Als Charles III. vergangene Woche nach London zurückkehrte, gab er sich als Monarch zum Anfassen.
Foto: REUTERS/ HENRY NICHOLLS

Noch eine Reise durchs Land, noch ein Gottesdienst, noch ein Parlamentsempfang, diesmal in der walisischen Hauptstadt Cardiff. Noch einmal Kondolenzen entgegennehmen, den Bürgern die Hände schütteln, sich bei Ordnungskräften bedanken – am Ende seiner ersten Arbeitswoche als Staatsoberhaupt hätte man es Charles Philip Arthur George Windsor am Freitag nicht verdenken können, wenn er am Wochenende gern einmal die Füße hochgelegt hätte. Viele hätten ihm auch ein wenig Zeit der privaten Trauer um den wichtigsten Menschen seines Lebens gegönnt: jene Frau, die ihn vor knapp 74 Jahren zur Welt gebracht hat.

Derlei Normalität aber ist König Charles III. nicht vergönnt. Die globale Trauer um Elizabeth II. macht deren Staatsbegräbnis am Montag zu einem beispiellosen Ereignis – und zu einer Gelegenheit, jene Soft Power zu zementieren, welche die 96-jährig Verstorbene für ihr Land darstellte.

Dementsprechend beschäftigt wird Charles sein. Sollten ihm ein paar Minuten zur Kontemplation bleiben, könnte der Monarch die vergangenen Tage mit einiger Befriedigung Revue passieren lassen. Was sich seit der Todesnachricht aus Balmoral am vorvergangenen Donnerstag manifestiert hat, wird all jene beruhigen, die sich vorab um den Fortbestand der Monarchie nach Elizabeths Tod Sorgen gemacht hatten.

Jahrzehnte für die Öffentlichkeit

Sein Image als grüblerischer ("Der liest Bücher!") und exzentrischer ("Der redet mit Pflanzen!"), zudem ein wenig wehleidiger Mann, der die Eltern noch mit Mitte 40 für seine nicht immer einfache Jugend verantwortlich machte, stand ihm lange im Weg. Übersehen wurde dabei gern, dass der mittlerweile im Pensionistenalter Angekommene beinahe fünf Jahrzehnte im Dienst der Öffentlichkeit auf dem Buckel hat.

Zu besichtigen gab es für die Briten in den vergangenen Tagen nicht nur einen ehrlich um die Mutter trauernden Sohn. Deren Aufgabe, wenn auch noch nicht die Krone, übernahm ein Vollprofi, der erkennbar genau nachgedacht hatte über jene ersten Tage. Das Land, glaubt der BBC-Veteran David Dimbleby, sei ja nicht "einfach nur in Trauer – es befindet sich im Schock". Behutsam ist Charles den Briten vorangegangen in den Schritten, die Trauernde absolvieren müssen.

Ganz erkennbar will er der Mutter auch in der stetigen, kaum merklichen Reform der alten Institution nacheifern. Mag in den wunderbar altmodischen, in pathetischen Redewendungen aus dem 19. Jahrhundert vorgetragenen Proklamationen auch viel von der Queen als altem und dem König als neuem "Souverän" die Rede gewesen sein – insgeheim wussten die tote Chefin, weiß ihr Nachfolger natürlich, dass der Souverän in Wirklichkeit das Volk ist. "Ich muss gesehen werden, damit die Leute an mich glauben", hat Elizabeth II. gesagt, und Charles hält an diesem Grundsatz fest.

Mehr noch: Vom ersten Tag an suchte er auch in klarem Kontrast zur Mutter den taktilen Kontakt mit seinem Volk. Die Szene vom vergangenen Freitag vor dem Buckingham-Palast zeigte, wie der König auf die Schaulustigen zugeht, ihnen die Hand reicht und plaudert, sich sogar von begeisterten Royalistinnen abbusseln lässt. Das wäre bei Elizabeth II. vollkommen undenkbar gewesen.

DER STANDARD

Muss er auch gehört werden? Dieses wichtigste aller Bedenken gegen Charles, dass nämlich der Kämpfer für ihm wichtig erscheinende Anliegen auch in Zukunft öffentlich Stellung beziehen und damit seine Neutralität als Staatsoberhaupt verletzen werde, hat der König gleich in seiner ersten Ansprache auszuräumen versucht. Natürlich werde es ihm nicht mehr möglich sein, "so viel meiner Zeit und Energie" für ökologischen Landbau, menschengerechte Architektur, nicht zuletzt den Klimaschutz aufzuwenden, beteuerte er.

Dass der ältere Herr Anflüge von Launenhaftigkeit erleidet, war aber schon in den ersten Tagen zu besichtigen. Live im TV, wohlgemerkt, eine weitere Innovation der neuen Regentschaft, die die Welt dem Jobanfänger bei jedem Schritt zuschauen lässt.

Weil ihm bei der Akklamation am Samstag bei der Unterzeichnung wichtiger Dokumente eine Schale mit Stiften im Weg war, zog der gerade "von Gottes Gnaden" bestätigte König erst eine Grimasse, winkte dann ungeduldig seinen Adjutanten heran, ihm das störende Objekt abzunehmen. In Belfast zog ein auslaufender Stift sogar royale Flüche auf sich: Er hasse "das verdammte Ding" ("this bloody thing"), vertraute der König seiner zu Hilfe eilenden Frau Camilla an. Dass er zudem noch mit falschem Datum unterzeichnet hatte – wer wollte das einem übernächtigten Trauernden vorwerfen?

Weniger entspannt fiel die Reaktion der Medien auf die Nachricht aus, schon in der Trauerwoche habe der Haushofmeister den Bediensteten in Clarence House, Charles’ bisherigem Londoner Wohnsitz, die vorläufige Kündigung ausgesprochen. Das war zwar einerseits eine logische Konsequenz der dauernd geforderten, von Charles auch aktiv verfolgten "Verschlankung" der Monarchie – neben den Palästen von St. James, Buckingham und Kensington werden die Windsors nicht noch einen vierten behalten können. Andererseits zeugte es nicht gerade von Fingerspitzengefühl in Charles’ engstem Führungsteam.

Mögliches Bollwerk

Wie denn die Verschlankung weitergehen soll? Ausdrücklich haben König und Thronfolger William dessen jüngeren Bruder Harry und seine Gattin Meghan in die Trauerfeiern einbezogen; Charles sprach sogar von seiner "Liebe" für die Familie. Sollte sich da ein Türchen auftun für einen Neuanfang mit den beiden? Für den in Missbrauchsverdacht stehenden Königsbruder Andrew bleibt die Tür zu.

Ganz traditionell hat der neue König bei jeder seiner öffentlichen Auftritte von der Aufgabe gesprochen, "zu der ich berufen bin". Die Briten und die Welt scheint der altmodische Bezug auf eine höhere Gewalt nicht zu stören. Ausgerechnet das bisher streng republikanische Wirtschaftsmagazin Economist rief das angebrochene "karolingische Zeitalter" aus und folgte damit der Financial Times, dem Mitteilungsblatt der Londoner Hochfinanz.

Dazu der Economist-Leitartikel: Im Zeitalter der schweren Gefährdung westlicher Demokratien kann paradoxerweise ein weiser konstitutioneller Monarch als Bollwerk gegen Autokraten und Populisten fungieren. Die Queen hat dies beispielhaft vorgelebt. Und wenn nicht alles täuscht, will ihr Ältester dem Vorbild der Mutter nacheifern. (Sebastian Borger aus London, 17.9.2022)