Die Causa Wien Energie wird die ganze restliche Woche im Wiener Gemeinderat und Landtag Thema sein. Die Opposition wärmte sich am Dienstag für den Sitzungsmarathon auf.

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Im Wiener Rathaus gibt es für den Rest der Woche allen voran ein Thema: die Wien Energie. Das liegt daran, dass sich am Mittwoch der Gemeinderat mit der Causa befasst, am Donnerstag der Landtag und am Freitag zwei Sondersitzungen des Stadtparlaments anstehen. Letztere beide sind zwar nicht direkt der Wien Energie gewidmet, sie wird aber wohl dennoch aufs Tapet kommen. Die Opposition wärmte sich am Dienstag für den Sitzungsmarathon auf.

Die ÖVP tat dies mit zwei Gutachten zur umstrittenen Vergabe von Darlehen im Umfang von 1,4 Milliarden Euro an die Wien Energie durch Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). Der Stadtchef stellte, wie berichtet, am 15. Juli und Ende August je 700 Millionen Euro für den Versorger bereit – und zwar im Alleingang unter Ausübung der Notkompetenz und ohne die Öffentlichkeit zu informieren.

Erst vergangene Woche wurden, so wie es die Stadtverfassung in derartigen Fällen vorsieht, im Nachhinein der Finanzausschuss und der Stadtsenat damit befasst. Diese Woche steht schließlich die nachträgliche Genehmigung durch den Gemeinderat an. Aus Sicht der ÖVP und der von ihr beauftragten Gutachter ist das viel zu spät.

Zwei Monate sind laut Gutachtern nicht "unverzüglich"

Der Grund: Sinngemäß darf der Bürgermeister laut Stadtverfassung in dringlichen Fällen zwar Ausschüsse, Stadtsenat und Gemeinderat übergehen und unter seiner Verantwortung Verfügungen treffen. Nachsatz: "Er hat die Angelegenheit jedoch unverzüglich dem zuständigen Gemeindeorgan zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen."

Laut dem Verfassungs- und Verwaltungsrechtler Peter Bußjäger sowie Bernhard Müller, Dozent für Staats- und Verwaltungsrecht, ist das Wort "unverzüglich" entscheidend. Beide kommen in ihren Gutachten zu dem Schluss, dass eine Zeitspanne von zwei Monaten zwischen der ersten Darlehensvergabe und der anstehenden Freigabe durch den Gemeinderat am Mittwoch definitiv nicht unverzüglich sei.

Das sage einem schon alleine der Menschenverstand, erklärte Müller am Dienstag bei einem Hintergrundgespräch. "Unverzüglich heißt: so rasch wie möglich, alsbald, gleich." Für den Juristen ergibt sich daraus, dass Ludwig nach der Vergabe des ersten Darlehens den Gemeinderat hätte einberufen müssen.

Grad der Dringlichkeit ist ausschlaggebend

Einig sind sich die beiden Gutachter in einem weiteren, noch viel entscheidenderen Punkt: Ob Ludwigs Handeln in Eigenregie rechtskonform war, hänge davon ab, wie dringlich eine Reaktion nötig war. Und hier wird es heikel.

Musste Ludwig binnen "weniger Stunden" reagieren, hätte dies aus Sicht der Gutachter ein Handeln in Notkompetenz gerechtfertigt. Anders sei die Sache, wenn zumindest ein Tag zur Verfügung stand. "Dann handelte der Wiener Bürgermeister verfassungswidrig, weil der Stadtsenat im Umlaufweg hätte entscheiden können", heißt es dazu in Müller Expertise.

Zu prüfen sei obendrein, ob nicht sogar der Gemeinderat hätte einberufen werden können. Als Grenze setze die Rechtsprechung dafür drei Tage an, im Fall von Wien brauche es wohl vier Tage, erklärte Müller. Der Verfassungsgerichtshof habe schon einmal die Notanordnung eines Bürgermeisters für rechtswidrig erklärt, weil die Einberufung des Gemeinderats binnen drei Tagen möglich gewesen wäre, hält er fest. Und: Die Urlaubs- bzw. Sommerzeit gelte laut Rechtsmeinung des Verfassungsgerichtshofs nicht als Ausrede dafür, auf eine außerordentliche Sitzung zu verzichten.

Im Umkehrschluss bedeutet das: Nur wenn weder Gemeinderat noch Stadtsenat befasst werden können, dürfe der Bürgermeister entscheiden, betonte Müller.

Antrag über Reform der U-Kommission

Das Problem bei der Sache: Wie viel Zeitbudget Ludwig für die Vergabe der Darlehen tatsächlich hatte, weiß nur er selbst. Der Bürgermeister sei nun aufgefordert darzulegen, dass sein Handeln wirklich so dringlich war, sagte ÖVP-Klubobmann Markus Wölbitsch. Die ÖVP zweifelt dies jedenfalls an – mit Verweis auf Aussagen von Stadtwerke-Verantwortlichen, wonach die Finanzmittel nicht sofort benötigt wurden.

Wölbitsch kündigte an, Ludwig in der Fragestunde des Gemeinderats dazu befragen und auch spätestens in der geplanten Untersuchungskommission zur Causa Antworten einfordern. Die ÖVP arbeitet derzeit mit der FPÖ an einem Einsetzungsantrag für die U-Kommission – und an einer Reform des Kontrollinstruments. Am Mittwoch werden die Türkisen im Gemeinderat einen Antrag einbringen, wonach auch ausgelagerte Unternehmen der Stadt wie die Wien Energie Gegenstand einer derartigen Kommission sein dürfen. FPÖ und Grüne haben ebenfalls derartige Anträge vorbereitet.

Stadtjuristen protestieren

Sollte Ludwig letztlich ein Bruch der Stadtverfassung nachgewiesen werden können, ergeben sich für den Juristen Müller zwei Konsequenzen. Erstens: ein Misstrauensvotum gegen den Bürgermeister im Gemeinderat – wobei dieses wohl keine Mehrheit bekommen würde. Zweitens: ein Verfahren wegen Amtsmissbrauchs – wie es die Wiener FPÖ bereits angestrengt hat. "Die Staatsanwaltschaft müsste überlegen, ob sich ein Anfangsverdacht ergibt", sagte Müller. Bis dahin sei es aber noch ein weiter Weg.

Theoretisch müsse zusätzlich sogar das Geschäft rückabgewickelt werden. Dass es tatsächlich dazu komme, sei aber wenig realistisch.

Grundsätzlich hält der Experte die Notkompetenz des Bürgermeister für sinnvoll. Aber: Sie dürfe immer nur die Ultima Ratio sein, wenn die Befassung der stärker demokratisch legitimierten Gemeindeorgane nicht möglich sei.

Folgt man der Einschätzung der Rechtsabteilung im Rathaus, dann blieben Ludwig tatsächlich nur wenige Stunden für die Freigabe der Kredite. Die Juristen der Stadt argumentieren auf dieser Basis ähnliche wie die Gutachter der ÖVP. "Wenn eine Entscheidung in einer Krisensituation sofort – binnen Stunden – getroffen werden muss, dann kann laut Wiener Stadtverfassung nur die Notkompetenz des Bürgermeisters zur Anwendung kommen", heißt es in einer schriftlichen Stellungnahme.

Ein Umlaufbeschluss im Stadtsenat sei keine Option gewesen, weil dieser eine "vorangehende Beratung mit physischer Anwesenheit der Stadträte" erfordere und daher – ebenso wie die Einberufung des Gemeinderats – nicht binnen weniger Stunden realisierbar gewesen sei.

Was die Bedeutung des Wortes "unverzüglich" betrifft, ist die städtische Rechtsabteilung aber völlig anderer Meinung als die Gutachter. "Unverzüglich" könne nur bedeuten, dass "im Vergleich zum Normalvorgang keine Verzögerung (kein Verzug) stattzufinden hat. Es bedeutet nicht, dass besondere Dringlichkeits- bzw. Beschleunigungsmaßnahmen zu setzen sind."

Mitteilung von Hanke angekündigt

Die FPÖ will unterdessen erreichen, dass die Wien Energie unter die Oberaufsicht des Gemeinderats gestellt wird. In einem entsprechenden Antrag, der am Mittwoch abgestimmt wird, wird die Übergabe "aller einschlägigen Akten, Urkunden, Rechnungen, Schriften und Berichte" an das Stadtparlament gefordert.

Die Grünen wiederum haben sich entschieden, die Aktuelle Stunde der Gemeinderatssitzung am Mittwoch der Wien Energie zu widmen. Parteichef Peter Kraus und Klubobmann David Ellensohn urgierten am Dienstag vor Journalisten zusätzliche Informationen zur Causa – etwa darüber, ab wann die Finanzabteilung im Rathaus erfahren hat, dass ein Beschluss über eine Kredit-Notvergabe vorzubereiten ist.

Angekündigt ist auch eine Mitteilung des zuständigen Stadtrats Peter Hanke (SPÖ). Er wird über die aktuellen "energiewirtschaftlichen Herausforderungen" sowie über "notwendige Maßnahmen im Zusammenhang mit der europaweiten Energiekrise" sprechen, wie es in der Ankündigung heißt. Neben den Wiener Krediten steht auch das Darlehen des Bundes von mehr als zwei Milliarden Euro auf der Tagesordnung. (Stefanie Rachbauer, 20.9.2022)