Heiß wird die Herbstlohnrunde der Metallindustrie mit Sicherheit. Spannend werden die langfristigen Folgen – für Einkommens- und Inflationsentwicklung gleichermaßen.

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Wien – Gewerkschaft und Arbeitnehmervertreter lehnen eine Verlängerung der Laufzeit für Kollektivverträge zwar kategorisch ab – trotzdem unternehmen Wirtschaftsforscher rund um Ulrich Schuh von WPZ Research einen Vorstoß für einen Zweijahresabschluss. Der könnte dann im ersten Jahr durchaus höher sein, sagt Schuh im Gespräch mit dem STANDARD. Denn im zweiten Jahr, also ab November 2023 bis Herbst 2024, käme dann keine Erhöhung oder nur eine Einmalzahlung.

"Wenn sich die Lohnabschlüsse dauerhaft fortsetzen, facht das die dynamische Inflationsentwicklung weiter an, und die Teuerung ist nicht mehr wegzubekommen", argumentiert der Volkswirt. Mit einem Jahr Pause hingegen – das wäre dann ab Herbst 2023 – könnte man die Dynamik unterbrechen und verhindern, dass die gefürchtete Preis-Lohn-Spirale in Bewegung komme. Kritisch sei eine Preis-Lohn-Spirale deshalb, weil die Löhne dabei mit der Inflation mitzögen und stiegen, aber die Bevölkerung von den höheren Einkommen real nicht mehr profitieren könne, weil ja die Preise weiter steigen würden, skizziert der WPZ-Ökonom die Wirkung.

Metaller als Vorbild

Da die Inflation infolge der ultralockeren Geldpolitik in Europa nicht mehr von allein weggehe, komme der Lohnpolitik nach vielen Jahren wieder eine besondere Rolle zu. Dass die exportorientierte Metallindustrie ihre erzeugten Waren und Güter hauptsächlich ins Ausland verkaufe und dabei den Großteil der Preissteigerungen von Energie und Rohstoffen über die Verkaufspreise weitergeben könne und Preiserhöhungen bisweilen gar nicht auffielen, ändere an dieser Dynamik nicht viel, argumentiert Schuh. "Das ist kein alleiniges Energiethema. Die Herbstlohnrunde der Metaller hat Vorbildwirkung für alle Branchen, auch für Handel und Dienstleistungen, die nachfolgen." Genau dadurch erhalte die gefürchtete Preis-Lohn-Spirale Auftrieb.

Für einen im Gegensatz zu Deutschland völlig unüblichen Zwei-Jahres-Abschluss müssten beide Seiten über ihren Schatten springen. Die Unternehmer müssten im ersten Jahr in Vorlage gehen und die Arbeitnehmer im zweiten Jahr Zurückhaltung üben.

Heuer kräftiger, nächstes Jahr dünn

Damit ist klar: Der heurige Abschluss müsste nach dem Vorschlag des WPZ relativ kräftig ausfallen. Denn allein die Inflation beläuft sich im maßgeblichen vergangenen Jahr (ab September 2021) bereits auf fast sieben Prozent, und Reallohnverluste (das Wifo prognostiziert mehr als vier Prozent) sind aufgrund der hohen Inflation längst eingetreten. Rechnet man gemäß Benya-Formel den Produktivitätsfortschritt hinzu, käme man rasch in die Nähe der Zweistelligkeit. "Die Arbeitnehmer befinden sich in der frustrierenden Situation einer Jagd nach einer nicht erreichbaren Karotte. Selbst ein höherer Lohnabschluss wird zu keiner zusätzlichen Steigerung der Realeinkommen führen, weil die Inflation im gleichen Maß mitsteigt", heißt es im WPZ-Papier, das dem STANDARD vorliegt.

Vereinfacht ausgedrückt gilt es bei dem von 2022 bis 2024 konzipierten Modell von Arbeitgebern wie Arbeitnehmern abzuwägen, ob zweimal sieben Prozent Lohnerhöhung vorteilhafter sind als einmal zehn bis zwölf Prozent.

Hochinflation austrocknen

Als Gegenleistung stellt Ökonom Schuh einen Bruch der Hochinflation in Aussicht. Davon würden dann beide Seiten profitieren. Einen allfälligen weiteren Anstieg der Inflation könnte man im Herbst 2023 mittels Einmalzahlungen abfangen. Das treibe die Personalkosten nicht dauerhaft in die Höhe und mindere den Kaufkraftverlust zumindest ein wenig. Der Vorschlag impliziert freilich, dass die Unternehmer in einem ersten Schritt zukünftige Kaufkraftverluste der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vorfinanzieren. Da die Unternehmer aufgrund des Wettbewerbsdrucks nur einen Teil der Kostensteigerungen in die Preise überwälzen können, müssten sie eine weitere bittere Pille schlucken.

Da ein Großteil der kalten Progression abgeschafft wird, sind Einmalzahlungen künftig steuerlich besser gestellt und somit vorteilhafter. Angesichts der auf absehbare Zeit hohen Energiepreise komme der Lohnentwicklung eine entscheidende Bedeutung zu, mahnt WPZ-Mann Schuh. Österreich mit seiner funktionierenden Sozialpartnerschaft könnte diesbezüglich in Europa eine Vorbildwirkung bekommen. Denn zwar habe eine hohe Inflation grundsätzlich einen dämpfenden Effekt, aber das reiche nicht, um die Dynamik zu stoppen. (Luise Ungerboeck, 19.9.2022)