Wie erklären wir den Menschen die GIS? ORF-General Roland Weißmann schickte seinen Führungskräften ein "Argumentarium".

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Wien – Vor dem Start des nächsten Volksbegehrens zur Abschaffung der GIS stimmte ORF-Generaldirektor Roland Weißmann seine Führungskräfte am Freitag in einem internen "ORF-Forum" auf intensive Debatten über die künftige Finanzierung des ORF ein. Das Volksbegehren dürfte dabei eher eine Nebenrolle spielen – für den ORF geht es in den nächsten Monaten um eine Erweiterung der GIS-Pflicht auf Streamingnutzung.

Für den ORF – wie die Bevölkerung – geht es um 2022 erwartete rund 664 Millionen Euro. Die GIS spielt rund zwei Drittel der ORF-Einnahmen von gut einer Milliarde Euro pro Jahr herein. Der ORF ist dank der GIS Österreichs weitaus größter Medienkonzern, mehr als doppelt so groß wie alle privaten Medienhäuser.

"Von allen genutzt, sparsam und streng kontrolliert"

"Der ORF wird von allen genutzt, er wirtschaftet sparsam und wird streng kontrolliert", schwört Weißmann in dem internen Argumentarium seine Führungskräfte auf die große GIS-Diskussion der kommenden Monate ein. Am Donnerstag appellierten Weißmann, der Vorsitzende des ORF-Stiftungsrats und die Fraktionssprecher von ÖVP, Grünen und SPÖ im obersten ORF-Gremium an die Regierungsmehrheit im Nationalrat, bis Frühjahr 2023 eine Neuregelung für die GIS inklusive Streaming zu finden.

Wer muss ab 2024 GIS zahlen?
DER STANDARD

Anlass: Höchstrichter verlangen GIS für Streaming

Der Verfassungsgerichtshof hat in einem Erkenntnis von Ende Juni vorgegeben: Eine so wesentliche Nutzungsmöglichkeit von ORF-Inhalten von der GIS auszunehmen wie bisher sei verfassungswidrig. Der Gesetzgeber bekam eine Frist bis Ende 2023, eine neue Regelung zu finden, mit Ende kommenden Jahres hebt das Höchstgericht die bestehenden Regelungen auf.

Haushaltsabgabe oder Geräteabgabe auch für Streaming

ORF-Juristen gehen wie berichtet laut Weißmann davon aus, dass die von Verfassungsgesetz und Verfassungsgericht vorgegebene unabhängige Finanzierung eines Angebots für alle eine Art Abo-Modell wie Netflix – wer nutzen will, zahlt – oder eine Finanzierung aus dem Staatsbudget ausschließt. Damit, so der ORF-General, kämen noch eine Geräteabgabe, die auch Streaming umfasst, oder eine Haushaltsabgabe wie in Deutschland oder der Schweiz infrage. Um das neue Modell rechtzeitig für 2024 zu implementieren, brauche der ORF eine Entscheidung des Gesetzgebers spätestens in den ersten Monaten 2023.

Haushaltsabgabe Thema in Regierung

Nach unbestätigten STANDARD-Infos ist eine Haushaltsabgabe ab 2024 durchaus ein Thema in der Regierung. Sie könnte – nach den deutschen Erfahrungen – für den einzelnen Haushalt geringer ausfallen als die GIS bisher, weil mehr Haushalte zahlen müssen.

Derzeit 283.000 GIS-befreite Haushalte

Wie bei der GIS dürfte es auch bei der Haushaltsabgabe Befreiungen aus sozialen Gründen geben. Laut Papier des ORF-Generals sind derzeit 283.000 Haushalte von der GIS befreit, weil ihr monatliches Haushaltsnettoeinkommen unter 1.154,15 Euro für Einpersonenhaushalte bzw. 1.820,80 für Zweipersonenhaushalte liegt, für jede weitere Person werden 170,08 Euro kalkuliert.

Ruf nach Refundierung für Befreiungen

Der General verweist in dem Papier darauf, dass die Republik der Post und Telekomunternehmen wie A1, Drei und Magenta solche Befreiungen aus sozialen Gründen abgilt, aber nicht dem ORF. Am Donnerstag forderten mehrere ORF-Stiftungsräte eine solche Abgeltung, der ORF-General würde sich jedenfalls nicht dagegen wehren, will sie aber nicht aktiv fordern.

GIS im – etwas hinkenden – Medienvergleich

Die interne Information des ORF-Chefs an seine Führungskräfte beschäftigt sich etwa mit der Höhe der GIS im europäischen Vergleich – und im Vergleich mit höher bepreisten Zeitungs- und Streamingabos. Der markante Unterschied zur GIS: Für Printabos und Streamingabos entscheiden sich die Userinnen und User freiwillig – die GIS wird gesetzlich vorgeschrieben, unabhängig von der tatsächlichen Nutzung und, wie es im Gesetz heißt, unabhängig von der Qualität des gebotenen Programms.

Weißmann verweist hier in seinem Argumentarium darauf, dass 86,5 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher ab 14 Jahren (laut Nutzungsmessungen und -umfragen) täglich zumindest mit einem ORF-Angebot (TV, Radio, Online) Kontakt hätten.

Im Europavergleich wegen eines Drittels Abgaben weit vorne

Wie liegt der ORF nun im Europavergleich der Gebühren? Das ist eine Frage der Perspektive.

Für die Gebührenzahlerinnen und Gebührenzahler liegt die GIS im europäischen Spitzenfeld. Schon vor der Gebührenerhöhung um acht Prozent mit Februar 2022 lag der jährliche Aufwand pro Haushalt nach Daten der Europäischen Rundfunkunion (EBU) von 2021 beim Europavergleich an zweiter Stelle hinter der Schweiz. Nach von der EBU vereinheitlichtem Kaufkraftstandard lag der ORF sogar schon auf Platz eins – ein Chart dazu finden Sie hier.

Den Spitzenplatz verdankt die österreichische GIS aber den Abgaben des Bundes und von sieben der neun Bundesländer auf die Rundfunkgebühr. Der ORF erhält rund zwei Drittel der GIS-Einnahmen pro Haushalt als sogenanntes Programmentgelt.

Höchste Abgaben auf Rundfunkgebühr in Europa

Der öffentliche Abgabenanteil von 33 Prozent an den Rundfunkgebühren sei der höchste in der gesamten EU, betont ORF-Chef Weißmann in seiner Argumentation an Führungskräfte. Während der ORF 67 Prozent der Gebühreneinnahmen bekomme, gingen immerhin 83 Prozent an die in der EU zweitplatzierte Rai in Italien, 88 Prozent an die irische RTE, 92 Prozent an den polnischen Rundfunk, 93 an den portugiesischen. Kroatien behalte fünf Prozent ein, Deutschland und Slowenien zwei Prozent.

EU-Mehrheit finanziert Rundfunk aus Staatsbudget

Frankreich besteuert die Rundfunkgebühren mit vier Prozent – und schafft die gesonderten Gebühren gerade ab. Künftig werden die Öffi-Sender dort aus dem Staatsbudget finanziert.

Das tut damit schon die Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten: Dänemark, Spanien, Luxemburg, die Niederlande, Belgien, Bulgarien, Rumänien, Malta, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Zypern und künftig Frankreich sponsern den öffentlichen Rundfunk aus dem Staatsbudget. Steuerzahler werden damit nicht alle zwei Monate wie von der GIS daran erinnert, dass sie den Rundfunk mitzahlen; als Gefahr gilt eine höhere Regierungsabhängigkeit bei Budgetfinanzierung.

Finnland und Schweden setzen auf eine zweckgewidmete Sondersteuer für Rundfunk.

Rundfunkgebühren haben in der EU noch Österreich, Tschechien, die Slowakei, Portugal, Griechenland, Polen, Irland, Kroatien, Slowenien und Italien, das sein GIS-Pendant mit der Stromrechnung einhebt. Auch Großbritannien hat eine – immer wieder infrage gestellte – Rundfunkgebühr. Die Schweiz setzt wie Deutschland auf eine Haushaltsabgabe.

Mit 18,60 Euro Programmentgelt inklusive Umsatzsteuer pro Haushalt und Monat liege der ORF zwischen Deutschland (18,0) und der Schweiz mit umgerechnet 23,50 Euro.

Pro Kopf ohne Abgaben im Mittelfeld

Für den Europavergleich wählt ORF-Chef Weißmann in seinem Papier den Aufwand pro Kopf für öffentlich-rechtlichen Rundfunk – hier liegt sein Unternehmen mit 6,42 Euro Programmentgelt (nach Erhöhung im Februar, ohne Abgaben) "im Mittelfeld" etwa hinter der Schweiz, San Marino, Deutschland, Norwegen, Island, Finnland und Dänemark und vor Schweden, Großbritannien, dem französischsprachigen Teil Belgiens, Frankreich, Slowenien, Irland und Andorra (diese Länder berücksichtigt das ORF-interne Papier hier).

245 Euro pro Haushalt und Jahr an ORF

Ein Gebührenhaushalt ist dem ORF laut dem Papier nach der Gebührenerhöhung mit Februar 2022 um acht Prozent 245 Euro pro Jahr inklusive zehn Prozent Umsatzsteuer wert.

Weißmann hebt im Argumentarium für Führungskräfte hervor, dass die GIS-Anpassungen von 2001 bis 2021 um 10,1 Prozent unter der Inflationsrate geblieben seien. Die Erhöhung um acht Prozent mit Februar 2022 sei unter der beim Antrag prognostizierten Inflation von zehn Prozent gelegen – und liege nun nach den dramatischen Teuerungen laut Prognosen um 23,7 Prozent unter der Inflation bis 2026.

Warum 2026? Der ORF muss laut geltendem Gesetz (und vor einer Neuregelung für Streaming) spätestens alle fünf Jahre dem ORF-Stiftungsrat und der Medienbehörde KommAustria vorrechnen, ob die GIS-Einnahmen noch zur Erfüllung des Programmauftrags ausreichen. Auf dieser Basis beantragt der ORF Erhöhungen – er könnte das aber auch häufiger als alle fünf Jahre tun.

320.239 Unterschriften für GIS-Abschaffung 2018

Das jüngste Volksbegehren zur Abschaffung der GIS, initiiert von der Christlichen Partei Österreichs (CPÖ), schaffte 2018 320.239 Unterschriften. Damit musste es im Nationalrat behandelt werden. Das war es dann auch schon wieder mit diesem Volksbegehren. (Harald Fidler, 19.9.2022)