In Krustetten bei Krems sind Photovoltaikanlagen mittlerweile fixer Bestandteil des Ortsbilds. Damit kommt die Gemeinde der Unabhängigkeit ein Stückchen näher.

Foto: Jörg Bauer

Oskar Scherer hat sich schon vor zwei Jahrzehnten eine Solaranlage auf sein weißgestrichenes Haus in Krustetten im Bezirk Krems-Land montiert. Ob sich die Anlage rentiert, hat ihn damals nicht interessiert. Viele seiner Nachbarn taten es ihm später gleich und begannen – unabhängig voneinander – ihren eigenen Strom zu produzieren.

Vergangenes Jahr war es dann einmal mehr Scherer, der einen Vorstoß wagte: Er vernetzte seine Solaranlagen mit jenen der Nachbarn und gründete die Energiegemeinschaft Göttweigblick. Das Prinzip dahinter ist einfach: Haushalte, die Strom produzieren und am selben Umspannwerk hängen, können ihre Überschüsse untereinander teilen. Gleichzeitig bleiben sie – vor allem für Verbrauchsspitzen – weiterhin Kunden bei ihren bisherigen Stromversorgern und nutzen das bestehende Stromnetz.

"Das war Pionierstimmung, wir waren eine der ersten Gemeinschaften in Österreich", sagt Scherers Nachbar Christian Hofmann, Obmann der Gemeinschaft. Mitmachen dürfen nicht nur direkte Nachbarn, sondern alle, die vom lokalen Netz versorgt werden. Im Fall der Gemeinschaft Göttweigblick reicht das Gebiet von Spitz und Rossatz in der Wachau bis nach Krems und in die Region um den Göttweiger.

Weniger Netzgebühren

Die Regionalität bietet zahlreiche Vorteile: Zum einen führt sie zu einer Verhaltensänderung. "Ich überlege mir als Nachbar, wann ich meine Waschmaschine einschalte oder mein Elektroauto auflade, damit ich möglichst viel regionalen Strom verwende", erklärt Hofmann. Um zu wissen, ob die Anlagen gerade einen Überschuss produzieren, muss er nur aus dem Fenster schauen. Zum anderen bleibt der Strom in der Region und entlastet damit das überregionale Netz. Das dämpft den Investitionsbedarf in Hochspannungsleitungen, der aufgrund der Energiewende ohnehin enorm ist.

Im Gegenzug winkt den Mitgliedern der Energiegemeinschaft ein Rabatt bei den Netzgebühren von rund 28 Prozent. Derzeit verlangt ihnen das Projekt aber dennoch "ein wenig Ideologie" ab, sagt Hofmann. Bei den aktuell hohen Preisen könnten die Nachbarn den überschüssigen Strom nämlich teurer am Markt verkaufen als innerhalb der Gemeinschaft. "Wir lassen uns von der Fieberkurve am Energiemarkt nicht mitreißen", betont Hofmann. "Unsere Tarifpolitik ist da ein bisschen gelassener und langfristig stabil." Die Genossenschaft sei "kein Projekt für turbokapitalistische Spekulation".

Die Nachbarn Christian Hofmann und Oskar Scherer installierten unabhängig voneinander Solaranlagen. Jetzt produzieren sie ihren Strom gemeinsam.
Foto: Jörg Bauer

Nachdem die Gemeinschaft die "Pionierphase" durchlaufen habe, nehme man nun neue Mitglieder aus dem Einzugsgebiet auf. Gleichzeitig will die Genossenschaft in Kürze den nächsten Schritt wagen: Geplant ist eine große Photovoltaikanlage, die über ein Bürgerbeteiligungsmodell in Zusammenarbeit mit der Energie- und Umweltagentur des Landes Niederösterreichs finanziert wird ("Sonnenkraftwerk Göttweigblick"). Damit können sich Menschen an dem Projekt beteiligen, die nicht die Möglichkeit haben, selbst eine Anlage zu errichten.

Mehr Unabhängigkeit

Mittelfristig will die Gemeinschaft dann die Erzeugung diversifizieren. "Wir haben derzeit Photovoltaikanlagen, die gut in der Region verteilt sind", erklärt Scherer. "Es kommt vor, dass es in Krustetten nebelig ist, aber unten in Mautern die Sonne scheint." Langfristig sucht die Energiegemeinschaft nach Biomassekraftwerken oder kleinen Wasserkraftwerken, um auch in sonnenarmen Jahreszeiten erneuerbare Energie teilen zu können.

Der Staat versucht mit Förderungen und der Möglichkeit von Energiegemeinschaften viel zu tun, damit mehr private Projekte entstehen, sagt Hofmann. Aus seiner Sicht wären weitere Anreize dennoch sinnvoll – etwa Vorteile bei der Steuer. "Derzeit gibt es Leute, die ihre Anlagen bewusst kleiner bauen, um nicht steuerpflichtig zu werden, wenn sie den Überschuss an Strom verkaufen." Hier brauche es "Augenmaß" seitens des Staats, findet Obmann Hofmann.

Auch bei der Gründung von Energiegemeinschaften sind die Verantwortlichen zu einem großen Teil auf sich allein gestellt. Wer die Initiative ergreift, muss viel Zeit investieren. Laut Hofmann entsteht deshalb gerade eine Community, die sich gegenseitig unterstützt. Gemeinschaften seien auch in ganz kleinen Verbänden möglich, derzeit coacht Hofmann ein Team von drei Nachbarn. "Die rechnen den Überschuss an Strom einfach mit einem gemeinsamen Grillabend ab." (Jakob Pflügl, 20.9.2022)