Linux hier, Mac OS da: Egal was die Konkurrenz über die Jahre auch versucht hat, die Dominanz von Windows am Desktop scheint weiter unangreifbar. Hatte es vor einigen Jahren noch den Anschein gemacht, als würde die Weiterentwicklung des Betriebssystems ins Stocken geraten, hat Microsoft das Tempo zuletzt wieder merklich angezogen. Mit Windows 11 wurde im Vorjahr der Versuch unternommen, sowohl die Softwarebasis als auch die Oberfläche zu modernisieren – und in diesem Zug auch gleich alte Zöpfe abzuschneiden.

Eigenlob

Das mag angesichts der deutlich angehobenen Hardwareanforderungen nicht überall gut angekommen sein, zumindest bei Microsoft selbst ist man aber vom Erfolg dieser Maßnahmen überzeugt. "Windows 11 ist die am meisten genutzte und beliebteste Windows-Version aller Zeiten", formuliert es Panos Panay, als Produktchef von Microsoft auch für das Betriebssystem zuständig, in einem aktuellen Blogeintrag.

Worauf er sich dabei konkret bezieht, bleibt vorerst unklar, die Zahlen sprechen derzeit noch eine andere Sprache. Windows 11 läuft derzeit auf rund 13 Prozent aller PCs mit dem Microsoft-Betriebssystem, so sehen es zumindest die globalen Zahlen von Statscounter. Damit hat man im August erstmals – nicht mehr unterstützte – Windows 7 abgelöst, bis zu Windows 10 und dessen 72 Prozent ist es noch ein ordentlicher Weg.

Windows 11 2022

Ein neues Update soll jetzt frischen Schwung in die Verbreitungszahlen bringen. Mit Windows 11 2022 stellt Microsoft das erste große Update für seine aktuelle Betriebssystemgeneration vor. Ein Update, das Windows sowohl einfacher als auch sicherer machen soll, wie das Unternehmen selbst die Schwerpunkte der Entwicklung umreißt.

Windows 11 2022 ist da.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Startmenü

Für den Großteil der Nutzer sind immer jene Neuerungen am wichtigsten, die sie auch sofort sehen können. Definitiv in diese Kategorie gehört der Feinschliff am mit Windows 11 neu gestalteten Startmenü. So gibt es die Rückkehr von App-Foldern, über Drag und Drop können diese erstellt und verwaltet werden. Eine Funktion, die nicht nur von anderen Betriebssystemen wohlbekannt ist, es gab sie auch schon mal in Windows 10.

Eine weitere Verbesserung: Der Bereich für fix angeheftete Apps kann jetzt nach Belieben in seiner Größe angepasst werden. Wer das wirklich will, kann diesen also verkleinern, um dann mehr "Empfehlungen" vom System zu bekommen. Die integrierte Suchfunktion soll laut Microsoft mit der neuen Version sowohl schneller als auch präziser arbeiten.

Feinschliff

Das Startmenü lässt sich besser konfigurieren.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Auch beim Taskbar gibt es die Rückkehr eines beim Windows-11-Redesign verlorengegangenen Features: die Möglichkeit, eine Datei auf eine App-Icon zu ziehen, um Ersteres mit Letzterem zu öffnen. Generell fällt auf, dass Microsoft weiter eifrig an der Entfernung von Altlasten aus einigen Jahrzehnten an Windows-Oberflächen arbeitet, so manch neues Design ersetzt also uralte grafische Elemente.

Noch weiter vereinfachen will Microsoft das Anordnen von Fenstern – also die sogenannten "Snap Layouts". Wird ein App-Fenster verschoben, blendet Windows jetzt ein Menü mit unterschiedlichen Layouts als Overlay an, um diese schnell wählen zu können. Das soll jene Funktion, die bisher über ein Ablegen des Mauszeigers über dem Maximieren-Knopf versteckt ist, noch offensichtlicher machen.

Gesten

Der "Focus Mode" soll Ablenkungen ausblenden.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Vor allem für Tablets, aber auch Convertibles relevant: Die Touch-Navigation wurde deutlich verbessert, was sich in zusätzlichen Gesten manifestiert. So kann nun mit einem Swipe vom unteren Bildschirmrand das Startmenü geöffnet werden, vom unteren rechten Eck ausgehend werden die Schnelleinstellungen aufgerufen. Auch für das Minimieren aller Fenster sowie den Wechsel zwischen Programmen gibt es neue Gesten.

Das konzentrierte Arbeiten sollen die sogenannten Focus Sessions unterstützen, eine Art erweiterter "Do not disturb"-Modus. Dabei werden nicht nur Benachrichtigungen deaktiviert, auch blinkende Objekte wie Badges im Taskbar werden unterbunden. Dieser Modus wird zudem mit der Uhren-Anwendung kombiniert, damit diese regelmäßig an Pausen erinnert. All das fällt also in die Kategorie "digitales Wohlbefinden", die schon im mobilen Bereich in den vergangenen Jahren stark gepusht wurde.

Untertitel für irgendwie eh alles

Auch sonst lässt sich Microsoft bei seinen neuen Features gern von der Smartphone-Welt inspirieren. Unter dem Namen Live Captions gibt es nun automatisch generierte Untertitel für beliebige Tonausgaben. Wie nützlich das sein kann, wissen Android-User bereits seit ein paar Jahren.

Einen wichtigen Fortschritt gibt es bei der Spracheingabe: Nun kann auch die Oberfläche über entsprechende Befehle gesteuert werden. Diese "Voice Access" genannte Funktion gibt es vorerst aber nur für Nutzer mit US-englischen Spracheinstellungen. Umgekehrt wurde die Qualität der Sprachausgabe weiter verfeinert. Ebenfalls neu sind diverse Windows-Studio-Effekte, die vor allem mit Funktionen wie einem Fokus auf einzelne Stimmen Videokonferenzen verbessern sollen.

"Live Captions" bieten systemweite Untertitel für Sprachinhalte.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Android: Mehr und besser

Linux-Unterstützung gibt es in Windows nun bereits einige Jahre, mit Windows 11 kam aber noch ein anderes System hinzu: Android. Das "Windows Subsystem for Android" ermöglicht es, zahlreiche Apps für Googles Betriebssystem direkt am Desktop zu nutzen. Von rund 20.000 Apps und Games spricht Microsoft dabei derzeit. Möglich wird das durch eine Kooperation mit Amazon, dessen App-Angebot indirekt über den Microsoft Store vertrieben wird.

Bislang war das allerdings auf zwei Länder beschränkt: die USA und Japan. Nun weitet Microsoft dieses Angebot auf 31 weitere Länder aus, und zu diesen gehört neben Deutschland erfreulicherweise auch Österreich. Wer all das ausprobieren will, sollte sich jedoch dessen bewusst sein, dass der Android-Support mit noch einmal gesteigerten Hardwareanforderungen für Windows 11 einhergeht, Microsoft empfiehlt dann mindestens acht GB RAM.

Parallel dazu wurde das Subsystem für Android generell verbessert. So spricht Microsoft von einer um den Faktor zwei bis drei gesteigerten Grafikleistung. Auch Support für mittels Digital Rights Management abgesicherte Videos gibt es nun, die Unterstützung für Eingabegeräte aller Art – von Maus bis Touch – wurde ebenfalls erweitert.

Optimierungen

Wenn wir schon bei strukturellen Verbesserungen sind: Microsoft verspricht auch einen reduzierten Stromverbrauch. Dieser resultiert aus mannigfaltigen Optimierungen quer durch das System, die umgekehrt natürlich auch eine bessere Performance bringen sollen.

Der neue "Controller Bar".
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Vor allem für Spiele relevant ist eine weitere Reduktion bei der Latenz der Ausgabe. Zudem können nun auch in einem Fenster laufende Spiele variable Bildwiederholraten und Auto-HDR-Support nutzen. Bisher war beides der Fullscreen-Darstellung vorbehalten. Ebenfalls neu ist eine App zur Kalibrierung der HDR-Darstellung. Dazu kommt dann noch eine neue "Controller Bar", die als Overlay angezeigt wird, wenn ein Xbox-Controller verbunden ist und die alte Xbox Game Bar ersetzt.

Sicherheit

Eine Reihe von Verbesserungen verspricht Microsoft im Bereich Systemsicherheit. Unter dem Namen Smart App Control gibt es für Unternehmen die Möglichkeit, nicht vertrauenswürdige Apps und Skripte zu blockieren. Die zugehörige Liste wird von Microsoft laufend aktualisiert. Nicht minder interessant ist "Microsoft Defender Smartscreen", eine Schutzfunktion, die verhindern soll, dass die Nutzer ihre Microsoft-Login-Daten in missbräuchliche Apps oder betrügerische Webseiten eingeben.

Smart App Control.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Die Härtung des Systems treibt Microsoft voran, indem zwei Schutztechnologien nun von Haus aus aktiviert sind: die Virtualization-Based Security (VBS) sowie Hypervisor Enforced Code Integrity (HVCI), die über Hardwarevirtualisierung kritische Bestandteile des Systems besser gegen Attacken absichert. Voraussetzung dafür ist mindestens ein Intel-Core-Prozessor der achten Generation – was aber ohnehin das offizielle Minimum für Windows 11 ist.

Softwareaktualisierung

Ein Update gibt es auch für Updates – genauer gesagt das Windows-Update-System. Microsoft spricht von einer Fülle von Optimierungen, die den gesamten Prozess nicht nur beschleunigen, sondern auch die Downloadgröße und den Platzverbrauch am lokalen Rechner reduzieren sollen.

Zudem werden Updates jetzt bevorzugt zu Zeiten eingespielt, in denen im Energiemix üblicherweise mehr erneuerbare Energien genutzt werden, um so den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Voraussetzung ist natürlich, dass das für die jeweilige Region überhaupt bekannt ist. Wem die Idee seltsam vertraut vorkommt: Apple hat gerade ein sehr ähnliches Feature für iOS 16.1 in Entwicklung.

Ausblick

Auffällig an Windows 11 2022 ist aber auch, welche der vorab bereits gesehenen Features es nicht in die neue Version geschafft haben. So fehlt etwa noch der überarbeitete Dateimanager samt Tab-Support oder die "Suggested Actions", die beim Kopieren den Inhalt aufarbeiten, um dann etwa schnell das Anlegen eines Termins oder das Anrufen einer gewissen Nummer anzubieten.

Wird im Oktober nachgeliefert: die neue Version des File Explorer mit Tabs.
Screenshot: Proschofsky / STANDARD

Beides soll im Oktober nachgereicht werden – über eines jener Feature-Updates, die laut Microsoft künftig laufend und damit entkoppelt von den großen jährlichen Aktualisierungen veröffentlicht werden sollen. Ebenfalls zu diesem Zeitpunkt soll es übrigens eine grundlegend überarbeitete Foto-App geben.

Verfügbarkeit

Windows 11 2022 ist ab sofort in mehr als 190 Ländern verfügbar – mehr oder weniger. Denn wie von Microsoft gewohnt, wird die neue Version in Wellen ausgeliefert, um im Problemfall mit weiteren Fehlerbereinigungen reagieren zu können. Dabei wird auch die individuelle Softwarezusammenstellung als Faktor herangezogen, um zu verhindern, dass es dann eine unschöne Überraschung mit einzelnen nicht mehr funktionierenden Programmen gibt. Bis alle Windows-11-User Zugriff auf das neue Update haben, dürften so noch einige Wochen vergehen. (Andreas Proschofsky, 20.9.2022)