Sobald im Frühjahr die ersten Marillenbäume blühen, füllt sich die Wachau mit Leben. Autokolonnen schieben sich dann von Krems nach Melk, Touristinnen und Touristen drängen sich durch die Gässchen in Dürnstein und Weißenkirchen. Die Wachau, seit 2000 Welterbe der Unesco, zählt zu den beliebtesten Ausflugszielen des Landes. Wein, Marillen und Wanderwege ziehen die Massen an.

Es gibt aber auch Tage, an denen es in der Region ruhiger wird. Wenn die Besucher nach der Weinlese im Herbst schwinden, macht sich im engen Tal oft eine Leere breit. Denn während die Wachau Erholungssuchende in Scharen anlockt, wandern Einheimische zunehmend ab. Vor allem Junge verlassen die Region und kommen nach der Ausbildung nicht wieder. Zum Teil ziehen zwar andere, wohlhabendere Menschen zu, unterm Strich ging in Gemeinden wie Dürnstein oder Spitz die Bevölkerungszahl in den letzten zwanzig Jahren aber um zehn Prozent zurück. Zu teuer sind die Immobilien, zu unattraktiv die Jobs und zu schlecht die Infrastruktur.

Auch Rossatz-Arnsdorf, das am ruhigeren, rechten Ufer der Donau liegt, kämpft mit der Landflucht. Um die Jahrhundertwende wohnten in der Gemeinde knapp 2000 Menschen. Vor zwanzig Jahren waren es 1197, im Jahr 2022 nur noch 1063. Das wirkt sich auch auf das Gemeindebudget aus: Geld aus dem Finanzausgleich gibt es nur für Hauptwohnsitze, die Kosten bleiben aber beinahe gleich.

Unter der Woche ist in Rossatz auch im Sommer nicht viel los.
Foto: Heribert Corn

Schweres Welterbe

Am kleinen Kirchenplatz der Ortschaft hat sich an diesem Vormittag im August eine Handvoll Touristen in ein Café verirrt. Die Straßen sind leer, nur die alten, gepflegten Häuser stehen dicht gedrängt. Der Ort wirkt beschaulich, und doch ist er für das rechte Donauufer schon fast ein urbanes Zentrum: Hier gibt es das einzige, kleine Geschäft am 35 Kilometer langen Weg von Mautern nach Melk – und die einzige Möglichkeit, Bargeld abzuheben.

Zwei Häuser weiter empfängt Bürgermeister Erich Polz (ÖVP) den STANDARD in seinem Büro. Der 64-jährige Weinhauer wirkt entspannt. Nach 38 Jahren im Gemeinderat und 13 Jahren als Ortschef ist es sein letzter Tag im Amt. Mit September übergibt er an den zehn Jahre jüngeren Vize Josef Wildam. Dessen Wahl zum Bürgermeister war im schwarz dominierten Gemeinderat nur ein Formalakt.

"Der Eindruck, dass die Bevölkerung abnimmt, stimmt natürlich", sagt Polz. "Heute leben in den Häusern oft ein oder zwei ältere Personen, früher war der ganze Familienverband da. Das gibt es nicht mehr und das ist sicher ein Problem."

Die Gründe dafür sind vielseitig, glaubt Polz. Abseits des Tourismus und des Weinbaus sind Jobs in der Wachau rar. Der Arbeitsmarkt hat sich wie in vielen Regionen Österreichs in die Städte verlagert. Das gilt erst recht für gut bezahlte Jobs im Dienstleistungssektor. Und Pendeln kommt für viele nicht infrage: Mit dem Auto braucht man rund eineinhalb Stunden nach Wien, mit den Öffis noch länger.

Teurer Denkmalschutz

Hört man sich unter den Einheimischen um, ist das größte Problem für Junge aber der Immobilienmarkt. "Es ist derzeit generell schwierig, etwas zu finden", sagt der 25-jährige Rossatzer Florian Bagl, der nach einer Wohnung oder einem Baugrund sucht. Viele private Eigentümer verkaufen derzeit nichts und behalten ihre Zweitwohnungen oder Grundstücke lieber als Wertanlage gegen die Inflation.

Dazu kommen Eigenheiten des Welterbes Wachau, erzählt Anna Pritz aus Emmersdorf. In den historischen Ortskernen stünden viele Häuser leer, die meisten jungen Leute hätten allerdings nicht die Mittel, denkmalgeschützte Objekte zu sanieren. Stattdessen ziehen sie in die Stadt oder weichen ins nahegelegene Waldviertel oder ins Tullnerfeld aus, wo die Baugründe zwar ebenfalls teuer, aber noch leistbar sind.

"Wir haben nicht die Möglichkeit, großartig Flächen umzuwidmen", sagt Polz. "Erstens fehlt der Platz, und zweitens wollen und müssen wir das Erscheinungsbild der Wachau bewahren." Für die Renovierung des alten, zum Teil geschützten Bestands gebe es jedoch kaum Förderungen, was Neubauten bevorzuge. Viele Immobilien werden zudem als Investition und nicht als Eigenheim genutzt, kritisiert Polz.

Helfen würde aus seiner Sicht eine Infrastrukturabgabe, sodass Aufschließungskosten für bereits gewidmetes Bauland fällig gestellt werden. Auch eine Leerstandabgabe würde Sinn machen. "Wir brauchen einen Hebel, um Druck auf die Besitzer aufzubauen", sagt Polz. "Dann würden sie sich überlegen, ob sie die Flächen rückwidmen lassen oder verkaufen." In der Pflicht sieht der Winzer das Land. "Die Möglichkeiten der Gemeinden sind eingeschränkt."

Vor allem am rechten, südlichen Ufer, sind die Wachauerinnen und Wachauer ans Auto angewiesen.
Foto: Heribert Corn

Kaum öffentlicher Verkehr

Die 22-jährige Julia Ertl, Jugendgemeinderätin in Emmersdorf (ÖVP), will die Lokalpolitik aber nicht aus der Verantwortung nehmen. Gerade im Bereich der Baupolitik und der Infrastruktur, etwa bei Straßen und Kindergärten, hätten die Gemeinden sehr wohl Spielraum. "Wir sollten gegenüber dem Land engagierter auftreten", sagt Ertl.

Auch mehrere Leserinnen und Leser aus der Region, die einem Aufruf des STANDARD gefolgt sind, kritisieren Mängel bei der Infrastruktur, die die Region für dauerhaft Ansässige wenig attraktiv machen. Auf den öffentlichen Verkehr auszuweichen ist für die meisten Wachauerinnen und Wachauer keine Option. Busse fahren am rechten Donauufer nur alle zwei Stunden, am belebteren, linken Ufer einmal in der Stunde. Für Touristinnen und Touristen ist das mitunter verwirrend und für Einheimische keine Alternative zum eigenen Auto. Abhilfe schaffen könnte – zumindest am linken, nördlichen Ufer – die Donauuferbahn. Der regelmäßige Betrieb der Bahn wurde 2010 eingestellt, seither bringt sie nur noch am Wochenende Touristen von A nach B.

Für viele aus der Region ist das schlicht zu wenig. Mehrere Organisationen fordern, den Bahnbetrieb wieder voll aufzunehmen und aufgelassene Streckenteile zu revitalisieren. Christa Kranzl, Vorsitzende der Initiative "Donauuferbahn jetzt", war SPÖ-Politikerin und in der Regierung Alfred Gusenbauers (SPÖ) von 2007 bis 2008 Staatssekretärin im Verkehrsministerium. Jetzt sitzt sie am anderen Ende des Tisches.

Gerade in Zeiten der Klimakrise und hoher Energiepreise sei es "nicht nachvollziehbar, warum die Bahn nicht wiedereröffnet wird", sagt Kranzl. Die Strecke wäre das letzte Stück einer zweiten direkten Verbindung zwischen Wien und Linz, würde die Tourismusregion attraktivieren und gegen Abwanderung helfen, ist die Ex-Politikerin überzeugt. Dass der Betrieb nicht rentabel sei, dürfe keine Rolle spielen. Das sei bei Öffis praktisch nie der Fall.

Ortschefs "umgeschwenkt"

Die Entscheidung über eine Wiederaufnahme des Betriebs liegt zuvorderst beim Land Niederösterreich, das die Bahnstrecke 2010 übernommen hat. Bürgermeister, die vor einigen Jahren noch dafür waren, seien mittlerweile aber "völlig umgeschwenkt", beklagt Kranzl. Auch Polz aus Rossatz lehnt eine Wiederaufnahme ab, sinnvoller wäre mehr Busverkehr. Die Bahn sei "nicht mehr zeitgemäß", Busse billiger und der Weg zur nächsten Station kürzer als zum Bahnhof.

Als Rossatzer hätte Polz aber auch wenig von einem Ausbau der Wachaubahn, die auf der linken Donauseite Richtung Emmersdorf fährt. Am rechten, ruhigeren Ufer wird sein Nachfolger nach eigenen Lösungen suchen müssen. Der nunmehrige Altbürgermeister ist trotz allem optimistisch. Nicht nur der Ausbau der Infrastruktur, sondern auch die Arbeit im Homeoffice sei für die ländliche Region eine Chance. "Eigentlich wollen ja alle hier wohnen", seufzt Polz. (Jakob Pflügl, 17.9.2022)