Die Queen, sie sah ein ganz klein wenig meiner Großmutter ähnlich. Mit ihr würde ich jetzt gerne vor dem Fernseher sitzen. Wir hätten diese tausenden Menschen beobachtet, wie sie sich über Kilometer anstellen, für einen Abschiedsmoment in der Westminster Hall vor dem Sarg der Königin – einer doch für die meisten wildfremden Frau. Die Rituale wären uns komisch vorgekommen, die Kostüme der Herolde und Wachen. Selbstverständlich wäre wie immer sehr gelacht worden über die Grenadier Guards der Königin, mit den roten Jacken und den Mützen aus Bärenfell. Das Bemühen dieser Männer um ein Sichtfeld, bei dem, was sie tun: ein vergnüglicher Dauerbrenner. Kurz wäre die Kritik an der Monarchie Thema geworden, was kostet die auch für ein Geld! Bis eine der Herzoginnen aufgetaucht wäre, dann hätte ich vermutlich das Kleid von Meghan schöner gefunden und meine Omi das von Kate. Sie sind unterhaltsam, die Royals. Ist einfach so.

Die Queen im Jahr 1981.
Foto:IMAGO/Papixs / Starface

Zwei Leben, ein Märchen

Königin Elisabeth II. hat dieses absurde Märchenleben geführt, mit den Kleidern, den Dienern, den Schlössern, in ihrem zugegeben echt wahnwitzigen Reichtum. Trotz der vielen Kohle hat sie ein groteskes Kaugummileben führen müssen. Im Stundentakt waren Schiffe einzuweihen und Waisenhäuser zu besuchen. Dazwischen winken. Die eigene Familie in Konventionen baden. Nie einfach mal auf dem Trafalgar Square aus dem Auto speiben, weil zu viel Gin. Hat sie sich nie gedacht: So, das interessiert mich jetzt einen bloody Scheißdreck, das alles? Unglaublich, dass sie nie ausgebrochen ist, um Pferdezüchterin in Texas zu werden. Das ist eine Lebensleistung. Großes Schauspiel. Ich hätte nicht einmal die Krönung durchgehalten.

Meine Großmutter trug auch den gleichen Lippenstift wie die Queen, wohl ein Zufall. Sie hatte in meinen Ohren eine eigene Aussprache, vielleicht weil sie Sudetendeutsche war, es schwang ein so ein kleines, geheimes R mit. Schokolarde. Schnarps. Sie war Jahrgang 1920, ein paar Jahre älter als Elizabeth. Ähnliche Frisuren. Immer wurde ein properes Kostüm getragen. Es sind Frauen, die noch den Krieg zu spüren bekommen haben, halt in denkbar unterschiedlichen Rollen. Es gingen Bilder um die Welt, da sah man die Thronfolgerin, wie sie Militärfahrzeuge reparierte. Ansonsten war sie gut bewacht in Sicherheit und satt. Meine Omi saß in der Zeit in Kärnten – weit weg von Wien, das gebombt wurde – um ihre zwei kleinen Buben durchzubringen. Sie war dabei wohl, ohne viel nachzudenken, der Meinung, alles würde schon gut werden, wenn nur der Mann heimkam, irgendwann. Sie hat derweil mit viel Talent Kinderbücher gestaltet, einfach, weil es keine gab. Und egal, was war, sonntags gab es immer, und zwar zeit ihres Lebens, zwei Sorten Kekse.

Später, nach dem Krieg, waren diese beiden Frauen auf dem Weg, in ihren Mustern und Korsetten. Keiner von ihnen war die Revolution im Blut. Die Queen, schon gekrönt, wusste ihr Reich in Glanz und Gloria mit Disziplin zu repräsentieren. Und meine Omi hat genäht. Immer saß sie in der Werkstatt im dritten Bezirk und zauberte. Tagaus, tagein, Jahr um Jahr. Bettwaren, Schlafsäcke, deren Qualität bis heute legendär ist und die echte Erbstücke sind.

Meine Oma trug denselben Lippenstift wie die Queen.
Foto: privat

Telenovela, nur in echt

Die Dinge sind nach der Heimkehr meines kriegszerrütteten Großvaters komplexer geworden. Ein Geschäft war aufzubauen, alle mussten mithelfen, sogar den Kindern wurde viel Leistung abverlangt. Es wurde auch Jagdbekleidung gefertigt, nach Maß. Die Klientel war wohlhabend, oft auch adelig. Deswegen gab es auch diesbezügliche Bekanntschaften, begeistert gepflegt von meinem Großvater, ganz Geschäftsmann. Man traf sich am Wochenende auf dem Land. In der Nähe vom Hauptdomizil richteten sich meine Großeltern in einem Bauernhof zwei Zimmerchen ein, wie es nur von Werkstättenbetreibern wie ihnen sein konnte, sogar die Kastentüren und die Ofengriffe waren mit Stoff überzogen. Gemütlich aber. Ich habe sie dort manchmal besucht.

So wurde bei uns im Umgekehrten repräsentiert, meine Großeltern zogen ihre Show ab. Unter der Woche in den Werkstätten, am Wochenende Kinderfeste für alle, Sportolympiaden, Vergnügungsbauten, wie Seilbahnen von Baum zu Baum oder Rennbahnen mit selbstgebauten Autos von meinem Großvater, einem begnadeten Bastler. Heute wären sie mit dem Know-how ein erfolgreiches Unterhaltungsunternehmen.

Und weil innerfamiliär Getue war wegen des Adels, haben wir uns gemeinsam angeschaut, wenn etwas darüber berichtet wurde, die Omi und ich. Zumindest über die englischen Royals, in Zeitungen, Magazinen. Ich erinnere mich an die Hochzeit von Charles und Diana, Anfang der 80er-Jahre. Als Näherin hat meine Omi das Kleid interessiert. Als sie diesen Tüllwahnsinn sah, hat sie sich ausgerechnet, wie viele Schlafsäcke man damit wohl füllen hätte können. Wenn bei den Royals hutmäßig was schiefging, konnte die Omi sehr lachen. Es war nett, das mit ihr zu teilen, diese Königshausgeschichten, wie eine Telenovela, nur in echt. "Schön! Möcht’ nicht tauschen", hat sie gemeint. Ja, wir haben uns auch die Nackte Kanone angesehen, und wir waren sehr wohl amused über die Rolle der Elisabeth II., war ganz und gar nicht geschmacklos.

Der Witz der alten Dame

Die Queen ist damit für uns eine Art familiäre Figur geworden. Sie war mir tatsächlich sympathisch. Sie hatte Humor. Zum Beispiel die Geschichte ihrer Begegnung mit Touristen, irgendwo auf Schottlands Wiesen. Die fragten, ob sie die Königin schon getroffen habe. Da zeigte Elisabeth auf ihren Begleiter und meinte, na ja, er hätte viel mit der Queen zu tun. Das ist lustig. Und sie saß in Europafarben bei der Verlesung von Boris Johnsons Brexit-Programm im Parlament.

Die Queen in Europafarben im Parlament.
Foto: APA/AFP/POOL/STEFAN ROUSSEAU

Hätte ein Witz von meiner Omi sein können. Ihr zum Beispiel hat das Hrdlicka-Denkmal vor der Albertina nicht gefallen. Also ging sie jeden Abend mit dem Hund dort vorbei. Und die gute Asta, ein fettleibiger alter Schäfer mit Wassersucht, hat dort ihre wirklich riesigen Lacken gemacht. Wir sprechen von Rinnsalen, ein Naturschauspiel. Es klickten auch touristische Kameras. War sehr peinlich. Oder: Der Nachbar meiner Großeltern in Wien war Kurt Waldheim. Sie sprach ihn eisern mit "Guten Tag, Herr BundeskaRnzler" an. Fand er nicht komisch. Ich glaube, es war fantastischer Spaß von ihr.

Das letzte Kostüm

Als die Omi gestorben ist, viel zu früh, finde ich, hat sie viele Antworten über sich persönlich mitgenommen, die ich früher hätte erfragen sollen. Und jetzt ist auch Elizabeth II., Königin von England, nicht mehr. Auch so eine Selbstverständlichkeit im Leben, wie ein Tisch oder der Mond. Da darf man schon irritiert sein. Ich würde jetzt sehr gerne mit der Omi besprechen, was sie wohl anhat, die Queen, als letztes Kostüm. (Heidi List, 18.9.2022)