Ein einfaches Verfahren ohne "diskriminierende" Hürden: Das ist das Ziel des von der deutschen Ampelkoalition geplanten Selbstbestimmungsgesetzes. Trans- oder intergeschlechtliche Menschen sollen damit die Möglichkeit bekommen, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister durch eine simple Erklärung beim Standesamt zu ändern.

Im STANDARD-Interview zeigt Werner Kogler Sympathie für diesen Schritt. "Ein solches Selbstbestimmungsgesetz erscheint mir plausibel", sagt der Vizekanzler und Grünen-Chef, "es würde zu einer liberalen Gesellschaft passen." Allerdings gelte es zu beachten, welche Folgefragen damit verbunden seien. De facto können Menschen, die sich nicht mit ihrem biologischen Geschlecht identifizieren, schon bisher ihren Personenstand ohne Operation ändern. Jedoch ist das mit Hindernissen – etwa einem psychologischen Gutachten – verbunden.

Gegen neue Bremsen

Kein Wohlwollen bringt der Vizekanzler der in Österreich diskutierten Idee entgegen, das Prinzip der Strompreisbremse auf Gas auszuweiten. Dies sei in dem Fall das falsche Instrument. Angesichts der unterschiedlichen Problemlagen und Heizsysteme seien Gemeinden oder Länder besser geeignet, treffsichere Hilfe zu bieten, argumentiert der Chef der kleineren Koalitionspartei. Die türkis-grüne Bundesregierung könnte dafür aber Geld zuschießen.

Was der Grünen-Chef über Laura Sachslehners Attacke, die ÖVP-Blockade des Klimaschutzgesetzes und Aus für die kalte Progression denkt – ein Gespräch.

STANDARD: Laut APA-Vertrauensindex sind Ihre Sympathiewerte im Keller – so wie die von fast allen Regierungspolitikern. Warum ist diese Koalition dermaßen unten durch?

Kogler: Vertrauen ist eine wichtige Währung in der Politik. Verbessern können Regierungspolitiker ihr Guthaben dann, wenn sie liefern. Und das tun wir gerade.

"Auch Asylwerber haben den Klimabonus verdient", sagt der Vizekanzler in Bezug auf jene Debatte, die Ex-ÖVP-Generalsekretärin Laura Sachslehner ausgelöst hatte.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Nicht vertrauensstiftend ist innerkoalitionäres Gezanke. Die abgetretene ÖVP-Generalsekretärin macht die Grünen dafür verantwortlich, dass die ÖVP keine klare Linie mehr hat, ein ÖVP-Abgeordneter wirft Ihnen "Ideologiebesessenheit" vor. Soll das die konstruktive Zusammenarbeit sein, die Sie gerne beschwören?

Kogler: Ich will einzelne Zurufe nicht überbewerten, da wird gern überspitzt formuliert – wofür ich ein gewisses Verständnis habe. Laura Sachslehner hatte als Generalsekretärin auf unsere Arbeit null Einfluss. Weder aufs Parlament noch auf die Regierung.

STANDARD: Der Streit mit Sachslehner entzündete sich am Klimabonus. Warum sollen Asylwerber, die von staatlicher Grundversorgung leben, auf die 500 Euro Anrecht haben?

Kogler: Auch Asylwerber haben sich den Klimabonus verdient, allein schon aus sozioökonomischen Gründen: Alle Menschen in Österreich sind in gewisser Weise von der CO2-Bepreisung betroffen. Außerdem kann man das auch ganz pragmatisch betrachten: Die Regierung hat 180 Tage Hauptwohnsitz in Österreich als Voraussetzung gewählt. Asylwerber per se auszuschließen könnte verfassungsrechtlich problematisch sein.

STANDARD: Wissen Sie eigentlich noch, wofür die ÖVP steht?

Kogler: In der ÖVP gibt es unterschiedliche Gruppen, und mancher davon fängt immer wieder das alte Denken ein – zum Beispiel nach Zurufen von irgendwelchen Fossil-Lobbys. Aber an sich haben wir mit der ÖVP viel weitergebracht, etwa für die Energiewende.

STANDARD: Tatsächlich? Kanzler Karl Nehammer hat kürzlich erklärt, Österreich sei Klimamusterland, Versäumnisse gebe es da eh keine.

Kogler: Ich habe ihn darauf angesprochen. Nehammer bezog sich auf die Stromproduktion. Da gehört Österreich etwa dank Wasserkraft zu den Top-Ländern, da hat er ja recht. Und ab 2030 gibt‘s nur noch Strom aus Erneuerbaren. Bis 2040 wollen wir klimaneutral sein – da gehören wir zu den Ambitioniertesten.

STANDARD: Was ohne Klimaschutzgesetz, auf das Sie sich mit der ÖVP nicht einigen können, kaum möglich sein wird.

Kogler: Das bestreite ich. Mindestens genauso wichtig sind das Ausbau-Gesetz für erneuerbare Energie, das Erneuerbaren-Wärme-Gesetz mit dem Verbot von Gasheizungen, Preisstützungen wie das Klimaticket oder die Milliarden an Förderungen für die Ökologisierung der Wirtschaft.

"Österreich wird auch in Zukunft noch eine der höchsten Steuern- und Abgabenquoten haben – und dazu stehe ich", sagt Grünen-Chef Kogler.
Foto: Robert Newald

STANDARD: Erklären Sie uns gerade, dass es das Klimaschutzgesetz ohnehin nicht braucht?

Kogler: Im Gegenteil. Das Gesetz ist wichtig, weil man einen Pfad braucht, wie man Ziele erreicht. So zu tun, als ginge ohne Klimaschutzgesetz nichts für den Klimaschutz weiter, halte ich aber auch für falsch.

STANDARD: Ihr Ressort hat der Jungbauernschaft und Landjugend Tirols offenbar zu Unrecht mehr als 800.000 Euro an Förderung zukommen lassen. Landeshauptmann Günther Platter spricht von "Unfähigkeit im Vizekanzleramt". Wie konnte das passieren?

Kogler: Aus meinem Ressort ging kein einziger Euro heraus. Die Abwicklungsstelle ist die Förder- und Finanzierungsbank der Republik, die AWS. Und die handelt im Auftrag des Gesetzgebers. Im Gesetz stehen die Grundbedingungen für die Förderungen, die bei so vielen Anträgen halb automatisch abgewickelt werden. Vertiefte Überprüfungen finden im Nachgang statt. Da kam unter anderem heraus, dass die Vorarlberger Jungbauernschaft aufgrund ihrer Statuten die Gelder zu Recht bekommen hat und jene Tirols nicht, weil sie als Teilorganisation der ÖVP gewertet wird.

STANDARD: Das Geld ist vor vielen Monaten geflossen, das Prüfergebnis kam jetzt – im Tiroler Wahlkampf. Das klingt doch nach Kalkül.

Kogler: Es gab rund 55.000 Anträge, und die Antragsteller bestätigen die Richtigkeit ihrer Angaben. Stimmt doch etwas nicht, fällt das erst bei der nachträglichen Prüfung auf.

STANDARD: Im STANDARD-Interview im März sagten Sie, die Abschaffung der kalten Progression sei angesichts der Teuerung keinesfalls erste Wahl. Nun hat die Regierung dieses Vorhaben zum größten Brocken der Entlastungspakete gemacht. Handeln Sie gegen Ihre Überzeugung?

Kogler: Im Gegenteil. Meine Bedenken waren, dass mittlere und höhere Einkommen übermäßig profitieren könnten. Doch indem wir nicht allein auf einen Automatismus setzen, sondern ein Drittel des Entlastungsvolumens gezielt zugunsten kleinerer Einkommen verteilen, sorgen wir für soziale Tragfähigkeit. Erstens werden die beiden unteren Tarifstufen der Lohn- und Einkommensteuer stärker angehoben als die oberen, zweitens passen wir auch die Absetzbeträge zur Gänze an die Inflation an. Das hilft über die Negativsteuer auch Menschen, die besonders wenig verdienen.

STANDARD: Trotzdem kommt ein riesiger Teil des Entlastungsvolumens Menschen zugute, die zwar die Teuerung spüren, aber verkraften können. Fiskalratschef Christoph Badelt sagt: Der Staat werde es sich nicht leisten können, ständig Geld an alle zu verteilen.

Kogler: Ja, die Abschaffung der kalten Progression lässt finanzielle Möglichkeiten des Staates schrumpfen. Aber es ist ja nicht so, dass die Steuern sonst nie gesenkt werden würden. Früher sind halt alle paar Jahre Finanzminister in Karl-Heinz-Grasser-Manier dahergekommen und haben die angeblich größte Steuerreform aller Zeiten verkündet. Nun passiert das automatisch. Den eingeschränkteren Spielraum nehmen wir in Kauf.

STANDARD: Ist das verantwortungsvoll? Von den Spitälern über die Pflege bis zu den Kindergärten fehlt es an Personal und damit Geld, der Sozialstaat braucht dringend Investitionen.

Kogler: Österreich wird auch in Zukunft noch eine der höchsten Steuern- und Abgabenquoten haben – und dazu stehe ich. Es wird nur wichtig sein, die Mittel effizient einzusetzen. Wenn der Staat andauernd auf die schleichenden Mehreinnahmen dank der kalten Progression setzt, leidet die Reformbereitschaft.

"Ich halte eine Preisbremse nur für Gas, wie wir sie beim Strom eingeführt haben, in dem Fall für das falsche Instrument. Geheizt wird ja nicht nur mit Gas, sondern auch mit Öl oder Pellets."
Foto: Robert Newald

STANDARD: Was soll noch folgen? Preisbremsen auch für Gas und andere Energieträger?

Kogler: Natürlich wollen wir Härtefälle auch vermeiden, wenn es um die Heizkosten geht. Doch ich halte eine Preisbremse nur für Gas, wie wir sie beim Strom eingeführt haben, in dem Fall für das falsche Instrument. Geheizt wird ja nicht nur mit Gas, sondern auch mit Öl oder Pellets, da gibt es Preissprünge und Lebenslagen unterschiedlichster Art. Die Gemeinden oder Länder sind da näher dran, um mit Heizkostenzuschüssen treffsicher zu helfen. Die Bundesregierung könnte zu diesem Zweck Geld beisteuern.

STANDARD: Die Regierung hat Tipps zum Energiesparen zusammengetragen. Dabei kam heraus, dass das Sparpotenzial von Privathaushalten in der Gesamtschau gering ist ...

Kogler: ... was ich gleich bestreiten will. Immerhin lassen sich durch die Summe kleinerer Maßnahmen ohne jegliche Investition mehr als zehn Prozent des Verbrauchs einsparen.

STANDARD: Ist es vernünftig, wenn gleichzeitig Schneekanonen auf grüne Wiesen pulvern?

Kogler: Wie ich aus der Branche höre, könnten die Kosten bis um das Zehnfache steigen. So stark werden sich Liftkarten nicht verteuern lassen. Betreiber werden von sich aus energieeffiziente Einschränkungen vornehmen.

STANDARD: Die deutsche Ampelkoalition will es Menschen ermöglichen, das Geschlecht unbürokratisch am Amt zu ändern, wenn man das möchte. Soll das in Österreich auch möglich werden?

Kogler: Ich gebe zu, ich kenne mich da nicht so gut aus. Von der Grundintention her sage ich: Ja. Ein solches Selbstbestimmungsgesetz erscheint mir plausibel und würde zu einer liberalen Gesellschaft passen. Aber natürlich gilt es zu beachten, welche Folgefragen damit verbunden sind. Wir werden genau schauen, wie Deutschland und andere Länder das umsetzen. Am Ende ist es immer auch eine Frage von parlamentarischen Mehrheiten. (INTERVIEW: Gerald John, Katharina Mittelstaedt, 16.9.2022)