Auch innerhalb der Provinz Rakhine leben viele Rohingya in Flüchtlingslagern. Ihre Dörfer wurden 2017 niedergebrannt.

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Es ist keine sechs Jahre her, da hat der Anführer der Arakan Army (AA) die Rohingya noch als "Barbaren", als "muslimische Terroristen" beschimpft. Vier Jahre später, im Sommer 2020, gratulierte Twan Mrat Naing zum muslimischen Opferfest. Und im Mai dieses Jahres kondolierte er gar nach dem Tod eines bekannten Rohingya-Intellektuellen: Dessen Tod sei ein großer Verlust, vor allem während die Bemühungen dafür voranschreiten, "soziale Harmonie zwischen den zwei Gruppen herzustellen".

Die Arakan Army ist eine der vielen ethnischen Armeen Myanmars und kommt – so wie die Rohingya – aus der Unruheregion Rakhine im Westen des kriegsgebeutelten Landes. Hatte die Miliz noch bis vor wenigen Jahren die muslimische Minderheit als Feind dargestellt, springt sie nun auf einen Trend auf, der sich auch bei anderen Akteuren der so komplexen burmesischen Politik beobachten lässt.

Entschuldigung von Schattenregierung

Während die regierende Junta weiter eine Politik der Ausgrenzung fährt, hat sich etwa die Schattenregierung NUG mehrmals für die frühere Diskriminierung der muslimischen Minderheit entschuldigt. Die NUG hatte sich nach dem überraschenden Militärputsch im Februar 2021 gebildet. Sie besteht vor allem aus gewählten Vertretern aus Aung San Suu Kyis Partei NLD. Diese regierten eigentlich zu der Zeit, als der Massenmord an den Rohingya 2017 stattfand. Nun gelobte die NUG, die Rohingya anzuerkennen, sollte sie jemals an die Macht kommen.

So wurden die Rohingya zum politischen Pfand, mithilfe dessen sich die so zerstrittenen Kräfte im Land Vorteile versprechen. Die Situation in Rakhine bleibt in der Realität aber fragil. Denn von einer Lösung der vielschichtigen Probleme ist man weit entfernt. In Rakhine droht ein neuer Bürgerkrieg. Die Bewohner und Bewohnerinnen finden sich jetzt schon zwischen den Fronten wieder. Unter ihnen sind auch rund 600.000 Rohingya, die dem großen Exodus seit 2017 nicht gefolgt waren.

Dabei war Rakhine in den blutigen Monaten direkt nach dem Putsch vergleichsweise ruhig. Die AA und die Staatsarmee waren eigentlich von 2018 bis 2020 in einen Krieg verwickelt, der zu jener Zeit der blutigste Konflikt des Landes war. Doch im November 2020 stimmte General Min Aung Hlaing plötzlich einem Waffenstillstand zu. Erst später stellte sich heraus, warum: Er brauchte den Frieden im Westen für seinen Putsch.

Im Schatten des Putsches

Während die Junta ab Februar mit bewaffnetem Widerstand im ganzen Land beschäftigt war, breitete sich die AA in Rakhine still und leise aus. Sie errichtete Schulen, Spitäler, mancherorts gibt es sogar eine eigene Polizei und Justiz. Heute sollen laut dem Thinktank Crisis Group zwischen 50 und 75 Prozent der Provinz in AA-Händen liegen, vor allem im Norden, wo die meisten Rohingya leben.

Die Junta beobachtete den Aufstieg der ethnischen Armee mit zunehmendem Unbehagen. Vor allem als sich die AA im April mit der NUG traf – also dem Gegner der Junta – anstatt auf eine Einladung Min Aung Hlaings einzugehen, lief das Fass über.

Seitdem kommt es ständig zu Zusammenstößen. Um sich in dem Kampf den Support der Lokalbevölkerung zu sichern, streckt die AA nun ganz bewusst die Hand Richtung Rohingya aus. Die dort Verbliebenen berichten in der Tat von einer relativen Besserung der Zustände. So hätten sie etwa besseren Zugang zu öffentlichen Einrichtungen.

Zwickmühle für Zivilbevölkerung

Um eine sichere Rückkehr zu gewährleisten, bräuchte es aber viel mehr Zusicherungen, einerseits von der Junta, aber auch von der wachsenden AA. Bangladesch war bisher zurückhaltend, mit nichtstaatlichen Akteuren wie der AA überhaupt zu verhandeln.

Die Zivilbevölkerung findet sich dabei in einer Zwickmühle. Egal, mit wem sie vor Ort kooperiert, sie setzt sich immer der Gefahr aus, mit dem "Feind" zu kollaborieren. (Anna Sawerthal, 20.9.2022)