Sie galt lange als Schattengewächs, als die ewige Nummer zwei hinter der Damenmode. Nun ist die Menswear "on fire", schrieb zuletzt die Modeplattform Business of Fashion. Das Marktforschungsinstitut Euromonitor will das belegen können, sagt ihr bis 2026 ein Wachstum von 5,8 Prozent voraus, einen halben Prozentpunkt mehr als die Frauenmode.

Luxusmodeonlineshops wie Mytheresa oder Matchesfashion verzeichnen im Männersegment rasante Zuwächse, aktuell ziert Timothée Chalamet die Vogue, als erster Mann auf der britischen Ausgabe! Doch was macht die Männermode sonst noch spannend? Wir haben uns umgeschaut.

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1. Telfar Clemens

Seine Taschen gelten als zeitgenössische It-Bags und ihr Designer, der US-Amerikaner Telfar Clemens (Bild), als Verkaufsgenie. Die veganen, erschwinglichen Teile mit dem selbstbewussten Logo verkaufen sich wie warme Semmeln. Der Geniestreich des New Yorkers hat bereits einen eigenen Namen: "Bushwick Birkin". Oprah Winfrey liebt sie genauso wie männliche Youtube-Stars, während der New Yorker Fashion Week wurde der erste Pop-up-Store des Labels gestürmt. Eine Tasche von Telfar zu kaufen heißt auch, ein schwarzes Business zu unterstützen.

Telfar Clemens, 1985 als Kind liberianischer Eltern im New Yorker Stadtteil Queens geboren, begann Anfang der Nullerjahre, Vintage-Kleidung neu zusammenzusetzen. 2004 gründete er Telfar als Label für Männer wie Frauen. Heute gilt er als einer der erfolgreichsten schwarzen Modemacher: Er kleidete Beyoncés Schwester Solange Knowles ein, 2020 wurde er vom Council of Fashion Designers of America (CFDA) als Accessoire-Designer des Jahres ausgezeichnet. Im Frühjahr 2021 landete er als einer der 100 einflussreichsten Menschen auf dem Titel des Time-Magazins. Derzeit wird er neben Martine Rose und Grace Wales Bonner als möglicher Nachfolger von Virgil Abloh als Männermodedesigner für Louis Vuitton gehandelt. Aufregend!

2. Das Erbe des Virgil Abloh

Sneaker sind nicht nur im Museum gelandet, sie erfahren längst Wertsteigerungen wie Designerhandtaschen. Prominentes Beispiel: Anfang 2022 versteigerte das Auktionshaus Sotheby’s 200 Paar Sneaker für rund 22 Millionen Euro, allein 350.000 Dollar wurden für das teuerste Paar der Sonderedition "Air Force 1" (Bild) des Luxuslabels Louis Vuitton und des Sportartikelherstellers Nike hingelegt. Entworfen hatte sie der Ende vergangenen Jahres verstorbene US-amerikanische Designer Virgil Abloh.

Wie kein anderer machte er die Männermode wieder interessant, und wie kein anderer stand er gleichzeitig für die rasanten Veränderungen, die die Modeindustrie in den letzten Jahren durchlief: Schon lange geht es nicht mehr nur um das Entwerfen von Kollektionen, sondern auch um Streetwear, um Instagram, um Authentizität, um Identität, um popkulturelle Auskennerschaft. Dass Abloh im Sommer 2018 seine erste Show bei Louis Vuitton mit dem Rapper Playboi Carti eröffnete, erweist sich rückblickend als wegweisend für die Luxusmodeindustrie. Mit Rappern und Sportlern werden neue männliche Zielgruppen erschlossen: Gucci hat soeben ihrem neuen Markenbotschafter, dem Fußballspieler Jack Grealish von Manchester City, eine siebenstellige Summe überwiesen, bei Balenciaga schwebte der 19-jährige Fußballstar Eduardo Camavinga durch den Couture-Salon. Auch Fans von Virgil Abloh müssen schnell sein: Seine letzte Kollektion für Louis Vuitton liegt in den Läden.

3. Brad Pitt im Rock

Wer hätte sich das vor drei Jahrzehnten vorstellen können? Ausgerechnet Brad Pitt, der Mann, der in Levi’s-Spots den Denim-Cowboy gab, trat im Sommer bei einem Pressetermin in Berlin in einem angeknitterten Leinenrock auf.

Brad Pitt im Rock.
Foto: AP /Markus Schreiber

Es handelte sich nicht um einen ausrangierten Hippie-Fetzen seiner Mutter, sondern um ein handgefertigtes Stück des Modemachers Haans Nicholas Mott. Fast zeitgleich erschien der Deutsche Lars Eidinger bei der Premierenfeier nach der Eröffnung der Salzburger Festspiele in einem schwarzen Kleid. Das war kein Zufall. 2022 ist das Jahr, in dem immer mehr Männer sich für jene Kleidungsstücke erwärmen, die David Bowie und Jean-Paul Gaultier bereits in den 1970ern und 1980ern propagierten.

4. Harry Styles

Der schon wieder! Einige werden mit den Augen rollen. Es mag mittlerweile ganze Abhandlungen über die Schlaghosen, Rüschenhemden, Handtaschen und lackierten Nägel des 28-jährigen Harry Styles (Bild) geben, doch ohne den Briten, der seine Karriere bei der Boygroup One Direction begann, hätte sich Brad Pitt, mittlerweile 58, womöglich keinen Leinenrock angezogen. Styles Auftreten dürfte das Auftreten von Männern nachhaltig beeinflussen, und das nicht nur im Internet. Auch in Wien wurde die Modewoche von einem Mann in High Heels eröffnet und einem Männermodel in einem Volantkleid beendet. Der wahre Fortschritt wäre, wenn das keine Erwähnung mehr wert wäre.

Harry Styles Anfang September bei den Filmfestspielen von Venedig.
Foto: Joel C Ryan/Invision/AP

5. Der neue Lagerfeld

Der Belgier Glenn Martens ist ein Alleskönner und so vielseitig wie Karl Lagerfeld. Mit den asymmetrischen, sexy Entwürfen für sein Label Y/Project begeistert der 39-Jährige Pariser coole Kids mit Kohle, in einem von ihm entworfenen Couture-Kleid für Gaultier heiratete im Sommer die New Yorkerin Chloë Sevigny, die Denim-Marke Diesel hat er innerhalb weniger Saisonen wachgeküsst. Männer steckt Martens da übrigens in zerrissene Jeans und wirft ihnen weite Mäntel um (Bild). Man spürt, dass hier einer den Kontakt zur Welt da draußen noch nicht verloren hat.

6. Der Oberlippenbart

Der Oberlippenbart ist wieder da. Spätestens seit der US-Schauspieler Miles Teller in Top Gun: Maverick neben Tom Cruise mit Schnauzer zu sehen war, hat auch die Tiktok-Gemeinde den Schnurrbart (Bild: Kampagne von Carhartt und Small Talk) entdeckt. Fast zwei Millionen Mal wurde der Hashtag #Topgunmustache bereits aufgerufen. Wenn das der Häupl wüsste! Das Revival des Schnauzers ergänzt sich gut mit einem weiteren Trend: Unter dem Hashtag #Blokecore zeigen sich auf Tiktok Männer, deren Stilvorbild Rudi Völler oder Schneckerl Prohaska sind: Sie tragen Fußballtrikots, Levi’s 501, Goldketterl, Vokuhila – und manchmal auch einen Oberlippenbart.

7. Die neue Modelust der Männer

Männer reden über Mode! Bestes Beispiel sind die beiden New Yorker James Harris und Lawrence Schlossman, beide Mitte 30, denen die New York Times vor einigen Monaten ein Porträt widmete. Sie nehmen in ihrem Podcast "Throwing Fits" auf unterhaltsame Art Outfits auseinander (Bild) oder analysieren die ungeklärte Nachfolgefrage von Abloh bei Louis Vuitton. 93 Prozent ihrer Zuhörer sind männlich. Auch auf Instagram sind unabhängige Plattformen für Männermode entstanden. So wie der New Yorker Account Hidden, betrieben von einem britischen, anonym postenden Expat. Er versorgt mehr als 864.000 Follower mit Schnappschüssen neuer Sneaker-Modelle. Wem das zu bildlastig ist: Über den Newsletter Sprezza werden Männermode-News verschickt.

8. Der Himbo

Die schönen Männer mit den durchtrainierten Oberkörpern, die der Designer J. W. Anderson für das spanische Label Loewe über seinen Laufsteg schickte, trugen in Hüfthöhe Gürtel, auf denen der Schriftzug "sexy" saß. Andere T-Shirts mit aufgedruckten Sixpacks (Bild). Einige erkannten sofort: Der Designer spielte auf den "Himbo" an. Erstmals tauchte der Begriff Anfang der Achtziger in der Washington Post auf: Gemeint waren Männer, die mehr für ihr Aussehen als ihre intellektuellen Fähigkeiten geschätzt werden. Damals waren Typen wie Arnold Schwarzenegger gemeint, im kommenden Jahr wird der Himbo in Gestalt von Ken in Greta Gerwigs Film Barbie zurückkehren: Heute ist er ein gut aussehender Mann ohne, ganz wichtig, toxische Vibes.

9. Die Cargohose

Ihre zupackende Art und ihren Sinn fürs Praktische schätzen längst nicht mehr nur Männer mit Vorliebe für Hosen in Dreiviertellänge. Die Generation Z zieht das geräumige Exemplar mit den aufgesetzten Taschen längst der Skinny vor. Modehäuser wie Dior (Bild) haben schon reagiert: Die Cargohose ist Bestandteil der Herbstkollektion. Nicht jeder Träger zieht die Cargohose allerdings aus modischen Gründen an. Der ukrainische Präsident machte sie auf dem politischen Parkett zum militärgrünen Mahnmal: Vergesst uns nicht!

10. Die Haube

Handgestricktes von Mühlbauer.
Foto: Maria Ziegelböck/Mühlbauer

Würde man Kanye West befragen, welche Kopfbedeckung das Nonplusultra ist, er würde auf die Gesichtsmaske verweisen. Seit zwei Jahren steckt der Kopf des Rappers bei Modeschauen oder Events wie den US-amerikanischen BET Awards in einem eigentümlichen Gummistrumpf, darüber sitzt meist eine Sonnenbrille.

Wer wie West auffallen, aber auf Blickkontakt mit den Mitmenschen nicht verzichten will, greift zur Balaclava, auf den Skipisten als Sturmhaube unterwegs – oder setzt auf handgestrickte, atmungsaktive Modelle wie das von Mühlbauer. (RONDO, Anne Feldkamp, 27.9.2022)