Es ist ausgesprochen ungewöhnlich, dass Projektverantwortliche, Ingenieure und Wissenschafterinnen mit ungeduldiger Begeisterung der vollständigen Zerstörung einer millionenteuren Raumsonde entgegenfiebern. Ein fataler Aufprall war im Fall der Mission Dart aber von Anfang an das erklärte Ziel. Die Raumsonde der US-Weltraumbehörde Nasa ist dazu bestimmt, in der Nacht auf den 27. September elf Millionen Kilometer von uns entfernt frontal in einen Asteroiden zu krachen.

Mit 22.000 km/h soll die Sonde Dart den kleineren von zwei Asteroiden rammen, die derzeit etwa elf Millionen Kilometer von der Erde entfernt sind.
Illustration: Nasa / Johns Hopkins APL / Steve Gribben

Zweck der brachialen Übung: Durch den Aufprall von Dart (kurz für Double Asteroid Redirection Test) soll die Bahn eines 160 Meter messenden Brockens verändert werden. Die Nasa und ihr europäischer Projektpartner Esa erhoffen sich von der Aktion Erkenntnisse darüber, wie die Erde im Ernstfall vor einem Asteroiden auf Kollisionskurs geschützt werden könnte.

"Es ist der erste Versuch der Menschheit, die Bewegung eines natürlichen Himmelskörpers zu verändern", sagt Tom Statler vom Nasa-Büro für planetare Verteidigung. "Das wird ein historischer Moment für die ganze Welt, denn die Abwehr einer solchen Gefahr ist ein globales Problem."

28.000 erdnahe Objekte

Asteroiden und Kometen haben einst Bausteine des Lebens auf die Erde gebracht, aber auch immer wieder enormes Unheil angerichtet. Der Einschlag des berüchtigten Zehn-Kilometer-Brockens, der vor 66 Millionen Jahren die Ära der Dinosaurier beendete, war kein erdgeschichtlicher Einzelfall.

Häufig sind Einschläge dieser Größenordnung zwar keineswegs, Forschenden zufolge droht im Durchschnitt alle 100 Millionen Jahren ein Mal ein derartiges Desaster. Aber auch kleinere Himmelskörper können große Zerstörung anrichten. Wissenschafterinnen und Weltraumagenturen setzen daher auf eine umfangreiche Überwachung erdnaher Objekte, die uns gefährlich werden könnten.

Vergangenen November brach die Raumsonde, die sich bald als Rammsonde beweisen soll, ins All auf.
Foto: Imago/ NASA/Bill Ingalls

Fast 28.000 Objekte, die regelmäßig die Erdbahn kreuzen, wurden inzwischen entdeckt, etwa 10.000 davon haben einen Durchmesser von mehr als 140 Metern. Auf Kollisionskurs mit der Erde befindet sich in absehbarer Zukunft keines davon. Doch was, wenn eines Tages ein bisher unbekannter Kandidat auftaucht und es doch ernst werden sollte? Die Mission Dart soll – ohne jede Gefahr – eine mögliche Abwehrmaßnahme unter realen Bedingungen durchspielen.

Doppelasteroid im Visier

Vor zehn Monaten ist die Raumsonde zu ihrem Ziel aufgebrochen, einem Doppelasteroiden mit der Bezeichnung (65803) Didymos. Das 1996 entdeckte Objekt entpuppte sich 2003 als Doppelsystem: Didymos, der einen Durchmesser von etwa 800 Metern hat, besitzt einen kleineren Begleiter, der ihn in gut einem Kilometer Entfernung als Mond umkreist. Dimorphos, wie der kleinere Asteroid genannt wird, wurde für das Dart-Experiment ausgewählt.

Die kühlschrankgroße Sonde soll nicht lange fackeln, sondern Dimorphos akkurat mit 22.000 km/h rammen. "Dart wird dabei vollständig zerstört werden", sagt die Missionskoordinatorin Nancy Chabot vom Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins University in Maryland. "Wie stark der Asteroid abgelenkt wird, kann uns diese Sonde also definitiv nicht mehr sagen." Diese Aufgabe müssen andere Instrumente übernehmen.

Didymos' Mond Dimorphos steht unsanfter Besuch ins Haus.
Illustration: APA/AFP/JIM WATSON

Augenzeuge im All

Erdgebundene Teleskope werden Dimorphos genau in den Blick nehmen, um Veränderungen seiner Umlaufbahn um den größeren Didymos zu dokumentieren. Aktuell braucht der Asteroidenmond elf Stunden und 55 Minuten, um seinen Begleiter vollständig zu umkreisen. "Wir erwarten, dass sich die Umlaufzeit durch Dart um mehrere Minuten ändern wird", sagt Tom Statler von der Nasa. "Das können wir mit den Teleskopen vielleicht schon nach ein paar Tagen sehen, vielleicht aber auch erst nach ein paar Wochen. Ich wäre überrascht, wenn es länger dauern würde."

Ganz unmittelbare Einblicke in das Impaktexperiment soll dagegen ein "Augenzeuge" liefern, der den Aufprall aus nächster Nähe beobachten wird: der italienische Kleinsatellit Licia-Cube, der gemeinsam mit der Dart-Sonde losgeflogen ist und knapp am Ort des Geschehens vorbeifliegen soll, um direkte Aufnahmen vom Crash zu machen.

Hera schaut nach

Wie verändert sich der Orbit des Mondes? Zerbricht er durch den Aufprall? Jedes Detail könnte im Ernstfall über den Erfolg eines Ablenkungsversuchs entscheiden. Um das Ergebnis der Dart-Mission und die längerfristigen Auswirkungen noch detaillierter untersuchen zu können, wird der Doppelasteroid planmäßig in fünf Jahren erneut Besuch bekommen.

Dann soll die europäische Raumsonde Hera bei Dimorphos ankommen und Daten sammeln, etwa über den Einschlagskrater und die Zusammensetzung des Asteroidenmonds. "Wir wissen noch fast nichts über dieses Objekt", sagt Statler. "Dimorphos könnte ein Schutthaufen sein – ein Konglomerat aus lauter kleinen Steinchen, die nur lose zusammengehalten werden. Es könnte sich aber auch um einen einzigen Brocken handeln."

Hera ist ein Projekt der Europäischen Weltraumorganisation, zu der auch das österreichische Klimaschutzministerium finanzielle Beiträge leistet. Die solarbetriebene Sonde wird auch Technik aus Österreich an Bord haben: Das Unternehmen Beyond Gravity liefert die Elektronik für die Ausrichtungsmechanismen der Solarpaneele.

Anflug im Livestream

Nun muss aber erst einmal die Nasa-Sonde Dart ihr Ziel finden und treffen. In einen kosmischen Brocken zu rasen klingt einfacher, als es ist – vor allem in einer solchen Entfernung. Dass die genaue Form des Zielobjekts nicht bekannt ist und das Navigationssystem voraussichtlich erst eine Stunde vor dem Aufprall zwischen Dimorphos und Didymos unterscheiden können wird, macht die Sache nicht leichter.

Die Nasa-Projektmanagerin Andrea Riley ist zuversichtlich. "Aber selbst wenn wir nicht treffen, werden wir viele Daten sammeln können. Deswegen machen wir den Test jetzt und nicht erst dann, wenn es ein wirkliches Problem gibt."

Mitfiebern lässt sich in der heiklen Phase übrigens auf der Nasa-Website, wo die Aufnahmen der Sonde beim Anflug auf den Asteroiden in der Nacht auf den 27. September live gesendet werden. Wenn die Verbindung um Viertel nach eins abreißt, wäre das ein gutes Zeichen. (David Rennert, 21.9.2022)