Wird dem Flächenfraß nicht Einhalt geboten, ist das Tiroler Inntal im Jahr 2050 zugebaut.

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Wer wohnt nicht gerne mit Blick auf die Berge, genießt bis in die Täler ausgebaute Infrastruktur und profitiert von den eigenen vier Wänden als der wohl vielversprechendsten Wertanlage in Krisenzeiten? Richtig, in Tirol lebt es sich gut. Nur leisten kann sich das kaum noch wer. Für die durchschnittliche Mietwohnung müssen mittlerweile rund 15 Euro pro Quadratmeter bezahlt werden, im Ballungsraum Innsbruck kostet der Quadratmeter Wohnungseigentum weit über 6000 Euro.

Wohnen wird zunehmend zum Luxus – oder wie es der Wohnbauforscher und Geschäftsführer des Instituts für Immobilien, Bauen und Wohnen (IIBW), Wolfgang Amann, ausdrückt: "Die Preisdynamik in Tirol ist eine immense Herausforderung." Mitschuld sind auch die schönen Berge. Denn nur rund zwölf Prozent der Tiroler Fläche können für dauerhafte Besiedelung genutzt werden. Dass Österreich Spitzenreiter beim Flächenfraß ist, äußert sich in Tirol dramatisch. Laut einer Studie wird das Inntal im Jahr 2050 zugepflastert sein, wenn weiter so gebaut wird wie derzeit. Und die Schönheit der Berge lockt zahlungskräftiges Publikum an, das ebenfalls gerne in Tirol wohnen will, wie Amann sagt.

Alte Versprechen

All das ist nicht neu, und all das ist wieder Thema im Landtagswahlkampf. Alle Parteien haben sich dem Kampf um leistbaren Wohnraum verschrieben, wie schon bei der Tiroler Landtagswahl 2018. Die Versprechungen haben aber bisher wenig Wirkung gezeigt. Tirol hat mit nur elf Prozent österreichweit den geringsten Anteil an gemeinnützigen Mietwohnungen. Zugleich ist das Bevölkerungswachstum, vor allem im dicht besiedelten Inntal, überdurchschnittlich.

Um mehr leistbare Wohnungen bauen zu können, brauchen die gemeinnützigen Wohnbauträger aber vor allem eins: Bauland. Davon gäbe es in Tirol zwar noch einiges, aber viele Eigentümer wollen ihre gewidmeten Flächen nicht veräußern, wie Experte Amann erklärt. Er empfiehlt den Blick über die Grenze nach Südtirol, wo es üblich ist, in solchen Fällen von Amts wegen durchzugreifen.

BAULAND HORTEN: Mehr als 20 Prozent des gesamten Baulands in Tirol sind nicht bebaut. Ein großer Teil davon wird gehortet: ein hervorragendes Investment zur Absicherung kommender Generationen, und das quasi steuerfrei. Nicht nur Investoren sind das Problem: In vielen vor allem kleineren Gemeinden sind es alteingesessene Familien, die auf ihren Schätzen sitzen. Etliche Flächen im Dorfkern sind dadurch für die Gemeinde nicht nutzbar, der soziale Wohnbau wird an die Peripherie gedrängt. Wem der Gemeinderat sein Land in Bauland umwidmet, der kann über Nacht zum Millionär werden. Extrembeispiel Kitzbühel: Dort steigert sich der Wert von Grün- zu Bauland um fast 16.000 Prozent.
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"Enteignung zum Marktpreis" heißt der Begriff, der vielen Grundbesitzern die Haare zu Bergen stehen lässt. In Innsbruck wurde mit dem Wohnungsnotstand ein erster Schritt gesetzt, auch hierzulande so durchzugreifen. Allerdings bleibt abzuwarten, wer sich das letztlich traut. Alternativ könnte man andere finanzielle Anreize schaffen, etwa eine eigene Steuer auf gewidmetes, aber unbebautes Bauland, sagt Amann.

Knackpunkt Gemeinden

Zu den umstrittenen Chaletdörfern hat der Experte eine entspanntere Sicht als manche Partei, die ein Verbot fordert. Angesprochen auf den Baustopp für Investorenmodelle in der Gemeinde Lech am Arlberg, den die SPÖ in ihrem Wahlprogramm als Vorbild erwähnt, sagt Amann: "So etwas kann man machen, allerdings sollte man diese Pause dann auch nutzen, um Alternativen zu finden."

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CHALETDÖRFER: Wenn Tiroler Parteien vom "Ausverkauf der Heimat" sprechen, erwähnen sie meist im nächsten Atemzug sogenannte Chaletdörfer. Sie wachsen im Alpenraum wie die sprichwörtlichen Schwammerln aus dem Boden und gelten als Einfallstor für illegale Zweitwohnsitze. Die SPÖ und Liste Fritz fordern ein Verbot. Die schwarz-grüne Landesregierung hat 2019 verfügt, dass Chaletdörfer als Sonderflächen gewidmet werden müssen. Jeder Gemeinderatsbeschluss für ein solches Chaletdorf, das letztlich nichts anderes sei als eine architektonisch andere Form eines Hotels, muss aufsichtsbehördlich vom Land abgesegnet werden. Wichtig sei, die langfristige Wertschöpfung zu beachten.
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Nicht alles, was die Politik in den vergangenen Jahren in Tirol gemacht hat, war erfolglos. Amann hebt etwa den Bodenfonds als positive Initiative hervor. Zudem wurde die Wohnbauförderung darauf ausgerichtet, den Flächenverbrauch als maßgebliches Kriterium miteinzubeziehen, und sie wird mittlerweile zur Gänze durch Rückflüsse abgedeckt.

Egal ob Baulandmobilisierung, der Umgang mit Chaletdörfern oder der soziale Wohnbau: Für die allermeisten Hebel gegen teures Wohnen braucht das Land die Gemeinden, die letztlich auch für die Raumordnung zuständig sind. So mancher Dorfkaiser hütet sich davor, das Bauland seines Nachbarn anzugreifen oder verhinderte schon den ein oder anderen sozialen Wohnbau, um den Zuzug in seine Gemeinde besser zu lenken. Nicht wenige Parteien fordern daher mehr Landeskompetenzen beim Thema Wohnen. Ob das durchsetzbar ist, wird sich nach der Wahl zeigen. (Steffen Arora, Laurin Lorenz, 20.9.2022)