Ab 14 Uhr versammelten sich die Demonstrierenden in Wien beim Belvedere.

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ÖGB-Chef Wolfgang Katzian gibt das Motto für die Demonstrationen am Samstag vor: "Preise runter!"

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Wien – Bevor kommende Woche die Herbstlohnrunde startet, hat der ÖGB heute zu landesweiten Großdemonstrationen gegen die Teuerung mobilisiert. Insgesamt nahmen nach Gewerkschaftsangaben bei unwirtlichem Wetter 32.600 Personen an den Protestzügen teil, die in allen Bundesländern abgehalten wurden. Die mit Abstand größte Demonstration war jene in Wien vom Schweizer Garten zum Karlsplatz, zu der rund 20.000 Menschen kamen. Die Zweitgrößte war laut den Veranstaltern in Salzburg mit über 2.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

In Wien starteten die Protestierenden mit etwas Verspätung gegen 15 Uhr. Zum Auftakt stimmten mehrere Rednerinnen und Redner die Demo-Teilnehmer auf die Forderungen des Gewerkschaftsbundes ein und sparten dabei nicht mit Kritik an der Regierung.

Diese habe Vorschläge der Gewerkschaften, wie die Teuerung bekämpft werden kann, immer wieder ignoriert, so Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB. Es brauche eine Energiepreisbremse statt nur einer Strompreisbremse. Kritik von den ÖGB-Vertreterinnen und Vertreter kommt an der Strompreisbremse, "auch wenn man bremst, kann man gegen die Wand fahren", ertönte aus den Lautsprechern.

Auch Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) geriet auf der Demo in die Kritik. Er hat sich im Vorfeld besorgt über die Proteste gezeigt. Mit Blick auf die letzten Jahrzehnte forderte die Gewerkschafterin zudem einen Stopp der Liberalisierung.

Riesige Übergewinne kritisiert

Der Vorsitzende der Gewerkschaft Younion, Christian Meidlinger, kritisierte dann, dass Konzerne zum Teil riesige Übergewinne erwirtschaften, während viele Menschen sich das Leben nicht mehr leisten könnten. "Das ist eine Sauerei, die gehört abgeschafft", so Meidlinger, der ein Aussetzen der Mehrwertsteuer sowie das Einsetzen einer Preiskommission forderte.

Erwartet wurden bei den Protestmärschen in allen neun Bundesländern zehntausende Teilnehmer, darunter auch SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Sie hielt zwar keine Rede, wurde jedoch von den Veranstaltern und den Demonstrierenden in Wien lautstark begrüßt. Korinna Schuhmann, Vizepräsidenten des ÖGB, betonte am Karlsplatz bei der Abschlusskundgebung: "Gerade Frauen haben große Probleme mit den Auswirkungen der Teuerung. Wir wollen deshalb Strukturmaßnahmen und keine Einmalzahlungen." Auch die Mieten seien laut Schuhmann zu teuer, "Wohnen ist ein Menschenrecht", untermalte sie. Aber von der Teuerung seien nicht spezielle Bevölkerungsgruppen, sondern es betreffe sie alle, fügte sie hinzu.

"Der Markt hat kein Herz"

Richard Tiefenbacher als Vorsitzender der Österreichischen Gewerkschaftsjugend sorgte sich vor allem um die Jugend. "Die Jugend ist in der Pandemie im Stich gelassen worden, die Teuerung betrifft auch die Jugendlichen." Auch die Präsidenten der Arbeiterkammer Renate Anderl hob die Wichtigkeit von Maßnahmen gegen die Teuerung hervor: "Wenn ein Paar vollzeitbeschäftigt ist und trotzdem festgestellt haben, damit sie nur noch Strom und Gas bezahlen können, dann kann es so nicht weitergehen."

Den Abschluss der Kundgebung in Wien machte ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian. "Wenn alles teurer wird, helfen Einmalzahlungen auch nicht. Es braucht mehr. Das was von der Regierung gemacht wurde, ist zu wenig. Der Markt hat kein Herz, kein soziales Gewissen", kritisierte er die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung.

Rechtsextreme und Corona-Leugner

Man wolle ein starkes Zeichen setzen, die Teuerungswelle werde im Herbst noch schlimmer, deshalb sei es wichtig, auf die Straße zu gehen, hieß es auf der Demo. Lautstark mit Trillerpfeifen und Schildern, auf denen unter anderem "Preise runter" und "Mehr Einkommen zum Auskommen", zog die Demo durch die Wiener Innenstadt.

Angekündigt bei den Demonstrationen haben sich auch Rechtsextreme sowie Corona-Leugner und Vertreter aus der autonomen Szene. Vor allem von den rechtsradikalen Gruppierungen hat sich der ÖGB im Vorfeld deutlich distanziert und eine enge Kooperation mit der Exekutive betont. Bis kurz nach dem Auftakt des Demonstrationszuges in Wien konnten zunächst keine Zwischenfälle beobachtet werden. Rechtsextreme oder Corona-Leugner traten zumindest öffentlich vorerst nicht in Erscheinung.

Die Großkundgebungen finden nicht zufällig in der Woche vor dem Start der Herbstlohnrunde statt.
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Hohes Polizeiaufgebot

Begleitet wurde die Demonstration von einem hohen Aufgebot der Polizei. In der Wiener Innenstadt kreiste ein Polizeihubschrauber permanent über die Innenstadt und der Demozug wurde zu Beginn und am Ende von einer Kolonne an Polizeifahrzeugen begleitet.

Unmittelbar vor Beginn der Demonstrationen, die in allen Bundesländern abgehalten wurden, gab es Unterstützung für die Forderungen von höchster politischer Stelle. Bundespräsident Alexander Van der Bellen teilte auf Twitter mit, dass er die Anliegen der Kundgebungen unterstütze.

Bundespräsident: "Soziale Absicherung schaffen"

Die grassierende Teuerung und ihre Folgen setzten gerade viele Arbeitnehmer "massiv unter Druck", betonte der Bundespräsident: "So wie wir als Gemeinschaft regulierend in die Energiepreise eingreifen, müssen wir auch eine soziale Absicherung gegen die Teuerung schaffen". Er werde sich weiter mit voller Kraft dafür einsetzen, dass die Gemeinschaft solidarisch handle und niemanden zurücklasse: "Diese Solidarität darf nicht nur im Herzen spürbar sein, sondern vor allem im Geldbörsel jener, die sich am Ende des Monats fragen, wie sie ihren Einkauf zahlen sollen."

Teilnehmen an den Kundgebungen wollte Van der Bellen nicht, weil er als Bundespräsident nicht zu Demonstrationen gehe, dafür in der Hoffnung der Gewerkschaft Zehntausende andere. Der Pensionistenverband etwa sagte heute ein weiteres Mal seine aktive Teilnahme zu, ebenso diverse Abgeordnete der SPÖ.

Auch in Linz versammelten sich am Samstag zahlreiche Personen zur Demo gegen die Teuerung.
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"Aufsteirern" in Graz verhindert Demo

Angesetzt waren die Kundgebungen außer in der Steiermark überall in der jeweiligen Landeshauptstadt, und das ab dem frühen Nachmittag. In der Steiermark weichte man dem "Aufsteirern" in Graz aus und traf sich in Bruck/Mur, wo sich auch der stellvertretende SPÖ-Klubchef Jörg Leichtfried angesagt hatte. (Max Stepan, red, APA, 17.9.2022)