den Köpfen installiert wurden, wo sie für alle gut sichtbar waren. Wer sie nicht sah, konnte das Glockengeläut als Anhaltspunkt nehmen.

Mit der Miniaturisierung der Uhren, die es erlaubte, Zeitmesser in der Tasche mitzuführen, mögen Streitereien über die richtige Zeit kurz wieder aufgeflammt sein. Wessen Uhr die genauere ist, ist nicht so einfach herauszufinden. Doch inzwischen sind fast alle Uhren der Welt über zentral gesteuerte Signale synchronisiert.

Seither ist die Zeit eines der wenigen Dinge, über die wir nicht mehr streiten müssen. Dem Rückgriff auf eine zentrale, vertrauenswürdige Einheit, von der wir etwas unbezweifelbar Wahres erfahren, haftet etwas beinah Religiöses an, und vielleicht ist es kein Zufall, dass Uhren in Kirchtürmen untergebracht waren.

Atome statt Pendel

Zentral betriebene Uhren, die ein besonders genaues Zeitsignal liefern, gibt es heute noch. Die Rolle der Kirchen haben inzwischen Forschungsinstitute übernommen. Die Uhren selbst bestehen nicht mehr aus sorgfältig gearbeiteten Zahnrädern, sondern sind Hightech-Maschinen, doch wie schon bei den Zahnrädern wird die Wahl der Methode der Zeitmessung durch die Suche nach Materialien bestimmt, die, wie das Metall der Uhrwerke, besonders robust gegenüber äußeren Einflüssen sind. Fündig wurde die Wissenschaft im Mikrokosmos, im Inneren von Atomen.

Eine Atomuhr am National Physical Laboratory in Teddington in Großbritannien, die 2011 die genaueste Uhr der Welt war. Sie arbeitete mit Caesium-Atomen.
Foto: National Physical Laboratory, United Kingdom.

Quantenphysik hat die leidige Eigenschaft, immer noch ähnlich schwer verständlich zu sein wie zur Zeit ihrer Entwicklung in den 1920er-Jahren. Die von den gefundenen Quantenregeln ausgelöste technische Entwicklung ließ sich davon nicht aufhalten. Quantentechnologie durchdringt unseren Alltag inzwischen nahezu vollständig. Heutige Halbleitertechnologie etwa macht großzügig Gebrauch von quantenphysikalischem Wissen.

So auch bei der nun in Auftrag gegebenen Uhr, die an der Technischen Universität Wien gebaut werden soll. Sie wird die genaueste Uhr des Landes sein und die Genauigkeit des bisherigen Rekordhalters um ein Hundertfaches übertreffen.

Der Begriff "Atomuhr" stammt aus einer Zeit, als das Wort "Atom" noch den Nimbus von Fortschrittlichkeit hatte. Vor ihrer Erfindung wurde die Zeit, wenn hohe Genauigkeit vonnöten war, mit Pendeluhren gemessen. Die ersten Atomuhren bedeuteten eine Revolution für die Wissenschaft; heute arbeiten Atomuhren ganz selbstverständlich im Hintergrund vieler alltäglicher Dienste. Doch in ihrer Arbeitsweise und der damit verbundenen Genauigkeit gibt es große Unterschiede.

In allen Fällen übernehmen gefangene Atome die Funktion, die in einer mechanischen Uhr das Pendel innehat. Sie nehmen bei einer ganz bestimmten Frequenz besonders viel Energie auf. Diese Eigenschaft ermöglicht es, eine verbundene Quarzuhr laufend zu korrigieren. Der Unterschied liegt in der verwendeten Frequenz. Je höher sie ist, desto genauer kann die Uhr arbeiten.

Eine besonders interessante Anwendung finden Atomuhren in Navigationssystemen wie GPS oder Galileo. Die Satelliten enthalten Atomuhren, deren Präzision es erlaubt, die Laufzeiten von lichtschnellen Funksignalen so genau zu messen, dass Unterschiede von wenigen Metern festgestellt und in Koordinaten übersetzt werden können. Für die Positionsbestimmung ist ihre Genauigkeit ausreichend, doch es gibt Anwendungen, die noch genauere Zeitangaben benötigen, die mit der in GPS verwendeten Technologie nicht erreichbar sind.

"Ältere Modelle arbeiten noch mit Mikrowellen", erklärt Thorsten Schumm von der TU Wien, der das Projekt leitet. Doch technisch sei inzwischen eine viel höhere Genauigkeit möglich. "Sogenannte optische Atomuhren arbeiten bei Frequenzen von 100 bis 1.000 Terahertz – im Bereich des sichtbaren Lichts", sagt Schumm. "Sie sind viel präziser, doch in Österreich steht eine solche Atomuhr auf Weltklasseniveau derzeit nicht zur Verfügung."

Satelliten von Navigationssystemen wie Galileo haben Atomuhren an Bord.
Foto: ESA-P. Carril

Zwei Sekunden in 14 Milliarden Jahren

Um das zu ändern, wird die neue Uhr der TU Wien nicht wie bisher mit den gängigen Elementen Caesium oder Wasserstoff arbeiten, sondern mit Atomen des Schwermetalls Ytterbium, das sonst nicht für technische Anwendungen bekannt ist, aber für den Bau einer optischen Atomuhr die perfekten Eigenschaften mitbringt. Die damit erreichbare Genauigkeit ist astronomisch. In einer Zeitspanne, die so lang ist wie das Alter des Universums, soll eine solche Uhr nur um zwei Sekunden falsch gehen.

Die typisch österreichische Frage, wozu man Derartiges benötige, erscheint hier angebracht. Die Bedeutung liege in neuen Möglichkeiten für die Forschung, betont Schumm. So sei es etwa möglich, Naturkonstanten genauer zu messen oder Laser für Quantenexperimente besser zu steuern.

Die neue Atomuhr soll dabei nicht nur die lokale Forschung bereichern. Über Glasfaserleitungen sind verschiedene andere Forschungsinstitute an das hochgenaue Zeitsignal angebunden. Die Infrastruktur werde gerade aufgebaut, berichtet Schumm, manche Knotenpunkte für die Glasfaserleitungen seien schon funktionstüchtig.

Es handelt sich um ein auf lange Laufzeit ausgelegtes Großprojekt, das von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) mit 3,2 Millionen Euro unterstützt wird. Der Aufbau wird bis 2024 dauern, bis die endgültige Genauigkeit erreicht wird, sind noch drei Jahre für die Feinabstimmung eingeplant. (Reinhard Kleindl, 19.9.2022)