Vor einigen Monaten wachte Markus A. mitten in der Nacht auf, weil seine Frau nicht im Bett neben ihm lag. Er fand sie weinend im Wohnzimmer. Sie hatte sich spätnachts die monatlichen Fixkosten der vierköpfigen Familie ab dem kommenden Jahr ausgerechnet und erkannt: Das geht sich alles nicht mehr aus.

Noch steigt die Zahl der Zwangsversteigerungen nicht – doch das könnte sich ändern.
Illustration: Eugenio Belgrado

Familie A. hat sich 2018 den Wohntraum vom Eigenheim im Wiener Speckgürtel erfüllt. Beide Elternteile sind Angestellte, Eigenmittel gab es dennoch kaum. Die Wohnung wurde fast ausschließlich mittels Kredit finanziert: Von der Bank bekamen sie 150.000 Euro mit Fixzins, 150.000 Euro mit variablem Zins. "Ausschließlich fixverzinst hätten wir uns die Wohnung nicht leisten können", sagt Markus A.

Zwar sei immer klar gewesen, dass die Zinsen steigen werden, allerdings war der Plan, dann eben in anderen Bereichen des Lebens einzusparen. Angesichts explodierender Energiepreise und der Teuerungen im Alltag ist das derzeit aber kaum möglich.

Ab dem kommenden Jahr wird ihre Kreditrate in die Höhe schießen. Derzeit rechnet Markus A. mit einem Plus von 2,5 Prozent und damit 400 Euro mehr pro Monat. Spontan eine Pizza bestellen oder mit den Kindern Eis essen gehen, das spielt es schon heute nicht mehr: "Ab Jänner geht es für uns darum, ob wir die Wohnung erhalten können." Wenn Markus A. das sagt, klingt er so, als könnte er das selbst noch nicht ganz glauben: "Manchmal denk ich mir schon: Was bin ich für ein Trottel? Schaffe ich es als erwachsener Mann nicht, Wohnung und Familie zu erhalten?"

Die Ruhe vor dem Sturm

So wie Familie A. könnte es in den kommenden Monaten vielen gehen, die variable Kredite laufen haben. Bei ihnen ist der Zinssatz nicht vorab festgelegt, sondern er orientiert sich am Leitzins. Die Bank schlägt dann noch eine Marge drauf. In den letzten Jahren ist man angesichts von Null- oder sogar Negativzinsen damit sehr günstig gefahren.

Frühzeitig bei der Bank melden, wenn sich Zahlungsschwierigkeiten anbahnen – das rät der Experte.
Foto: iStockphoto/Portra

Doch im Kampf gegen die hohe Inflation hat die Europäische Zentralbank vor kurzem die Zinswende eingeleitet. Der jüngste, vor eineinhalb Wochen verlautbarte Zinsschritt von 0,75 Prozentpunkten war sogar der höchste seit Einführung des Euro-Bargelds im Jahr 2002. Mit weiteren baldigen Zinsschritten ist zu rechnen. Doch die Zinsen sind eben nicht das Einzige, das gerade rasant ansteigt: Die Preise für Energie gehen durch die Decke, und das wirkt sich auch auf die Preise für Waren des täglichen Bedarfs stark aus.

Bernd Lausecker, Finanzexperte beim Verein für Konsumenteninformation (VKI), kennt Fälle wie jenen von Familie A. Den großen Run bemerkt er bei seinen Beratungsgesprächen aber noch nicht. Selbiges beobachtet man auch bei der Wiener Schuldnerberatung. Allerdings: "Krisen kommen immer zeitversetzt zu uns", heißt es dort. Auch ein erhöhtes Aufkommen von Zwangsversteigerungen ist derzeit noch nicht sichtbar. Bei "Dein Immocenter", einer Plattform für Zwangsversteigerungen, rechnet man allerdings mit einer steigenden Anzahl an Zwangsversteigerungen durch den Zinsdruck ab Anfang nächsten Jahres.

An die Bank wenden

Damit es nicht so weit kommt, rät VKI -Experte Lausecker, bei sich anbahnenden Schwierigkeiten frühzeitig mit der Bank zu reden, um eine Lösung zu finden, etwa in Form einer Laufzeitverlängerung. Insgesamt sei bei Banken das Interesse nämlich groß, den Kundinnen und Kunden im Fall des Falles "ein bisschen unter die Arme zu greifen"; zumindest bis zu einem gewissen Maß. Ein häufiges Problem: "Die Menschen denken lange: ‚Es geht sich schon noch aus‘", sagt Lausecker. Sie suchen erst Hilfe, wenn ihnen das Wasser schon bis zum Hals steht.

Auch wenn das Abbezahlen des Kredits jetzt zur Herausforderung wird: Die eingangs erwähnte Familie A. weiß, dass sie gerade noch zum richtigen Moment gekauft hat, weil sie sich die Wohnung heute gar nicht mehr leisten könnte. Die Immobilienpreise wurden durch die Corona-Pandemie weiter angeheizt. Und im August wurden die Vergaberichtlinien für Wohnkredite verschärft. Für weite Teile der Bevölkerung ist Eigentum längst in unerreichbare Ferne gerückt.

Hohe Nebenkosten

Das hat auch die Politik erkannt. Die für Jugend zuständige Staatssekretärin im Bundeskanzleramt, Claudia Plakolm (ÖVP), wünscht sich, dass die an den Staat zu zahlenden Nebenkosten beim Kauf des ersten Eigenheims gesenkt "oder vielleicht ganz abgeschafft werden". Denn bei Grunderwerbssteuer und Grundbucheintragungsgebühren langt der Staat ordentlich zu, beide Posten machen 4,6 Prozent des Kaufpreises einer Immobilie aus. In Österreich wird hier mehr abkassiert als in den meisten anderen EU-Ländern.

Für ihr Vorhaben sucht Plakolm gerade gemeinsam mit dem Finanzminister und dem Koalitionspartner nach einer Lösung. Die Länder sind schon an Bord: Die Wohnbaulandesräte sprachen sich in einem Treffen am Freitag in Graz dafür aus, junge Menschen bei Steuern und Gebühren zu entlasten.

Unter den hohen Kosten des Immobilienerwerbs ächzt Lisa K. seit fünf Jahren: Damals hat sie eine sanierte Altbauwohnung im 17. Bezirk gekauft. Ein bisschen Geld hatte sich die 33-Jährige angespart, einen "niedrigen fünfstelligen Betrag" hatte sie von ihren Eltern bekommen.

Keine Aufklärung

Um sich die 65-Quadratmeter-Wohnung leisten zu können, musste sie einen variablen Kredit in der Höhe von 200.000 Euro aufnehmen. Ihr Bankberater, erzählt sie, habe sie nie darüber aufgeklärt, was eine variable Verzinsung eigentlich bedeutet: "Ich komme aus einer Arbeiterfamilie und hatte keine Ahnung. Ich wusste nur, dass Geld extrem billig ist", sagt sie heute. Im Endeffekt habe sie das Stemmen des großen Kredits und die Angst vor steigenden Zinsen "sehr belastet und auch verändert. Mein erster Gedanke beim Aufwachen war jeden Tag der Kredit."

Als die Zinsen schließlich tatsächlich stiegen, hat Lisa K. sich eine Umschuldung überlegt. Dazu haben Expertinnen und Experten im Frühjahr geraten: Dabei wird ein neuer Kredit mit fixen Zinsen aufgenommen; mit dem Geld wird der alte Kredit zurückbezahlt.

Letztendlich hat sie sich aber dagegen entschieden: In den letzten fünf Jahren hat sie sehr sparsam gelebt und es geschafft, die aushaftende Summe auf einen fünfstelligen Betrag zu drücken. Die steigenden Zinsen sind für sie nicht mehr existenzgefährdend.

Ein bisschen Hoffnung

Anders ist die Situation bei der eingangs erwähnten Familie A. Allerdings macht sich bei ihnen angesichts von Maßnahmen vonseiten der Politik – Klimabonus, Strompreisdeckel, Abschaffung der kalten Progression – vorsichtige Hoffnung breit. Schlaflose Nächte haben sie derzeit immerhin keine.

Markus A. kann sich aber vorstellen, sich einen Zweitjob zu suchen, um die Familie über Wasser zu halten: "Bevor ich die Wohnung verliere, trage ich Zeitungen aus."

Rückhalt gibt Familie A. auch die Gewissheit, dass ihnen notfalls die Familie unter die Arme greifen kann: "Aber diesen Luxus haben nicht alle." (Martin Putschögl, Franziska Zoidl, 17.9.2022)