Die Rakete mit der Sojus-Raumkapsel MS-22 beim Aufstellen.
Foto: Maxim Shemetov/AP

Am Mittwoch ist es so weit: Erstmals seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine vor rund sechs Monaten fliegt eine gemischte Crew – zwei Russen und ein US-Amerikaner – zur Internationalen Raumstation (ISS). An Bord einer Sojus-Rakete sollen die Kosmonauten Sergej Prokopjew und Dmitri Petelin sowie der Nasa-Astronaut Frank Rubio um 15.54 Uhr MESZ vom Weltraumbahnhof Baikonur in der Steppe der Republik Kasachstan in Zentralasien starten.

Genau genommen handelt es sich nicht um den ersten gemeinsamen ISS-Flug seit Kriegsbeginn. Denn Ende März kehrten bereits der US-Amerikaner Mark Vande Hei sowie die Russen Anton Schkaplerow und Pjotr Dubrow von der ISS auf den Erdboden zurück. Schon damals wurde im Detail mitverfolgt, ob es zu unerwarteten Zwischenfällen kommen könnte. So wird es wohl auch jetzt beim ersten Flug zur Weltraumstation sein. Prokopjew und Petelin reisen mit Rubio in einer Sojus-Raumkapsel vom Typ MS-22 in einem drei Stunden langen Flug zum Außenposten der Menschheit. Sie sollen dort sechs Monate verbringen.

Zusammenarbeit trotz Spannungen

Es sei eine "unglaublich wichtige Mission", sagte Rubio wenige Wochen vor dem Start bei einer Pressekonferenz. Mit seinen beiden russischen Crewkollegen verstehe er sich sehr gut. "Wir sind gute Freunde geworden, sie kennen meine Familie, ich kenne ihre." Die Zusammenarbeit zwischen der Nasa und Roskosmos bezeichnete Rubio als "gut und stark" – trotz des russischen Angriffskriegs und der daraus resultierenden starken Differenzen.

"Ich denke, es ist wichtig, dass, wenn es anderswo Momente möglicher Spannungen gibt, die menschliche Raumfahrt und Erkundung eine Form der Kooperation, der Diplomatie und der Zusammenarbeit bleibt, bei der wir Gemeinsamkeiten finden und große Dinge zusammen erreichen können." Er freue sich auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit "für viele weitere Jahre".

Gestoppte Kooperationen

Die Ukraine-Invasion belastet die ohnehin heiklen Beziehungen zwischen Moskau und Washington zusätzlich. Russland beklagt, dass die von den USA und der EU erlassenen Sanktionen im Zuge des Krieges die Arbeit in der Raumfahrt, darunter die Produktion der auch militärisch nutzbaren Raketen, erschweren.

Von der europäischen Weltraumagentur Esa wurde etwa die Kooperation mit Roskosmos im Rahmen der Mondmissionen aufgekündigt. Obwohl die russische Seite zunächst das gemeinschaftliche Projekt ISS aufrechterhalten wollte, verkündete der neue Roskosmos-Chef Juri Borissow im Juli das Ende der Zusammenarbeit nach 2024. Einen genauen Termin nannte er nicht.

Zweifel an russischem Soloweg

Seitdem wurden sogar Pläne einer eigenen russischen Raumstation mit dem Namen "Ross" bekanntgegeben. Das wäre nach der chinesischen Station Tiangong, die derzeit aufgebaut wird, die zweite Raumstation, die nur von einem Staat betrieben wird. Trotzdem hält der deutsche Astronaut Matthias Maurer den Rückzug Russlands für unwahrscheinlich: "Sie werden nicht aussteigen." Es gehe darum, bei solchen russischen Mitteilungen auch zwischen den Zeilen zu lesen. "'Nach 2024' heißt ja nicht 1.1.2025. Das kann auch 2030 sein", sagte Maurer.

Dem Astronauten zufolge hat Roskosmos seit der Ankündigung des Abschieds von der ISS bereits wieder eingelenkt: "Wir haben vernommen, dass sie weiterhin dabei sind." Das sei auch einleuchtend, schließlich habe Russland erst im vergangenen Jahr seinen Teil der ISS fertig ausgebaut. "Russland ist jetzt erst in der Lage, dort richtig Forschung zu betreiben."

Blick von der ISS auf die Erde, genauer: auf einen Taifun vor der japanischen Küste. Auf der Internationalen Raumstation, an der derzeit neben Nasa, Roskosmos und Esa auch die Raumfahrtagenturen von Kanada und Japan beteiligt sind, steht Forschung im Vordergrund.
Foto: Bob Hines/Nasa/Imago/Zuma Wire

Zur 68. ISS-Mission sagte Kosmonaut Prokopjew vor dem Start: "Das Programm ist ziemlich voll – neben dem schnellen Andocken sind fünf Ausstiege ins Weltall geplant." Zudem seien 48 Experimente vorgesehen, darunter die Arbeit mit einem 3D-Drucker in der Schwerelosigkeit, bei der unterschiedliche Materialien zum Einsatz kommen. Womöglich führe das in Zukunft zu einer neuen Generation an 3D-Druckern.

Erste europäische Kommandantin

Während es für Prokopjew der zweite Flug ins Weltall ist, fliegen Petelin und Rubio zum ersten Mal. Das Schwerste werde für Rubio persönlich die lange Trennung von seiner Frau und seinen vier Kindern sein, sagte der 1975 in Los Angeles geborene Astronaut, der seit 2017 bei der Nasa ist. Ein paar Familienfotos werde er mit zur ISS nehmen.

Allein sein werden die drei freilich nicht auf der ISS in rund 400 Kilometern Höhe über der Erde. An Bord sind bereits der Kommandant der 67. Expedition, Oleg Artemjew, die Kosmonauten Denis Matwejew und Sergej Korssakow sowie die Nasa-Astronauten Bob Hines, Kjell Lindgren und Jessica Watkins und die Esa-Astronautin Samantha Cristoforetti. Die Italienerin Cristoforetti wurde kürzlich zur ersten Kommandantin der Internationalen Raumstation aus einem EU-Land. (APA, red, 20.9.2022)