Auf viele Fragen, die António Guterres vor der UN-Vollversammlung gestellt wurden, hat der Generalsekretär keine optimistische Antwort. Er fordert, "die Brüche zu überwinden, die so dramatisch die Welt belasten".

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Kurz vor dem Gipfel der Vereinten Nationen stellte sich Generalsekretär António Guterres den Fragen der Medien. Bei dem Frage-und-Antwort-Event wirkte der Generalsekretär in diesem Jahr bedrückt. Guterres berichtete von seiner Reise nach Pakistan, wo der Klimawandel eine apokalyptische Überschwemmungskatastrophe mitverursachte. Er habe durch ein "Fenster in die Zukunft" geschaut, "eine Zukunft mit dauerhaftem und allgegenwärtigem Klimachaos in unvorstellbarem Ausmaß".

Die voranschreitende Erderwärmung mit ihren verheerenden Folgen ist nur eine der brennenden Krisen für die Vereinten Nationen, die ab heute, Dienstag, in der einwöchigen Generaldebatte der Vollversammlung auf der To-do-Liste stehen. "Die diesjährige Generaldebatte muss Hoffnung geben und die Brüche überwinden, die so dramatisch die Welt belasten", fordert Guterres von den Teilnehmenden.

Auf dem Gipfel sehen sich Staats- und Regierungschefs, Ministerinnen sowie Scharen von Fachleuten mit riesigen globalen Herausforderungen konfrontiert: bewaffnete Konflikte wie Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, Hungersnöte, wachsende Armut, die noch nicht überstandene Corona-Pandemie und ein Trend zu Autokratie und Unterdrückung.

Destruktives Potenzial

Dabei beschleunigen einige dieser Krisen andere: So verschärfte Russlands Aggression gegen die Ukraine die Lebensmittelteuerung und -knappheit. Die Klimakrise führt zu Dürren und Hunger. Sie verfügt darüber hinaus über so viel destruktives Potenzial, um Länder auch politisch in den Abgrund zu stürzen. "Eine weitere innere Schwächung des Atomwaffenstaates Pakistan etwa könnte unabsehbare Folgen zeitigen", warnt ein Diplomat mit Blick auf die Jahrhundertflut.

Insgesamt müssen die UN auf ihren zentralen Aktionsfeldern in jüngster Zeit schwere Rückschläge erleiden. Die UN, so diagnostiziert die US-Botschafterin bei der Organisation, Linda Thomas-Greenfield, "sieht sich einer Vertrauenskrise" ausgesetzt. Diese Krise dürfte auch auf dem Gipfel nicht entschärft werden. Überhaupt werden laut Diplomaten von dem Treffen wenig Impulse ausgehen, die den Zustand der Welt verbessern und sie friedlicher machen. Zwar soll der UN-Sicherheitsrat am Donnerstag erneut über den Ukraine-Krieg beraten. Bei der Sitzung ist aber nur wieder mit Verbalangriffen der Russen auf den Westen und andersrum zu rechnen. Als Vetomacht verhindert das ständige Mitglied Russland alle ihm unliebsamen Entscheidungen.

Diese Blockade ist nicht neu. "Jeder, der von der Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrates in der Ukraine überrascht ist, hat das Gremium in den letzten Jahren einfach nicht richtig beobachtet", sagt Richard Gowan, UN-Direktor bei der International Crisis Group. Zu den fünf ständigen Mitgliedern mit Vetorecht gehören neben Russland die USA, China, Großbritannien und Frankreich.

Der nicht enden wollende Konflikt in Syrien demonstriert ebenso die Lähmung des Sicherheitsrates. Erst vor wenigen Tagen warnte eine UN-Untersuchungskommission vor einer "Intensivierung" der Gewalt entlang der Grenze Syriens mit der Türkei. Der Sicherheitsrat aber bleibt bei der Suche nach Frieden untätig – Russland vereitelt das. Bis auf Minimalkompromisse für die humanitäre Versorgung der Bevölkerung bringt der "Security Council" nichts zustande.

Thema Menschenrechte

Derartige Minimalübereinstimmungen zwischen den Großmächten scheinen auf einem weiteren zentralen Arbeitsgebiet der UN, Achtung und Förderung der Menschenrechte, überhaupt nicht mehr erreichbar zu sein. Russland und China treten in höhnischer Weise die Menschenrechte mit Füßen, wie UN-Ermittler belegen. US-amerikanische und europäische Vertreter wollen dies zwar auf dem UN-Gipfel anprangern. Allerdings dürften sich Peking und Moskau davon nicht sonderlich beeindrucken lassen.

Auf dem UN-Gipfel soll auch das Thema Armutsbekämpfung zur Sprache kommen. 2021 litten laut UN 828 Millionen Menschen Hunger. "Es besteht die reale Gefahr, dass diese Zahlen in den kommenden Monaten noch weiter ansteigen werden", warnt der Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms, David Beasley. "Das Ergebnis werden globale Destabilisierung, Hunger und Massenmigration in einem noch nie da gewesenen Ausmaß sein." Eigentlich, so sieht es ein UN-Zeitplan vor, soll die Menschheit den Hunger bis 2030 ausrotten. Inzwischen aber glauben auch große Optimisten bei den UN nicht mehr daran, dass der Kampf gegen die Unterernährung noch in diesem Jahrzehnt gewonnen wird.
(Jan Dirk Herbermann aus Genf, 20.9.2022)