Was sieht ein Hund, wenn er sich umsieht?

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Der Blick eines Hundes kann selbst die härtesten Herzen erweichen, heißt es – immerhin kommt der sprichwörtliche "Dackelblick" nicht von ungefähr. Und die Vierbeiner wissen diese Superkraft auch durchaus zu nutzen: 2013 konnte ein Forschungsteam beobachten, dass Hunde, die im richtigen Moment ihre Augenbrauen hochziehen, in Tierheimen statistisch viel häufiger vermittelt werden.

Und dann gibt es auch noch diesen fragenden Ausdruck: Manche Hunde legen den Kopf etwas schief, wenn sie angesprochen werden oder mit einem Problem konfrontiert sind – als wären sie verdutzt. Obwohl sich einem solche menschlichen Kategorien unweigerlich aufdrängen, ist man sich in der Verhaltensforschung keineswegs einig darüber, was es tatsächlich mit diesem schiefen Blick auf sich hat. Manche Expertinnen und Experten vermuten, dass der Hund unsere Gesichtszüge auf diese Weise einfach besser lesen kann.

Kleines Fenster in die Hundewelt

Klar ist jedenfalls, dass Hunde alles um sich herum deutlich anders wahrnehmen als wir Menschen. Von einer lebensnahen Vorstellung davon, wie die Umgebung mit Hundeaugen aussieht, ist man zwar noch weit entfernt, eine aktuelle Studie lieferte jedoch spannende Anhaltspunkte: Mithilfe von lernfähigen Algorithmen und Gehirnscan-Daten ist es einem Team von der US-Universität Princeton gelungen, ein winziges Fenster in die Hundewelt zu öffnen – und wie sich zeigte, dürfte das eine ziemlich actionreiche Welt sein.

Konkret ging es der Gruppe rund um Erin Phillips um die Frage, wie die visuelle Verarbeitung in einem Hundegehirn abläuft. Als vierbeinige Assistenten kamen die beiden Hunde Daisy und Bhubo zum Zug, die sich im Rahmen der Untersuchungen Hundevideos ansehen durften. Dabei handelte es sich um von den Forschenden selbst gedrehtes Material, auf dem unter anderem zu sehen war, wie Hunde und Menschen herumliefen, Fahrzeuge vorüberfuhren und Rehe oder Katzen durchs Bild liefen.

Videoschauen für die Forschung

Insgesamt schauten Daisy und Bhubo in drei Sitzungen jeweils einen 30-minütigen Film, während sie sich in einem funktionellen Magnetresonanztomografen (fMRT) befanden. Damit die Tiere sich während der Datenaufzeichnung entspannen konnten, bekamen sie geräuschdämpfende Ohrstöpsel. Dass die beiden Vierbeiner das ohne Aufregung hinbekommen haben, ist speziellen Trainingstechniken zu verdanken, die vom Psychologen Gregory Berns von der Emory University in Georgia entwickelt wurden.

Dadurch waren die Wissenschafterinnen und Wissenschafter in der Lage, die Gehirne von Daisy und Bhubo zu scannen, während sie wach, aufmerksam und bequem in der Maschine saßen und sich Videos ansahen, die nur für sie gedreht worden waren. Die Videodaten waren mit Zeitstempeln versehen, um die Bilder mit der aufgezeichneten Gehirnaktivität der beiden Hunde abzugleichen. Beides wurde schließlich in ein neuronales Netzwerk namens Ivis eingespeist, das entwickelt wurde, um Gehirnaktivitäten nach visuellen Reizen zu interpretieren. Zum Vergleich haben die Forschenden auch Menschen Videos betrachten lassen, während sie im fMRT-Scanner lagen.

Überforderte KI

Beim Menschen schaffte es die künstliche Intelligenz (KI), die Scandaten den Videoereignissen, dargestellten Objekten und Protagonisten mit einer Genauigkeit von 99 Prozent zuzuordnen. Bei den Hunden war Ivis allerdings etwas überfordert, wie das Team im "Journal of Visualized Experiments" berichtet: Videoszenen mit Objekten konnte der Algorithmus etwa überhaupt nicht mit Gehirnaktivitäten in Einklang bringen. Anders sah es dagegen bei Videosequenzen aus, in denen Aktionen zu sehen waren. Hier konnte die KI die Gehirnaktivitäten mit einer Genauigkeit zwischen 75 und 88 Prozent zuordnen.

Daraus schloss das Team, dass die Prioritäten bei der Wahrnehmung der Umwelt beim Hund deutlich anders gelagert sind. "Wir Menschen sind sehr objektorientiert", sagte Berns. "Hunde dagegen scheinen sich weniger darum zu kümmern, wen oder was sie sehen, als vielmehr um die Handlung selbst." Das zeigt sich auch an der Physiologie des Hundeauges: Die Vierbeiner nehmen nur Schattierungen jener Bereiche des Lichtspektrums wahr, die wir Blau und Gelb nennen, haben aber eine viel höhere Dichte an bewegungsempfindlichen Sehrezeptoren.

Bewegung und Gerüche

Der Grund für diese Unterschiede hat nicht nur mit Jagdverhalten zu tun, bei dem die Betonung auf Bewegungswahrnehmung wohl auch sehr hilfreich sein wird. Sie könnten vor allem lebensrettend sein, denn Hunde bzw. ihre Vorfahren, die Wölfe, müssen sich der Bedrohungen in ihrer Umgebung viel bewusster sein als Menschen.

Aber letztlich bleibt es ein großes Geheimnis, wie die Welt eines Hundes tatsächlich aussieht, denn seinen wichtigsten Sinn haben die Forschenden in dieser Studie gar nicht berücksichtigt. Der größte Teil des Hundegehirns ist schließlich mit der Verarbeitung von Geruchsinformationen beschäftigt. Welchen Einfluss das auf sein visuelles Weltbild hat, kann man sich derzeit kaum ausmalen. Die Zuordnung von Gehirnaktivitäten zu olfaktorischen Reizen dürfte jedenfalls äußerst schwierig sein, meinte Berns. (tberg, 16.9.2022)