In der Albertina und im Kunsthistorischen Museum (Bild) gibt es bereits Schnitzeljagden, weitere öffentliche Orte wie der Burggarten oder die Schönbrunner Schlossgärten sollen folgen.

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Escape-Rooms – das sind Spiele, bei denen sich eine Gruppe durch Rätseln etwa aus einem Raum befreien muss – gibt es schon lange. 2007 hatte das Spiel in Japan seine Anfänge, 2011 entstanden die ersten Escape-Rooms in Europa.

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Es ist das Jahr 1590. Der Ball der dänischen Königin hier im Christiansborg-Palast in Kopenhagen ist in Gefahr, die Finanzierung für das Fest unklar. Jetzt müssen alle zusammenhelfen, aber auch darauf schauen, dass genügend in der eigenen Tasche bleibt. Auf drei werden meine Mitspielerinnen, Mitspieler und ich gleichzeitig unsere Fäuste öffnen – in ihnen ist das Geld, das jedem und jeder von uns für den Ball zur Verfügung steht. Haben wir genug beisammen, kann das rauschende Fest stattfinden. Ist es zu wenig und verlassen sich manche zu sehr auf die Gutmütigkeit anderer, zahlen alle Strafe und treiben das Königreich in den Ruin.

Hier in den Sälen des Schlosses Christiansborg rätseln wir uns gerade durch 600 Jahre Machtkampf im dänischen Reich. Man spielt als Gruppe mit-, aber gleichzeitig auch jeder gegeneinander. Jedes gelöste Rätsel, jeder geknackte Code führt zum nächsten Hinweis und am Ende hoffentlich auf den königlichen Ball und zu Herrschaft und Macht.

Spielerisch Kunst erkunden

Derlei Schnitzeljagden für Erwachsene, sogenanntes Braintertainment, boomen. Escape-Rooms – das sind Spiele, bei denen sich eine Gruppe durch Rätseln etwa aus einem Raum befreien muss – gibt es schon lange. 2007 hatte das Spiel in Japan seine Anfänge, 2011 entstanden die ersten Escape-Rooms in Europa. Mystery-Hunts, also Schnitzeljagden durch Museen, sind ein vergleichsweise neuer Trend – und einer, der bleibt, glaubt Natalie Denk, Leiterin des Zentrums für Angewandte Spieleforschung der Universität für Weiterbildung Krems: "Das Potenzial ist riesig."

Eigentlich hatte Mads Lind das Unternehmen Mystery Makers 2010 aus der Not heraus gegründet, als er für einen Freund einen Junggesellenabschied organisierte: "Alle Angebote wirkten idiotisch", sagt der Gründer und entwickelte kurzerhand eine Schnitzeljagd. Mittlerweile hat das in Kopenhagen ansässige Unternehmen nach Wien expandiert. In der Albertina und im Kunsthistorischen Museum gibt es bereits Schnitzeljagden, weitere öffentliche Orte wie der Burggarten oder die Schönbrunner Schlossgärten sind in Planung.

Niederschwelliger Zugang

Der Trend reißt nicht ab, denn "fast alle spielen gerne", sagt Spieleforscherin Denk. "Es ist die natürlichste Art zu kommunizieren", glaubt auch Lind. Aber mit dem Erwachsenwerden verlieren viele den Zugang zum Spielen. Beziehungsweise wird es einem in unserer Gesellschaft abtrainiert, kritisiert Denk: "Beim Spielen macht man Dinge, die in einem leistungsorientierten System nicht gerne gesehen sind. Spielen bedeutet zum Beispiel, Fehler machen zu dürfen. Und man macht nichts Produktives im klassischen Sinn", sagt sie. Dabei brauche es für lösungsorientiertes Denken oft eine spielerische Haltung, glaubt Lind: "Je digitaler die Welt wird, desto mehr brauchen wir die analoge Verbindung."

Ein spielerischer Zugang habe auch gesellschaftspolitisch viel Potenzial, sagt die Spieleforscherin. Man kennt die Situation in Museen: Eine Menschentraube steht vor einem Gemälde, alle schauen nachdenklich und versuchen, etwas möglichst Gescheites zu sagen. "Viele finden Museen einschüchternd. Wenn man Erwachsenen die Möglichkeit gibt zu spielen, schmilzt ihre Fassade", sagt Lind.

Spielbasierte Angebote bieten einen niederschwelligeren Zugang zu Kunst, sagt Denk: "Weil es nicht darum geht, Fakten abzuprüfen, sondern eine Erfahrung weiterzugeben." Denk war selbst an der Entwicklung eines Escape-Rooms im Archiv der Zeitgenossen beteiligt: "Wir wollten unter anderem Leuten, die sonst niemals ins Archiv gehen würden, einen Zugang bieten", sagt sie. Menschen, die vom Bildungssystem schlechter erreicht werden, könnten ganz besonders von diesem Trend profitieren: "Die Spielenden werden ermächtigt, sich Themen aktiv anzueignen."

Gemeinsame Erfolgserlebnisse

Das ist es auch, was gutes Spieldesign ausmacht: Neben einer guten Storyline sollte ein Spiel am besten durch verschiedene Kompetenzen von unterschiedlichen Menschen zu lösen sein. "Das ist in der Entwicklung oft eine schwierige Gratwanderung zwischen einer zu einfachen und einer frustrierenden Spielerfahrung", sagt Denk. Eine gute Strategie sei, zunächst rasche kleine Erfolgserlebnisse zu schaffen und später den Schwierigkeitsgrad nach und nach anzupassen.

Zurück nach Kopenhagen und dem gefährdeten Ball der Königin. Drei, zwei, eins, die Fäuste öffnen sich, und meine Mitspielerinnen und Mitspieler überschlagen alle gedanklich, ob das Geld auf unseren offenen Handflächen reichen würde, und merken schnell: Es reicht nicht, der Ball fällt ins Wasser, es herrscht das Chaos. Wir – und zugegebenermaßen allen voran ich – waren zu geizig und hatten uns zu sehr auf die anderen verlassen, das Spiel ist verloren. "Du bist die Gewinnerin aus deinem Team, aber was bedeutet das schon, wenn rundherum Chaos herrscht?", steht im letzten Hinweisbrief, und ich fühle mich ertappt. Aber, so sagt es Spieleforscherin Denk: "Egal, wie es ausgeht, man hat am Ende trotzdem ein gemeinsames Erlebnis", und ich kann nur hoffen, dass sich meine Mitspielerinnen und Mitspieler daran festhalten. (Magdalena Pötsch, 17.9.2022)

Hinweis: Die Reise nach Kopenhagen erfolgte mit Unterstützung von Mystery Makers.