Unter Druck: Julian Nagelsmann.

Foto: APA/EPA/Hanschke

Zeichen der Verzweiflung: Manuel Neuer setzt zum Kopfball an.

Foto: IMAGO/Boris Schumacher

Können es nicht fassen: Vorstandsmitglied Oliver Kahn Bayern München und Sportvorstand Hasan Salihamidzic.

Foto: IMAGO/MIS

Augsburg/München – Seinen ersten Oktoberfestbesuch als Bayern-Trainer hatte sich Julian Nagelsmann völlig anders vorgestellt. Doch statt ausgelassener Wiesn-Gaudi im schicken Käferzelt gab es reichlich Anlass für den Derby-Verlierer, Frust hinunterzuspülen. "Die Stimmung ist am Boden", sagte Sportvorstand Hasan Salihamidzic ernüchtert, der "fassungslose" Wortführer Thomas Müller sprach angesichts der schwärzesten Serie seit über 20 Jahren von einem "katastrophalen Trend".

Und Nagelsmann? Der Coach wirkte nach dem niederschmetternden 0:1 (0:0) beim mutigen FC Augsburg und dem vierten Sieglos-Spiel in Serie ratlos und angeschlagen. "Ich sortiere meine Gedanken", sagte er sichtlich angespannt. Worüber er da grübelt? "Über alles denke ich nach – über mich, über die Situation, über alles."

"Jetzt gibt es keine Ausreden mehr"

Das tun auch die Bosse. Salihamidzic wurde gefragt, was die erste Saisonniederlage für Nagelsmann bedeute. "Genau das Gleiche, was es für uns alle bedeutet", sagte er und stellte ein Ultimatum: "Jetzt gibt es keine Ausreden mehr, jetzt müssen Siege her!" Zunächst gegen Leverkusen, Pilsen und im Klassiker in Dortmund.

Die Lage ist finster. "Es wird immer dunkler, das ist gerade auch unsere Gefühlswelt", sagte Müller passend zum verregnet-kühlen Wetter, das die Lust auf die Wiesn endgültig verdarb. "Die macht mir jetzt keinen Spaß, muss ich ehrlich sagen", meinte Salihamidzic, "bei drei Punkten aus vier Spielen weiß ich nicht, ob mir die Maß schmeckt". Klare Tendenz: nein.

Nagelsmann hatte in Augsburg alles versucht. Er versetzte zwischenzeitlich den verdutzten Joshua Kimmich nach rechts hinten, er ließ Torhüter Manuel Neuer stürmen. Der Kapitän scheiterte per Kopf in der Nachspielzeit (90.+5) mit der siebten und letzten guten Bayern-Chance am überragenden FCA-Torwart Rafal Gikiewicz.

"So reicht es nicht"

"Ich bin schon ein wenig beunruhigt. So reicht es nicht", sagte Salihamidzic und forderte: "Wir müssen gieriger sein!" In den Zweikämpfen, wie beim Augsburger Siegtreffer durch Mergim Berisha (59.), als sich Leroy Sane von Vorlagengeber Iago übertölpeln ließ. "Wir haben brutale Probleme gegen Mannschaften, die gegen uns körperlich spielen und uns auf die Socken hauen", stellte Salihamidzic verwundert fest.

Der letzte Biss fehlte aber erneut auch vor dem Tor. "Es fließen viele Chancen einfach so aus dem Stadion", analysierte Nagelsmann, "wir spielen es sehr laissez-faire im letzten Drittel". Das Passspiel sei zu "schlampig", die "Abschlusstechnik" ungenügend.

Am abermals schwachen Superstar Sadio Mane wollte Nagelsmann nicht herumkritteln. "Über Einzelspieler sprechen wir jetzt nicht, das mache ich in der Kabine." Müller assistierte im ZDF: "Ne, stopp! Er läuft nicht neben der Spur. Das Fass brauchen wir nicht aufzumachen."

"Der Trend verheißt nix Gutes"

Salihamidzic wurde deutlicher. "Wir reden viel, wir sprechen ihm zu und versuchen, ihn auf den richtigen Weg zu bringen." Aber: "Auf dem Platz muss er das schon selber machen." An einem echten Neuner fehle es nicht. "Wir können das, wir haben auch Spieler dafür."

Nagelsmann wollte die leidige Frage, ob ihm ein Torgarant wie der nach Barcelona abgewanderte Robert Lewandowski fehle, nicht beantworten. "Wenn ich nein sage, sagt ihr, er erkennt die Probleme nicht. Wenn ich ja sage, heißt es, er vermisst Lewandowski."

Doch er weiß: "Der Trend verheißt nix Gutes." Muss er reagieren? "Ich mache mir meine Gedanken", sagte er düster, "und entscheide dann, wie es weitergeht". Auch für ihn selbst. (sid, 18.9.2022)