Der Medienkünstler Arye Wachsmuth kritisiert im Gastkommentar die intransparente Vorgehensweise der politisch Verantwortlichen bei der Vergabe einer Kunstintervention am Neuen Landhaus.

Im Juni 2022 prämierte eine Fachjury Franz Wassermanns Entwurf "Wir haften für unsere Geschichte" als Beschriftung auf dem Neuen Landhaus in Innsbruck. Die Politik akzeptierte das Ergebnis nicht. Man lehnte das Siegerprojekt erst kommentarlos, dann nur schwach argumentiert als "ungeeignet" ab. Stattdessen entschied man eigenmächtig, das zweitgereihte Projekt von Ramesch Daha und dem Architekturkollektiv AKT zu realisieren. Laute Kritik angesichts der intransparenten Vorgehensweise gab es nicht nur seitens der Jury und der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Kritisch zu Wort meldeten sich auch Gerhard Ruiss namens der IG Autorinnen, die Tiroler Künstlerschaft, Gemeinderat Mesut Onay (Alternative Liste Innsbruck), Landhausplatz-Mitgestalterin Kathrin Aste (LAAC Architekten) und die Innsbrucker "battlegroup for art".

Nun haben Ramesch Daha und AKT ihr Projekt zurückzogen. Eine sicher schwere, aber zweifelsfrei richtige Entscheidung. Somit droht die Gefahr, dass keines der Projekte realisiert werden könnte. Ein totales Scheitern des Wettbewerbs aber liegt allein in der Verantwortung der politisch Zuständigen, die sich bis dato durch intransparente Entscheidungen und einen gönnerhaften Umgang auszeichneten. Es liegt in deren Zuständigkeit, dies zu korrigieren. Bereits im August richtete die Mehrheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einen offenen Brief an die Landesregierung, der bis heute unbeantwortet blieb. Jetzt heißt es erstmals, man wolle "die Künstler" zu einem Gespräch einladen. Welche der Künstler gemeint sind und ob Franz Wassermann inkludiert werden soll, bleibt offen.

Zogen ihr Projekt zurück: die Visualisierung des Projekts "Balkensturz" von Ramesch Daha und dem Architekturkollektiv AKT.
Visualisierung: Ramesch Daha, AKT

Symbolische Handlung

Warum sich die Verantwortlichen mit dem Sprachbild Wassermanns nicht anfreunden wollten, ist unschwer zu erahnen. Die Jury und die Teilnehmenden wurden zwar als Kunst- und Geschichtsexpertinnen und -experten eingeladen, aber nicht bedingungslos. Die Wettbewerbsauslober wollten wohl eine symbolische, externalisierte Handlung setzen lassen, aber keinesfalls eine so explizite Handlungsanweisung wie jene Franz Wassermanns. Schon gar nicht am Corpus Delicti, dem aufwendig renovierten einstigen Machtzentrum der Gauleitung, Reichsstatthalterei und NSDAP in Tirol. Wer die Täter waren und dass von hier aus die Entrechtung und die Ermordung der jüdischen Bevölkerung, die Auslöschung politischer Gegner und die Tötung körperlich und geistig beeinträchtigter Menschen ausgingen, wird hier bis heute nicht erwähnt.

"Ob und wie wir für unsere Geschichte haften, ist vor allem eine moralische und gesellschaftliche Frage."

Vermutlich wollen manche Politikerinnen und Politiker nicht daran erinnert werden, dass auch sie haftbar sind. Es wurde suggeriert, dass die Beschriftung der heutigen Belegschaft des Hauses nicht zumutbar sei. Man könnte meinen, dass die Landesregierung ihre Beamtinnen und Beamten nicht als ein Teil der angesprochenen Gesellschaft sieht.

Franz Wassermanns gecancelte Arbeit zeigt: Ob und wie wir für unsere Geschichte haften, ist vor allem eine moralische und gesellschaftliche Frage. Sich für und als Gesellschaft einzusetzen, bedeutet per se etwas Positives. Es ist eine Investition und keine Verurteilung. Engagement bedeutet, dass sich etwas entwickeln kann. Es ist ein Zukunftsbild – oder anders ausgedrückt: ein Leitbild für die Zukunft im Hier und Jetzt. Die Prämisse bleibt, aus der Geschichte zu lernen.

Spielball der Parteipolitik

Das Scheitern des Wettbewerbs zeigt, dass der Fachjury und den geladenen Kunstschaffenden wie auch Architektinnen und Architekten keine maßgebliche Kompetenz zugesprochen wurde. Die Politik sieht Expertise, wenn sie den eigenen Vorstellungen widerspricht, als abkömmlich an. Ein wichtiger, mit Steuergeld finanzierter gesellschaftlicher Auftrag verkam so zur Farce.

Es ist aus der Zeit gefallen, wenn die Aufarbeitung von NS-Geschichte mehr der politischen Imagepolitur dienen soll, als wirklich relevant zu sein. Traurig, wenn Kunst zum Spielball lokaler Parteipolitik wird. Das Fehlen eines äußeren Erinnerungszeichens am ehemaligen Gauhaus war 2020 von jener Historikerkommission bemängelt worden, die mit der Aufarbeitung der NS-Geschichte des Gebäudes beauftragt worden war. Die Tiroler Landesregierung scheint diese Erkenntnisse aber nicht verinnerlicht oder verstanden zu haben. Von Beginn an gelang es nicht, eine Vision zur Vermittlung der Geschichte zu entwickeln. Bis dato beschränkt sich die Thematisierung der NS-Geschichte des Gebäudes auf eine hochnotpeinliche "Tafel" im Eingangsbereich, die den Bogen von NS-Gewaltherrschaft über die französische "Besatzungsmacht" zur heute demokratischen Regierung zu spannen versucht.

Legitimer Sieger

Ob "Kulturpolitik – (k)ein wichtiges Thema?" sei, wurde im Wahlvorfeld in Innsbruck via der "battlegroup for art" mit kulturpolitischen Vertreterinnen und Vertretern der Parteien diskutiert. Thematisiert wurde unter anderem, was an der Kultur- und Vergabepolitik des Landes nicht passt, samt Negativbeispiel dieses Wettbewerbsverlaufs. Der Ruf nach mehr Mitbestimmung wurde lauter – die Politik schwieg. Die schwarz-grüne Koalition agiert weiterhin nach dem Motto "Wir haben alles richtig gemacht", anstatt Verantwortung zu übernehmen. Die Wählerinnen und Wähler haben jetzt die Wahl, und die sollten sie ergreifen.

Die ärgste Blamage wäre es, wenn kein Projekt zustande käme. Die Landesregierung und Kulturlandesrätin Beate Palfrader (ÖVP) dürfen ihre Verantwortung nicht auf einzelne Teilnehmerinnen und Teilnehmer oder gar die Jury abwälzen. Der Einzige, der aus diesem Wettbewerb unbeschadet hervorgehen könnte, ist Franz Wassermann. Er ist der legitime Sieger dieses Wettbewerbs. Die Ausführung seines Projekts noch vor der Wahl zu verkünden wäre aufrichtig. Es ist der Politik zumutbar, Format zu zeigen. Just do it! (Arye Wachsmuth, 19.9.2022)