Venezolanische Geflüchtete stranden in Martha’s Vineyard.

Foto: Ray Ewing/Vineyard Gazette/Handout via REUTERS

Mit ihren wilden Stränden, den pittoresken Leuchttürmen und den von rosafarbenen Heckenrosen und weißen Zäunen gesäumten Grundstücken verkörpert die südlich von Boston gelegene Insel Martha’s Vineyard den makellosen Neu-England-Traum. Normalerweise leben hier kaum 15.000 Menschen. Im Sommer, wenn Hollywood-Größen wie Oprah Winfrey, Spike Lee oder Larry David hier urlauben, sind es deutlich mehr.

Doch die 50 Frauen, Männer und Kinder, die nun auf dem kleinen Flughafen landeten, gehören nicht zu den betuchten Stammgästen. Die meisten Ankommenden stammen aus Venezuela, sind vor wenigen Tagen über die Grenze der USA eingewandert und hatten keine Ahnung, wohin sie die Maschine bringen würden, die sie morgens in San Antonio (Texas) bestiegen.

"Sadistische Lüge"

"Man hat ihnen gesagt, dass es ein Überraschungsgeschenk für sie gäbe und dass sie Jobs und Häuser bekämen", berichtet Rachel Self, eine Anwältin aus Boston, die sich um die Gestrandeten kümmert: "Das war eine sadistische Lüge."

Tatsächlich sind die Betroffenen unfreiwillige Statisten in einem zynischen Polit-Theater, das republikanische Top-Politiker im Süden der USA inszenieren. Seit dem Frühjahr haben die Gouverneure von Texas und Arizona, Greg Abbott und Doug Ducey, Tausende Menschen, die aus Lateinamerika über die Südgrenze in die USA kamen, in Busse gesetzt und in demokratisch regierte Städte wie Washington, New York und Chicago gefahren. Auf diese Weise sollen die durch die Zuwanderung verursachten Lasten umverteilt und vor allem politischer Druck auf die Biden-Regierung ausgeübt werden.

Nun hat Ron DeSantis, der Gouverneur von Florida, den Konflikt auf eine neue Stufe eskaliert: Mit öffentlichen Geldern charterte er zwei Flugzeuge, die im texanischen San Antonio Migranten einsammelten, kurz in Florida zwischenlandeten und dann Kurs auf die Ferieninsel Martha’s Vineyard nahmen.

In einer Pressekonferenz verkaufte DeSantis die Aktion höhnisch als humanitären Akt: Florida sei anders als der Bundesstaat Massachusetts, zu dem Martha’s Vineyard gehört, kein "Sanctuary State", wo irreguläre Einwanderer teilweise vor der Abschiebung geschützt sind. "Wir helfen ihnen, auf grünere Weiden zu kommen", sagte er unter Applaus seiner Anhänger.

Profil schärfen

Tatsächlich geht es DeSantis wie auch Abbott, der am gleichen Tag 100 Geflüchtete mit Bussen in die Nachbarschaft der Washingtoner Residenz von Vizepräsidentin Kamala Harris schaffen ließ, kaum um eine politische Lösung. Beide bewerben sich im November zur Wiederwahl. DeSantis gilt zudem als aussichtsreicher Bewerber für die republikanische Präsidentschaftskandidatur. Die jüngste Aktion verschafft ihm bundesweite Aufmerksamkeit und schärft sein Profil als ultrarechter Hardliner.

Zur Wahrheit gehört auch, dass die Zuwanderungszahlen an der Südgrenze steigen und die Biden-Regierung bislang keine überzeugende Antwort gefunden hat. Während Mexikaner ins Nachbarland zurückgeschickt werden, gibt es solche Regelungen mit Kuba, Nicaragua und Venezuela nicht, weshalb Hunderttausende für ihr oft jahrelanges Asylverfahren in den USA bleiben.

Viele von ihnen wollen weg aus der Grenzregion und in Städte, wo Verwandte oder Bekannte leben. Doch damit hat die Verschickung nach Martha’s Vineyard nichts zu tun. Nicht nur ist die Insel völlig unvorbereitet für die Versorgung und Unterbringung der Betroffenen. Nach Angaben von Anwältin Self haben Agenten der Einwanderungsbehörde die Migranten auch fiktiv in Obdachlosenunterkünften in weit entfernten Regionen registriert, wo sie sich theoretisch regelmäßig melden müssen. "Diese Menschen wurden gekidnappt", sagte Self: "Das ist schändlich und unmenschlich."

Weißes Haus vergleicht Gouverneure mit Schmugglern

Auch die US-Regierung hat das Vorgehen mehrerer republikanischer Gouverneure verurteilt: "Das ist gefährlich. Sie gefährden das Leben von Kindern. Sie gefährden das Leben von Familien", sagte die Sprecherin des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre. "Diese schutzbedürftigen Migranten wurden Berichten zufolge darüber in die Irre geführt, wohin sie unterwegs waren."

Sie seien auch darüber getäuscht worden, was sie bei ihrer Ankunft erwarte, ihnen seien Beihilfen versprochen worden. "Dies ist die Art von Taktik, die wir von Schmugglern in Ländern wie Mexiko und Guatemala kennen." (Karl Doemens aus Washington, APA, red, 16.9.2022)