Was sich dieser Tage in Schweden und Italien abspielt, bestätigt die Feststellung des bedeutenden deutschen Historikers Golo Mann (1909–1994): "Die Geschichte lehrt uns das Überraschende, Unvorhersagbare, Bescheidenheit und Resignation. Sie ist das beste Gegengift gegen alle falsche Selbstsicherheit, Selbstgerechtigkeit und Rechthaberei."

Seit der Kreisky-Ära galt hierzulande Schweden als ein Leuchtturm des Humanismus, des Wohlfahrtstaates und der Toleranz gegenüber den Fremden. Das Dreigestirn – Willy Brandt, Bruno Kreisky und Olof Palme – war das Symbol des "sozialdemokratischen Jahrhunderts" in den Siebzigerjahren des 20. Jahrhunderts. Wer hätte das gedacht, dass heute nirgendwo in Westeuropa die extreme Rechte so stark sein würde wie in Schweden.

Der Chef der Schwedendemokraten, Jimmie Åkesson, schwärmt von Viktor Orbáns Politik.
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Seit dem knappen Sieg des konservativ-rechten Bündnisses hängt die Zukunft der künftigen bürgerlichen Regierung vom Wohlwollen der rechtsextremen Schwedendemokraten ab, auch wenn sie nicht formell in der neuen Regierung vertreten sein werden. Sie sind zur zweitstärksten Partei hinter den Sozialdemokraten geworden.

Mit ihrem rechtspopulistischen, fremdenfeindlichen Kurs profitierten sie vor allem von den Versäumnissen der Integrationspolitik der Sozialdemokraten und den Folgen der Bandenkriminalität, da Schweden mehr Asylsuchende pro Kopf der Bevölkerung aufgenommen hat als jedes andere westliche Land. Sie loben den Autokraten, fordern die Verschärfung der Einwanderungsgesetze, härtere Strafen für Kriminelle und einen nationalistischen Kurs – "Schweden zuerst!"

Harmloses Image

Auch in Italien könnte laut allen Umfragen ein rechtspopulistisches Bündnis mit einer postfaschistischen Partei, den Fratelli d'Italia ("Brüder Italiens", FdI) an der Spitze, bei den Parlamentswahlen am Sonntag die Mehrheit erobern. Auch hier versucht sich so wie die Schwedendemokraten die FdI von ihren rassistischen, extremistischen Wurzeln zu distanzieren und der Partei ein harmloses Image zu verpassen.

Parteivorsitzende Giorgia Meloni gibt sich in Erklärungen auf Englisch, Französisch, Spanisch sehr gemäßigt. Allerdings gibt es zahlreiche Beweise für ihre frühere Begeisterung für Benito Mussolini, für ihre Ausbrüche gegen die EU und für ein "Europa der Vaterländer".

Die 45-jährige Ex-Journalistin und Ex-Ministerin hat mit ihren Bündnispartnern Matteo Salvini von der rechten Lega Nord und mit Silvio Berlusconi von Forza Italia die besten Chancen, Italiens erste Ministerpräsidentin an der Spitze der rechten Koalition zu werden.

Wir erleben übrigens ein Paradox der internationalen Politik: Meloni schwärmt ebenso wie der Chef der Schwedendemokraten Jimmie Åkesson von Viktor Orbáns Politik, zu einer Zeit, als die Budapester Regierung verzweifelt versucht, die Milliarden der EU-Fördergelder für ihr durch und durch korruptes Regime zu retten.

Meloni und ihre Partner Salvini und Berlusconi waren früher auch Bewunderer Wladimir Putins. Obwohl Meloni sich sogar in der Opposition für die Hilfe der früheren Draghi-Regierung für die Ukraine ausgesprochen hatte, wäre eine Regierung des Rechtsbündnisses kaum ein verlässlicher EU- oder Nato-Partner. (Paul Lendvai, 20.9.2022)