Marcus King ist der Typ aus der Garage von nebenan, der samstags am V8-Benzinfresser schraubt und dabei jene Art Rockmusik hört, die eine Zeitlang scharf war, bevor sie im Softrock der mittleren 1970er abgesoffen ist.
Foto: American Recordings

Stünde auf dem Kalenderblatt 1978, niemand würde sich wundern, wenn er in Texas eine Bar betreten würde: Cowboyhut, Polyesteranzug und Stiefel, die neben Käsefüßen auch einem kleinen Revolver Platz bieten. Alles ganz normal.

Doch auf dem Kalender steht 2022, und deswegen wirkt Marcus King wie ein Zeitreisender. Der 26-jährige US-Musiker ist eine Ausnahmeerscheinung. Optisch eine Mischung aus Meatloaf und einem Fleckviehhändler aus Dixie, reüssiert er mit einer tendenziell uncoolen Musik.

Gleichzeitig ist sein Erfolg ein Indiz dafür, dass diese immer noch populär ist – ganz weg war sie ohnehin nie. King spielt auf seinem zweiten Soloalbum Young Blood eine Form des Arenarock, wie er in den frühen 1970ern populär war. Eine Mischung aus Grand Funk Railroad und den frühen ZZ Top. Gut abgehangenen Bluesrock mit breitbeinig gespielten Erektionssoli: Gitarre im Schritt, das Griffbrett steil nach oben.

Spürhund Rick Rubin

Da frohlocken Billy-Bob und Amber im Trailerpark, doch Young Blood ist auf American Recordings erschienen, dem Label von Rick Rubin. Das erhöht die Aufmerksamkeit beträchtlich. Rubin hat von den Beastie Boys über die Red Hot Chili Peppers bis zu Metallica und Johnny Cash alles produziert, was Rang und Namen hat. Er gilt als Spürhund – wenngleich er bei King nicht selber Hand angelegt hat. Das tat Dan Auerbach von den Black Keys, noch so ein Strippenzieher, der wie King in Nashville lebt.

MarcusKingBandVEVO

Aufgewachsen ist King bei seinem Vater Marvin in Greenville in South Carolina. Was er auf Young Blood spielt, lief auf Daddys Plattenspieler im Dauereinsatz, der alte King ist selbst Bluesmusiker. In der Schule galt Marcus als Außenseiter. Sport war seines nicht, statt cooler Sneakers trug er Birkenstock, die waren bequemer.

Bei erster Gelegenheit ging er von der Schule ab und mit seinem Vater auf Tour. In viele Clubs musste er eingeschmuggelt werden, weil er zu jung war; den Babyspeck trägt er bis heute. Bald begann er zu trinken, und um die Tourstrapazen zu lindern, nahm er Drogen.

Grammy-Nominierung

2014 erschien das erste von drei Alben der Marcus King Band, seit 2020 ist er als Solokünstler unterwegs. Sein vor zwei Jahren für einen Grammy nominiertes Debüt El Dorado war ein entspanntes Southern-Rock-Album, Young Blood ist härter. Es ist so angelegt, dass in einer Arena noch der Hamburgerfriedhof in der letzten Reihe aus dem Sessel springt, wenn King aufdreht, und das tut er. Er ist der Hard Working Man, den er besingt. Das macht sich bezahlt. Die Hallen werden größer, der kleine Dicke ist hip, dabei hat er gerade noch die Kurve gekriegt, wie er sagt.

Nach der Trennung von seiner letzten Freundin hatte er bei einem nächtlichen Spaziergang eine Erscheinung. Ein Mann mit Kapuzenjacke ohne Gesicht soll ihm begegnet sein. Ein Dämon! King schwört, dass er nüchtern war. Er deutete die Erscheinung als Zeichen, seinen Lebenswandel zu ändern, fürchtete den baldigen Tod, wenn er so weitermachen würde. Er entsagte den Drogen und gilt heute als Hollywood-clean. Das heißt, er ist bei Leichtbier und Zigaretten angekommen, zu Hause sorgen Katzen und eine neue Freundin für Stabilität.

Marcus King

Attraktiver Schweinerock

In einer Stimmung aus Angst und Euphorie ist Young Blood entstanden, und King übersetzt den Wandel mit Nachdruck, vermittelt ihn glaubwürdig. Er ist der Typ aus der Garage von nebenan, der samstags am V8-Benzinfresser schraubt und dabei jene Art Rockmusik hört, die eine Zeitlang scharf war, bevor sie im Softrock der mittleren 1970er abgesoffen ist. Die Zwölf-Finger-Soli, ohne die diese Musik einfach nicht auskommt, die muss man mögen. Aber er schafft es, diesen oft als Schweinerock diffamierten Stil attraktiv zu machen, befreit ihn von der Aura von Oldie-Zirkus und Ü-100-Party, denn er kennt das Fach gut.

Der Swamprock der Creedence Clearwater Revival ist bei ihm genauso angelegt wie die Neigung zum Jammen. Doch King hält sich zurück, kein Song ufert aus, nach vier Minuten ist die Bar zerlegt. Der Gesang verrät sein jugendliches Alter, zugleich schwingt eine Menge Erfahrung mit, gute Erlebnisse wie schlechte. Young Blood ist Kings Versuch, die Balance zugunsten der guten zu verschieben. Das ist ihm ausgezeichnet gelungen. (Karl Fluch, 19.9.2022)