Die Jungen wüssten gar nicht, wie gut sie es haben, es mangle an Wertschätzung für die Errungenschaften ihrer Vorgängerinnen. Diese Generation hingegen sei in altmodischen Denkmustern verhaftet, lautet der Gegenvorwurf. In den letzten Jahren scheint die Frauenbewegung neben dem Ziel, mehr Gleichberechtigung zu schaffen, zunehmend mit internen Differenzen beschäftigt zu sein. Plakative Beispiele wie Transidentität oder Verschleierung suggerieren Konflikte. Aber sind sich Jung und Alt wirklich so uneinig, wie die hitzigen Debatten auf Social Media nahelegen?

Wir haben ein Format gewählt, bei dem die Wogen nicht so schnell hochgehen, und zwei Expertinnen zum feministischen Briefwechsel eingeladen. Die mehrfach prämierte Schriftstellerin Marlene Streeruwitz engagiert sich mit ihrem literarischen Schaffen seit Jahrzehnten für feministische Themen. Vanessa Spanbauer gehört zu der jungen Generation im Feminismus. Die Journalistin und Historikerin beschäftigt sich unter anderem mit österreichischer Zeitgeschichte und Rassismus. Über den Sommer hinweg haben sich die beiden über gesellschaftliche Veränderungen, diskriminierte Gruppen und das Patriarchat ausgetauscht.

SPANBAUER: Feministische Magazine, Social-Media-Accounts mit feministischem Content und Frauen, die öffentlich für ihre Rechte eintreten, machen die Vernetzung zwischen Personen, die an diesen Themen interessiert sind, einfacher als je zuvor. Das war ja nicht immer so. Wie sind Sie zum Feminismus gekommen?

Vanessa Spanbauer
Fotos: Lukas Friesenbichler, Tobias Burger

STREERUWITZ: In den 60er-Jahren des 20. Jahrhunderts gab es gar keine andere Möglichkeit. Kurze Zeit gab es da sogar eine Art Konsens unter den Frauen, dass der Hausvater wegmuss. Mein Ehemann damals hat unterschreiben müssen, ob ich arbeiten, auf die Uni gehen oder einen Pass bekommen darf. Der Ehemann war zwischen den Staat und die Frauen geschaltet. Mit der Familienrechtsreform waren die Frauen dann erst wirklich zu ihrem Wahlrecht als selbstrechtsfähige Personen gekommen. Es war Kampf damals. Ich habe mit einer eigenen Frauenliste auf der ÖH Uni Wien kandidiert, weil keine Frauen aufgestellt worden waren. Dieser Kampf wurde auf vielen Ebenen geführt und war verbindend. Mit der Familienrechtsreform ist diese Solidarität dann schnell gegen Parteiinteressen aufgegeben worden.

Marlene Streeruwitz
Foto: Marija Kanizaj

In den 60ern und 70ern eine Feministin zu sein, das war bis zur Familienrechtsreform 1975 fast selbstverständlich. Die Enttäuschung kam ja erst danach, als sich herausstellte, dass es eine kulturelle Frage war, wie Gleichberechtigtheit nicht gegeben wurde. Wir waren also rechtlich gleichgestellt und kulturell weiterhin der Unterdrückung ausgesetzt. Ja. Diese kulturelle Benachteiligung wurde mithilfe der neuen Gesetze betrieben. Das hat mich erst wirklich zur Feministin gemacht.

Meine Frage ist daher, wie Sie zu Ihrem Protest gekommen sind. Es kann ja behauptet werden, es sei "alles" erledigt und es sei nun die Sache der Frauen, das Beste aus den Umständen zu machen.

SPANBAUER: Ich scherze oft, dass mir der Feminismus schon in die Wiege gelegt wurde. Ich wuchs als Tochter einer alleinerziehenden Mutter auf, die Vollzeit arbeiten musste, um uns den Lebensunterhalt zu verdienen. Ich konnte von klein auf beobachten, wie viele Menschen es als Makel gesehen haben, wenn eine Frau nicht verheiratet ist. Die patriarchalen Strukturen in der österreichischen Gesellschaft waren mir früh klar, auch wenn ich sie noch nicht als solche benennen konnte. Als ich älter wurde, wurde mir ebenfalls vermittelt, dass Bildung nicht für Frauen vorgesehen ist, weil die eh heiraten, Kinder bekommen und Teilzeit arbeiten. Ich bin die erste und einzige Person in meiner Familie, die studiert hat. Ich empfand dieses eingeschränkte Frauenbild als für mich unpassend.

Ich habe dadurch schon früh verstanden, dass es mehrere Ebenen gibt: die gesetzliche Lage, was Frauen dürfen, und die gesellschaftliche, was Frauen sollen. Das gesellschaftlich geprägte und oft tief verankerte "Sollen" ist ein Aspekt, welcher sich auf die realen Möglichkeiten von Frauen auswirkt. Mir ging dieses "Sollen" einfach schon immer auf die Nerven.

Welche konkreten Erfolge/Veränderungen sehen Sie durch die früheren feministischen Kämpfe? Oder sehen Sie auch Dinge, die sich gesellschaftlich noch nicht sonderlich verändert haben (und für die schon damals gekämpft wurde)?

STREERUWITZ: Ich kann Veränderungen sehen. Verbesserungen nicht. Rückschritte sind an der Tagesordnung. Und in einer Mediensituation, in der nur Neues gilt, wird dann die Wiederholung der Argumente als langweilig und gestrig darstellbar. Die Strategien des Patriarchats funktionieren immer. Es war eben nie eine wirkliche Demokratie vorgesehen, und die Frauen werden je nach Kultur mit Scheineroberungen abgefunden. Und damit sind wir beim Kern der Sache angelangt.

Dem Patriarchat geht es um die Erhaltung der Macht, und dafür werden alle Schachzüge schamlos eingesetzt. Eben jetzt wird uns wieder einmal vorgeführt, wie Macht in Gewalt umschlagen kann. Mit dem Krieg in der Ukraine. Alle Minderheiten sind darauf angewiesen, die Gleichwertigkeit zugestanden zu bekommen. Wie Ihre Erfahrungen erzählen, findet das in den einzelnen Leben nicht statt. Die Erpressung der Frauen über das Leben selbst geht weiter. Krieg ist unverhülltes Patriarchat mit allen Konsequenzen an Überwältigungen. Da hilft es nichts, dass über Scharfschützinnen Fotoserien veröffentlicht werden. Es wird über die Leben verfügt, und die Frauen dürfen weinen. Mitsprache haben sie nicht. Ich bin es leid, die Versäumnisse der 1980er-Jahre jetzt ausleben zu müssen. Ich möchte ein Tribunal gegen alle, die damals den Weg der sozialen Revolution verlassen haben und uns die Neoliberalisierung eingebrockt haben.

SPANBAUER: Ich glaube, dass viele Veränderungen passiert sind. Die Arbeit von den vorangegangenen Generationen hat etwas gebracht. Aber viele junge Feminist:innen sehen, dass es einfach zu wenig ist. Wir leben in keiner Welt, in der das Patriarchat nicht mehr existiert. Es nützt zu vielen Menschen immer noch zu viel, die Strukturen aufrechtzuerhalten. Ich nehme an, dass wir beide zusammengebracht worden sind, um zu besprechen, was viele Feminist:innen in der heutigen Zeit sehen und fordern. Weil wir sehen, dass zu wenig passiert ist, fordern wir mehr – mehr Veränderung. Wir sehen, dass das Patriarchat aufrechterhalten wird. Aber nicht nur das. Auch andere Unterdrückungssysteme wie Rassismus, Klassismus, Homofeindlichkeit, Transfeindlichkeit und Ableismus (Diskriminierung von Menschen mit Behinderung, Anm.). Diese Unterdrückungssysteme funktionieren oft gemeinsam. Es geht darum, bestimmte Gruppen klein zu halten, damit eine bestimmte Gruppe – der weiße Mann, der das neoliberale System stützt – on top bleiben kann. Deshalb werden Stimmen zu einem intersektionalen Feminismus (Ansatz, der überlappende Diskriminierungskategorien beachtet, Anm.) immer lauter. Ich denke, dass in früheren Kämpfen viele andere diskriminierende Systeme nicht so beachtet wurden.

Das ist in der heutigen Zeit auch einfacher, weil wir über das Internet und Social Media viel mehr Vernetzung sehen können und viele Menschen einfordern, eine Stimme zu haben. Feminismus ist nicht dafür da, jetzt die weiße Frau, die das neoliberale System stützt, an die Stelle des Mannes zu setzen und alle anderen Systeme beizubehalten. Es geht darum, dass alle Systeme problematisch sind und wir für eine Gesellschaft kämpfen wollen, in der alle Personen leben können, ohne aufgrund ihres So-Seins diskriminiert und benachteiligt zu werden. Oft wird versucht, daraus zu konstruieren, dass viele junge Feminist:innen grundsätzlich ein Problem mit der feministischen Arbeit haben, die vor ihnen kam. Das sehe ich nicht so. Ich glaube nur, dass sie heute einfach nicht mehr zeitgemäß ist und sie sich vielen anderen Unterdrückungssystemen nicht genügend gestellt hat.

STREERUWITZ: Ich stimme Ihnen vollen Herzens zu. Die Einteilung in Männer und Frauen der 1960er-Jahre ist mittlerweile aufgelöst und stimmt einfach nicht mehr. Ich teile die Welt in den Kosmos der Pflege und den Kosmos des Öffentlichen ein. In der Beherrschung und Benachteiligung des Kosmos der Pflege, in dem unser aller Leben stattfindet, durch den Kosmos des Öffentlichen, des Staats, der Politik und der Wirtschaft beschreiben sich die unveränderten Machtverhältnisse in den heute veränderten Umständen. In dieser Konstellation kann ich die Ungerechtigkeiten klar beschreiben. Aber nehmen wir an, eine Frau hat in den 1980er-Jahren ihren Beruf nach der Kinderbetreuung nun auch noch für die Pflege der Eltern aufgegeben. Sie fällt heute in die statistische Kategorie der Frauen, die nur 48 Prozent an Pension im Vergleich zu Männern in Österreich bekommen. Die damalige Situation wirkt sich auf jeden Augenblick des Lebens dieser Frau heute aus. Die Ungerechtigkeiten sind täglich zu lebende Realität. Das möchte ich nicht aus den Augen verlieren.

Jedoch. Mit der Öffnung des Ostblocks ist diese Frau durch billige Arbeitskräfte in der Pflege ersetzt worden, deren Arbeitsbedingungen weiterhin der entwürdigenden Vorstellung von Gastarbeit folgen, bei der die Person nur zur Arbeit hierherkommen und schlecht bezahlt wieder verschwinden soll. Solche Verkreuzung der Umstände lässt sich an der Änderung des Begriffs "Liebesarbeit" zu "Care-Arbeit" ablesen. Die Ausbeutungsstrukturen sind verschoben, und es ist darauf zu reagieren. Im Übrigen sehe ich vollkommene Übereinstimmung feministischer Generationen bei den alle Jahre wieder notwendigen Demonstrationen gegen Abtreibungsgegnerschaft. Letzthin zum Beispiel bin ich von der Demonstration vor der US-amerikanischen Botschaft in Wien gegen die Entscheidung des obersten US-Gerichts, Roe v. Wade aufzuheben, mit dem glücklichen Gedanken weggegangen, dass diese Frage in sehr guten Händen ist. (RONDO, Briefwechsel: Vanessa Spanbauer, Marlene Streeruwitz, 7.10.2022)