Drei Generationen, für ein Wochenende in der früheren DDR vereint: die Philosophin Clara (Anne Schäfer) mit Tochter (Emma Frieda Prückler) und Mutter (Anne-Kathrin Gummich).

Grandfilm

Der Film sei ihr nahe, aber nicht ihre Geschichte: Annika Pinske.

Alina Simmelbauer

Glücksbilanz ist ein Wort, über das man Seminare halten könnte. Und siehe da, in Annika Pinskes Film Alle reden übers Wetter bekommt man tatsächlich so eine Veranstaltung zu sehen. Clara, die Hauptfigur, eine alleinerziehende Mutter, unterrichtet Philosophie. Der Utilitarismus steht auf dem Programm, Argumente werden ausgetauscht, einer der Studenten ist dabei ein wenig kokett, denn er kennt die Lehrerin besser. Clara hat nämlich ein Verhältnis mit ihm. Das passt irgendwie zu ihrer Situation.

Sie ist zwar Mitglied des akademischen Lehrkörpers, innerhalb dessen jedoch in einer prekären Position. Sie ist nicht mehr Studentin, aber auch noch nicht Professorin. Doch in so einer gesetzten Rolle, wie man sie bei einem älteren Kollegen bei der Pensionierungsfeier zu sehen bekommt, kann man sich Clara selbst bei jahrelang extrem positiver Glücksbilanz nicht vorstellen.

Zuspruch auf der Berlinale

Alle reden übers Wetter hatte dieses Jahr auf der Berlinale Premiere und fand sofort großen Zuspruch. Nicht nur als Porträt einer jungen urbanen Intellektuellen, sondern vor allem auch, weil Annika Pinske auf eine sehr sensible Weise die Schichtungen deutschdeutscher Befindlichkeit einfängt. Clara fährt mit ihrer Tochter für ein Wochenende zu ihrer Mutter, und plötzlich hat man es mit drei Frauengenerationen vor dem Hintergrund der ehemaligen DDR zu tun. Dass "der Osten" auch mehr als 30 Jahre nach der Wende noch anders tickt, ist einerseits ein Gemeinplatz. Man findet aber selten einen Sinn für die Details und das Atmosphärische, das dabei meist die entscheidende Rolle spielt.

Annika Pinske (geb. 1982) bringt einiges mit, um die Figur Clara autobiografisch aufzuladen, aber auch auf Distanz zu halten. "Vieles ist mir nahe, es ist nicht meine Geschichte, aber Claras Fragen sind auch meine Themen. Ich merke auch, dass es mich sehr berührt, wenn Menschen auf meinen Film emotional einsteigen. Das bekommt eine ganze schöne Wucht. Zum Beispiel war ich beim Neiße-Filmfest im südöstlichen Sachsen, davor hatte ich ein bisschen Schiss, denn das ist auch eine AfD-Hochburg. Es war aber eines der schönsten Gespräche. Die Menschen im Publikum waren sehr dankbar. Da wurde über Kleinigkeiten wie den Toaster in der Ausstattung gesprochen: ‚Meine Oma hat auch so einen.‘ Da ging es viel um Wertschätzung", sagt Pinske.

Gedanken "raushauen"

Anerkennung wäre ein anderes Wort, näher an den philosophischen Debatten. Annika Pinske hat das Fach selbst einmal studiert, in Potsdam, wo sie unter anderem auf Christoph Menke und Juliane Rebentisch traf, zwei Namen in der politischen Philosophie der Gegenwart. Sie wechselte dann aber zum Theater, wo sie bei René Pollesch hospitierte: Er "hat die Philosophie einfach benützt, seinen Alltag damit bearbeitet und Gedanken rausgehauen. Das hat mich befreit."

Sie ging dann aber auch noch den nächsten Schritt, begann in der Produktionsfirma Komplizen Film in Berlin zu arbeiten (seither ist sie mit Maren Ade eng befreundet) und schaffte die Aufnahmeprüfung der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB).

Dort ist Alle reden übers Wetter ihr Abschlussfilm. Nominell ist er also noch ein Studentinnenfilm, der auch unter wenig luxuriösen Bedingungen entstand, dem man das bescheidene Budget auch ansieht – allerdings auf eine gute Weise. "Dass ich in diesem Dorf gedreht habe, aus dem meine Großeltern kommen, hatte in erster Linie praktische Gründe. Wir hatten so wenig Geld, da brauchte ich einen Ort, den ich mir nicht erst erarbeiten musste. Aber natürlich verbinde ich mit dieser Landschaft in Vorpommern so etwas wie Heimat. Ich wurde auch gefragt, ob ich einen neuen Heimatfilm gemacht habe, und würde diesen Begriff gern vor falschen Besetzungen retten. Es geht da um die einfachen Dinge. Ich mag dieses Zurückkommen inzwischen, früher war das wahnsinnig stressig. Heimat sind prinzipiell schon meine Freunde und die Menschen, mit denen ich mich im Alltag umgebe, aber ich mache sie auch an den Orten fest, an denen ich aufgewachsen bin. Ich habe bloß was gegen Stolz."

Kritischer Heimatfilm

Als kritischen Heimatfilm kann man Alle reden übers Wetter durchaus lesen, auch wenn das Genre ursprünglich mit anderen Landschaften assoziiert war. Spannend könnte auch das nächste Projekt von Annika Pinske werden. Gerade hat sie bei der deutschen Serie Deadlines Erfahrung gesammelt und ein wenig Geld verdient. Nun schreibt sie einen Stoff, der auf der Donau spielen soll. Eine ganz andere Welt also, vielleicht eine größere Heimat. (Bert Rebhandl, 17.9.2022)