Justin Welby, Erzbischof von Canterbury, hält seine Predigten in der Regel kurz.

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Mit Trauer weiß Justin Welby von Berufs wegen umzugehen, schließlich arbeitet er seit drei Jahrzehnten als anglikanischer Priester. Es gab in den vergangenen Tagen nach dem Tod von Elizabeth II. aber Medienauftritte des Erzbischofs von Canterbury, in denen die ganz persönliche emotionale Beteiligung des 66-Jährigen deutlich wurde. Die verstorbene Queen hat Welby von Amts wegen gut gekannt; dem Vernehmen nach kamen das weltliche und das geistliche Oberhaupt der anglikanischen Staatskirche von England gut miteinander aus.

Nun fällt dem 105. Arch Bishop of Canterbury, im Kirchenjargon kurz ABC genannt, die Aufgabe zu, bei der feierlichen Totenmesse in der Londoner Westminster Abbey der Verstorbenen gerecht zu werden. Was auch immer Welby sagen wird – zuversichtlich dürfen die Königsfamilie und ihre Staatsgäste aus aller Welt davon ausgehen, dass der Geistliche sich an eine Maxime der tiefreligiösen, an frommen Kirchenliedern und intensiver Bibellektüre geschulten Queen halten wird.

Diese hatte bekanntermaßen wenig Sinn für theologische Haarspaltereien, erinnert sich der frühere Londoner Bischof Richard Chartres im Magazin "Spectator". Wichtig sei ihr vor allem eines gewesen: "Gottesdienste dürfen nicht zu lang dauern."

Kurze Predigten

An Welby soll's nicht liegen – der ABC pflegt sich bei seinen Predigten kurz zu halten. So war es bald nach seinem Amtsantritt 2013, als in der Abbey des 60. Krönungsjubiläums der Königin gedacht wurde. In einfachen Worten dankte der Geistliche damals der Jubilarin und schrieb der Nation ins Stammbuch: "Das Treuegelöbnis der Queen für den Dienst an Gott und ihrem Volk symbolisiert die freiwillige Unterordnung unter eine Autorität, für die unser Land bekannt ist. Immer dann, wenn wir sie nachahmen, sieht Großbritannien am besten aus."

Am Montag solle die Familie der Verstorbenen im Mittelpunkt stehen, findet der ABC: "Da verabschiedet sich eine Familie von einem geliebten Menschen." Die Trauer werde von vielen Briten geteilt; hinzu geselle sich "das Gefühl tiefer Dankbarkeit".

"Dunkle Zeiten"

Der Absolvent des Elite-Internats Eton und der Uni Cambridge war Ölmanager für Elf Aquitaine und Enterprise Oil, ehe er mit Anfang 30 die Berufung zum Priester verspürte. Dabei spielte eine eigene tiefe Erfahrung mit Trauer eine Rolle: Das erste von sechs Kindern mit seiner Frau Caroline, Johanna, kam als Baby bei einem Autounfall ums Leben. "Das waren dunkle Zeiten, die uns aber auf merkwürdige Weise Gott nähergebracht haben", hat Welby später berichtet. Vor seiner Bischofszeit diente er als Pfarrer am weltberühmten Versöhnungszentrum im englischen Coventry.

Der ABC gehört zur evangelikalen, theologisch konservativen Strömung der Church of England, die einen Kompromiss darstellt zwischen Anglo-Katholiken und Anglo-Protestanten, strenggläubigen Puritanern wie liberalen Reformatoren. Nicht umsonst ist in der englischen Sprache von einer "breiten Kirche" (broad church) die Rede, wenn Gruppierungen wie Parteien oder Berufsverbände die Protagonisten vermeintlich unvereinbarer Positionen enthalten.

Dieses Problem hat der ABC am Montag nicht: In der Trauer um ihr Oberhaupt sind die Anglikaner mit der Mehrheit der nicht- oder andersgläubigen Briten vereint. (Sebastian Borger aus London, 19.9.2022)