Emotionale Führung erhält in Krisenzeiten eine neue, wichtige Bedeutung.
Foto: Getty Images/iStockphoto

Gibt es keine Verletzlichkeit, so gibt es auch keine Kreativität. Ohne verletzliche Kultur kein Erfolg. Das plädierte die US-amerikanische Professorin der Universität Houston, Brené Brown, in ihrem TED-Talk zur "Kraft der Verletzlichkeit". Intelligente Führung hänge unmittelbar mit dem Zeigen von Gefühlen und Emotionen zusammen.

Und nicht nur Brown bricht damit seit langem das Tabu des empathischen, einfühlsamen Chefs, längst ist emotionale Führung eine Phrase des New Work, der modernen Arbeitsformen, die für mehr Flexibilität im Job stehen. Sie schmückt ein Managerhandbuch nach dem anderen, längst ist es Mode, nicht nur professionelle und ausgewogene Mitarbeiterinnengespräche zu führen, sondern auch zu zeigen: Ich habe ebenfalls gute und schlechte Tage! Auch mir fehlt manchmal eine Muse für schnelle Ideen und den richtigen Pitch. Die neuen Arbeitskräfte aus der Generation Z, junge Menschen zwischen ungefähr 19 und 26 Jahren, wünschen sich bereits mehr als nur reinen Smalltalk mit Vorgesetzten, sie wollen verständnisvolle und, na ja, humane Bosse.

Furcht nicht verstecken, nur um gute Laune zu halten

Der Experte für Zukunftsmanagement, Pero Mićić, erklärte bei einer Keynote in Wien, Führungskräfte sollten Zukunftsängste ihrer Mitarbeitenden durch Zukunftsfreude ersetzen, indem sie zwar motivierende Visionen des Unternehmens veranschaulichen, aber realistisch und glaubwürdig bleiben. Dazu gehört wohl auch, dass ein Chef seine Furcht vor der Inflation nicht verstecken muss, nur weil er die Kollegenschaft bei guter Laune halten will. Es gibt natürlich Grenzen. Peinlich kann es werden, wenn man wie Elon Musk seinen Emotionen ohne Rücksicht auf Verluste auf Twitter freien Lauf lässt.

Als 2018 eine Gruppe von Kindern in einer Höhle in Thailand eingeschlossen war, bezeichnete Musk einen der Rettungstaucher auf Twitter als pädophil. 2020 nannte er die "Corona-Panik" dumm. Man denke an einen impulsiven Abteilungsleiter, der seinen Ärger über steigende Spritpreise beim Jour fixe an seinem Team auslässt – es muss wirklich nicht alles geteilt werden.

Zu viel Emotion kann auch demotivieren, Arbeitende könnten sich gedrängt fühlen, selbst mit ihren privaten Sorgen auszupacken, obwohl sie dies vielleicht nicht wollen. Der Meetingraum muss nicht zum Therapiezimmer umgestaltet werden. Dafür fehlt bei Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel die Zeit. Aber eine gesunde Mischung aus verständlichem Unbehagen sowie etwas authentischem Optimismus kann auch Corona-gebeutelte und energiekrisenverängstigte Teams wieder zuversichtlicher arbeiten lassen.

Krisen machen auch vor dem Büro nicht Halt

Was jetzt fehl am Büroplatz ist, ist eine Chefin oder ein Chef, die oder der die Mitarbeiter wie Meryl Streep in Der Teufel trägt Prada emotionsbefreit aus ihrem Einzelbüro betrachten. Immerhin ist es eine Zeit voller Ungewissheiten: Teuerungen, Klimakrise und Krieg gehen an keinem Meeting-Raum, keiner Werkstatt und keiner Supermarktkassa vorbei.

Emma Goldberg von der New York Times schrieb zuletzt: "Während Unternehmen durch eine herausfordernde ökonomische Situation navigieren, rotieren Führungskräfte, um ihren Angestellten zu zeigen, dass sie nicht nur leere Anzüge darstellen." Anzugträgerinnen und Anzugträger können immer noch professionell auftreten, mit direkten, harten Anforderungen. Aber das können sie auch, wenn sie gleichzeitig zugeben, dass es einfach zurzeit nicht leicht ist. Denn es ist spätestens jetzt Zeit, die Kraft der Verletzlichkeit zu entstigmatisieren und zu zeigen, dass man seine Gefühle oft eben nicht ohne weiteres zu Hause lassen kann. (Melanie Raidl, 21.9.2022)