Die Saliera ist die einzige erhaltene Goldschmiedearbeit des schon zu Lebzeiten berühmten Florentiner Künstlers Benvenuto Cellini. 2003 wurde das Kunstwerk aus dem 16. Jahrhundert aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien gestohlen.

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Wien – Ernst Geiger hat es schon wieder getan. Der ehemalige Spitzenkriminalist, seit Ende 2017 im Ruhestand, hat wieder einen Roman geschrieben und dafür erneut einen seiner spektakulärsten Fälle als Vorlage genommen: diesmal den Diebstahl der Saliera aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien im Jahr 2003. Der Krimi "Goldraub" (edition a) wurde Dienstagabend in der Buchhandlung Morawa in der Wiener Innenstadt präsentiert. Geigers erster, im Vorjahr erschienener Roman "Heimweg" basierte auf den sogenannten Mädchenmorden von Favoriten zwischen 1988 und 1990.

Warum er echte Kriminalfälle aus seiner Laufbahn als Romanvorlagen nimmt? "Weil ich die am besten kenne", sagt der Autor. Und weil es sich um Fälle handle, die ihn nie losgelassen hätten. Die Aufklärung des Saliera-Diebstahls war einer der größten beruflichen Erfolge Ernst Geigers. Für den Roman hat er praktisch nur die Namen der handelnden Personen verändert. Bis auf den Dieb waren von diesen bei der Buchpräsentation auch fast alle anwesend – von Ermittlern über Rechtsanwälte und Journalistinnen bis hin zum damaligen KHM-Generaldirektor Wilfried Seipel.

Auch der ehemalige KHM-Generaldirektor Wilfried Seipel (links) kam zur Präsentation des neuen Buches von Ernst Geiger. Seipel will seine Ansichten über den Diebstahl der Saliera zum 20. Jahrestag im kommenden Jahr präsentieren.
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(K)eine b'soffene G'schicht

Hinter dem Diebstahl des Salzfasses von Benvenuto Cellini steckten weder die Kunstmafia noch ein verrückter Sammler. Bei einem Museumsbesuch soll dem Elektrotechniker und Alarmanlagenspezialisten Robert M. aufgefallen sein, dass die Goldschmiedearbeit aus dem 16. Jahrhundert nur mäßig beschützt im Saal stand, es gab keine Glasbruchsensoren an den Fenstern und ein geradezu einladendes Gerüst an der Außenfassade, die damals gerade renoviert wurde. Einige Wochen später soll der Sicherheitsfachmann dann in angeheitertem Zustand beschlossen haben, die Probe aufs Exempel zu machen. Geiger bezweifelte allerdings immer, dass eine beschwipste Person zu dem Coup fähig gewesen wäre.

Lange Nacht der Museen

Am 11. Mai 2003 gelangte Robert M., der im Roman Nik Roßmann heißt, nach dem Ende der Publikumsaktion "Die lange Nacht der Museen" flink über das Gerüst bis zum Fenster im ersten Stock, der äußere Fensterflügel leistete keinen Widerstand, die heruntergelassene Jalousie schon. Also kletterte M. noch einmal hinunter, holte aus seinem Auto ein Schneidmesser, kletterte wieder hinauf, zerschnitt die Jalousie, drückte das innere Fenster ein, zerschlug die Glasvitrine und macht sich mit der Saliera aus dem Staub.

46 Sekunden im Saal

Es gab zwar Bewegungsmelder im Saal, doch die Alarmanlage war ausgeschaltet, weil es davor immer wieder Fehlalarme gegeben haben soll. Vermutlich wäre das Wachpersonal auch bei sofortiger Nachschau zu spät gekommen, weil es einige Minuten dauert, bis man vom Stützpunkt in den Saal gelangt. Laut Berechnung der Polizei war M. nur 46 Sekunden im Saal.

Schätzwert: 50 Millionen Euro

Als M. in den Medien las, was er da genau gestohlen hatte, sei ihm laut späteren Polizeiprotokollen "der Reis gegangen". Aber nicht nur ihm. Der damalige KHM-Direktor Wilfried Seipel und die zuständige Kunstministerin Elisabeth Gehrer (ÖVP) mussten sich gegen Vorwürfe wehren, dass der Staat seine Kulturschätze zu wenig beschütze. Offiziell hieß es damals, dass die Sicherheitsvorkehrungen im KHM internationalen Standards entsprochen hätten. Kunstwerke wie die Saliera haben keinen Marktwert, der Schätzwert für die allegorische Darstellung des Planeten Erde mit den Figuren von Neptun und Tellus belief sich auf 50 Millionen Euro. Diese Summe basierte auf dem Versicherungswert.

Lösegeldforderungen

Zunächst verbrachte Österreichs meistgesuchtes Kunstwerk, das es auch auf die FBI-Liste unter die Top Five der Most Wanted brachte, zwei Jahre lang in einem Koffer unter dem Bett in M.s Wohnung in Wien-Neubau. Die Polizei tappte monatelang im Dunkeln, ließ eine Zeit das Sicherheitspersonal des Museums observieren, weil nicht auszuschließen war, dass es sich um einen sogenannten Insiderjob gehandelt haben könnte.

Doch geblendet vom Schätzwert unternahm M. schließlich zwei Versuche, für die Rückgabe von Cellinis Goldschmiedearbeit Geld von der Uniqa-Versicherung zu lukrieren. Einmal noch im Jahr 2003, als er zum Beweis, dass er es ernst meint, einer Lösegeldforderung von fünf Millionen Euro mehrere Brösel der Emaillierung beilegte. Die Versicherung informierte die Polizei erst Tage nach Eintreffen des Erpresserbriefes, nachdem sich M. nicht mehr gemeldet hatte. Das zweite Mal, zwei Jahre später, ließ er Polizei und Versicherung den vergoldeten Dreizack der Saliera zukommen und wollte bereits zehn Millionen Euro.

Entscheidender Fehler bei Schnitzeljagd

Für die Übergabe dachte sich M. eine Schnitzeljagd aus, bei der er den Überbringer per SMS, E-Mail und deponierten schriftlichen Mitteilungen einen Tag lang kreuz und quer durch Wien dirigierte. Diese Aktion brach Robert M. schließlich im letzten Moment ab, weil er einen zufällig vorbeikommenden Kastenwagen der Gaswerke für ein Observationsfahrzeug der Polizei hielt. In seiner Wut wollte er der Polizei unbedingt noch mitteilen, dass er die Saliera jetzt einschmelzen werde. Doch er hatte bereits alle seine anonymen SIM-Karten für die Kommunikation mit den Behörden verbraucht. Also kaufte er spontan noch eine neue SIM-Karte, was damals noch ohne Bekanntgabe der persönlichen Daten möglich war.

Trotzdem wurde ihm diese letzte SIM-Karte zum Verhängnis, weil sich durch die SMS-Daten zumindest das Kaufdatum und der A1-Shop in der Mariahilfer Straße als Einkaufsort feststellen ließen. Über Bilder der Überwachungskamera im Shop konnten die Kriminalisten die SIM-Karte schließlich einem unbekannten Käufer zuordnen. Nach der Veröffentlichung der Bilder nahmen die Dinge schneller ihren Lauf, als die Ermittler gehofft hatten.

Saliera im Waldviertel vergraben

Robert M. kam selbst zur Polizei, um sich darüber zu beschweren, dass sein Bild wohl irrtümlich in die Fahndung geraten sei. Doch nach längerer Befragung gab er den Diebstahl schließlich zu und führte die Ermittler auch zum Saliera-Versteck in der Nähe der kleinen Ortschaft Brand im Waldviertel, wo er ein Wochenenddomizil hatte. In einem Waldstück hatte er die Saliera zwischen vier mit Kreuzen markierten Bäumen in einer Kiste vergraben. Bis auf ein paar Kratzer und abgeschabtes Email war sie unbeschädigt.

Neue Enthüllungen angekündigt

Von der verhängten Strafe von fünf Jahren Gefängnis musste M. zwei Jahre und neun Monate absitzen. Der zweifache Vater hat die Auflage, aus dem Kriminalfall keinen Profit zu schlagen. Die Saliera ist längst wieder das Prunkstück in der Kunstkammer des KHM, doch der Kriminalfall wird noch länger ein Thema bleiben. Der ehemalige KHM-Generaldirektor Wilfried Seipel kündigte am Dienstagabend im Gespräch mit dem STANDARD an, dass er zum 20. Jahrestag des Diebstahls im kommenden Jahr neue Enthüllungen präsentieren werde. (Michael Simoner, 21.9.2022)