Es ist eine lebendige Ecke Wiens, hier in der Praterstraße, ein Stück weit, bevor sie einen Knick Richtung Donaukanal und Urania formt. Die Blechschlange rollt vierspurig, Touristen ziehen Rollkoffer hinter sich her und achten darauf, nicht mit E-Scootern zu kollidieren. Es gibt einen Friseur, diverse Lokale, ein Reisebüro, einen Blumenladen mit üppig floraler Ware vor dem Geschäft und einen Eissalon, dessen junger Kellner äußerst freundlich seine Kundschaft grüßt.

Petar Petrov in seiner Wohnung in der Praterstraße.
Foto: Katharina Gossow

Hoch über dem Treiben wohnt und arbeitet der international erfolgreiche Modedesigner Petar Petrov in einem stattlichen, für die innerstädtische Lage erstaunlich frei stehenden Haus. Auch zwei namhafte österreichische Architekten sind in dem markanten Gebäude untergebracht. Erbaut wurde es 1896, der Planer hieß Ludwig Tischler. Zuvor, nämlich am 25. September 1814, wurden an dieser Stelle nach der Völkerschlacht bei Leipzig "die hohen 3 Alliirten" vom Wiener Bürgermeister begrüßt. Das verrät die Inschrift einer Marmortafel im Eingangsbereich. Über einer Tür gegenüber prangt die Aufschrift "Portier", doch ein solcher dürfte hier schon länger nicht mehr gesehen worden sein.

Im Studio

Nachdem der Lift den Besucher im vierten Stock aussteigen lässt, wird dieser einer offenen Tür gewahr. Durch sie hindurch geht es in das Studio des Modedesigners, in dem sich ganz wunderbar ein schönes Stück internationale Modewelt schnüffeln lässt. Da wären der Empfangsraum, ein Showroom mit ausgewählten, minimalistisch wirkenden Teilen des Designers, eine Werkstatt mit Nähmaschinen, ein Archiv, die Schneiderei, ein Büro sowie ein beeindruckendes Lager mit unzähligen Kleidungsstücken, die sich von insgesamt elf Angestellten über eine Tracking-App lokalisieren lassen. Erstaunlich.

Zehn bis zwölf Stunden werde hier täglich auf 250 Quadratmetern gearbeitet, erzählen Petar Petrov und sein Lebens- und Geschäftspartner Christoph Pirnbacher. "Und das gerne", setzen sie nach. Die Aussicht aus den Fenstern ihres Arbeitszimmers lässt viel Himmel sehen. In nicht allzu weiter Ferne blitzt die goldene Spitze des Stephansdoms im Sonnenlicht. Die beiden mögen diese Ecke Wiens, sie sei weitläufig und brächte eine gute Mischung von schrullig bis Hipster hervor.

Vom Schlafzimmer der hellen Wohnung im vierten Stock sieht man ins Lesezimmer, ins Ess- und bis ins Wohnzimmer. Durchblick ist den Bewohnern wichtig. Türen sind Mangelware.
Foto: Katharina Gossow

Früher war in einem Teil des Studios auch die Wohnung der beiden untergebracht, ehe sie auf demselben Stock, zwei Türen weiter, fündig wurden. 2020, mitten im ersten Lockdown, übersiedelten sie in eine 150 Quadratmeter große Mietwohnung und okkupieren somit beinahe das gesamte Stockwerk.

Zum Leben und Wohnen

Die großzügige Bleibe beeindruckt den Besucher bereits beim Betreten. Repräsentativ ja, aber alles andere als protzig oder gar übertrieben. Für Hochglanzmagazine tauglich, aber auch zum Leben und Wohnen, wo auch immer die Trennlinie zwischen diesen Dingen verlaufen mag. Das Wohnzimmer, ein Esszimmer, ein Leseraum mit beachtlich hohen Stapeln aus Zeitschriften und einer mit Kuhfell überzogenen Le-Corbusier-Liege sowie das Schlafzimmer liegen in einer Linie aufgefädelt. Luftige Durchgangszimmer mit Stuckrosetten am Plafond. Dem Blick ist es möglich, durch alle Räume zu schweifen. "Ich wollte einfach keine toten Ecken", erklärt der Modemacher die Entscheidung zur Offenheit. Türen hat er ganz bewusst zur Mangelware erklärt.

Eine Küche wie frisch aus dem Ei gepellt. Auf der verspiegelten Durchreiche lässt sich kein Fingertapser finden.
Foto: Katharina Gossow

Vom Schlafzimmer aus blickt man auf den aufwendigen Ausbau eines Dachgeschoßes im Haus gegenüber. Arbeiter wuseln, Sägen kreischen. "Fernsehen, einmal anders," kommentiert Petrov die Aussicht, während aus dem Radio die Klänge einer Oper zu hören sind. Pirnbacher ist wieder zur Arbeit gegangen, drüben ins Studio.

Alles wirkt warm, offen und hell. Parallel zu den Räumen liegt der Flur, ein kleines Badezimmer, ein begehbarer Schrank, der eines renommierten Modedesigners absolut würdig ist, und eine sehr offen wirkende Küche. Mit ihrer Durchreiche samt verspiegelter Oberfläche fungiert diese auch als Bar. Die Küche erscheint in ihren warmen Farben, mit ihrem Eichenholz und dem gesprenkelten Naturstein als ein einziges Schmuckkästchen.

Das jadefarbene Geschirr in der Vitrine hat Petar Petrov über Jahre zusammengesammelt.

Foto: Katharina Gossow

Fettflecken, Kochkramuri und Zwiebelgeruch dürften hier selten zu Gast sein, auch wenn Petrov erzählt, bis zu zehn Personen zu bekochen. Dann und wann. Ein besonderes Highlight in der Küche zeigt sich in Form eines Glasschranks, der bis obenhin mit grünlich schimmerndem Geschirr befüllt ist. In Reih und Glied präsentieren sich Schalen, Teller und Tassen. Petrov hat sie über die Jahre zusammengesammelt. "Das Geschirr wurde von der Marke ‚Fire King‘ produziert und kam früher in amerikanischen Diners zum Einsatz. Das erste Geschirr, das spülmaschinenfest war", weiß der Designer. Dabei sieht es aus, als stamme es aus einer Sammlung fernöstlicher Keramik.

Aufgeräumt

Alles in diesem Hause wirkt perfekt sauber und aufgeräumt. Zweimal pro Woche käme eine Reinigungskraft. Wenn Gäste eingeladen sind, auch ein drittes Mal, sagt Petrov, der 1999 von Bulgarien nach Wien zog und an der Universität für angewandte Kunst unter anderem bei Viktor & Rolf und Raf Simons studierte.

Die vielen verschiedenen Objekte und Möbel im Zusammenspiel mit den Räumen wirken nur auf den ersten Blick repräsentativ inszeniert. Auf den zweiten gesellen sie sich durchdacht und ausprobiert zueinander. Petrov bezeichnet seine Art zu wohnen als eine eklektische, also eine, die aus einem gewachsenen Mix aus Stilen vieler Länder und Epochen besteht. Petrov steht auf Dinge, die nachhaltig rüberkommen, nicht nur in Sachen Lebensdauer, sondern auch in Sachen Stil und Machart. "Ich produziere keine Massenware, also will ich mich auch nicht damit umgeben", meint er mit ernster Miene.

Viel gibt es zwischen und an den Wänden zu sehen und manches zu bestaunen, zum Beispiel die mit Fell bezogenen Sessel aus der Feder des dänischen Architekten Philip Arctander, eine Lampe, die aus einer hölzernen Ananas, einem Straußenei und einem Lampenschirm aus Bastfäden zusammengesetzt wurde, was, so der Designer, eigentlich gar nicht zusammenpasse. Einlass wurde dem schrägen Ding dennoch gewährt.

Unweit des Tisches findet sich ein wahrlich prächtiger Ficus lyrata, zu deutsch Geigenfeige, in deren Topf ein Kleinkind baden könnte. Besonders hoch zieht der Besucher die Augenbrauen angesichts eines Barschranks aus der Feder von Aldo Tura. Seine Oberfläche besteht aus nicht wenigen Straußeneiern, dennoch ist sie völlig eben. So manches Objekt findet und fand Petrov auf Flohmärkten oder in Antiquitätengeschäften, auch im Ausland, zum Beispiel in Nizza.

Viel früher, als Petrov und Pirnbacher noch im 6. Bezirk zu Hause waren, stand der Modedesigner in erster Linie auf Dinge aus den 50ies, doch der "Oma-Style", wie er ihn nennt, interessiere ihn nicht mehr. Ebenso das Ultramoderne sei das seine nicht, es erscheine ihm oft als zu oberflächlich.

Ein Detail aus dem Schlafzimmer.

Foto: Katharina Gossow

Der Entwerfer sagt, er langweile sich schnell, deshalb sucht er immer nach neuen Inputs, tauscht Dinge aus, gibt sie weiter, stellt um, probiert, komponiert. Die kugelrunden Messingkugeln am großzügigen Esstisch hat er selbst angebracht, um diesen ein wenig zu aufzupimpen, auch wenn ihm dieses Wort wahrscheinlich nicht gefallen würde. Petrov wirkt, auch wenn es ums Wohnen geht, sehr ernst und gründlich.

Das Schlafgemach

Lediglich das Schlafgemach mit seiner großen Bettstatt erscheint im Vergleich zu den anderen Räumen reduzierter. "Ich will im Schlafzimmer nichts, das mich beschäftigt", sagt Petrov, der meint, prinzipiell immer zu arbeiten. Auch wenn er sich hier unweit des Studios befindet, dürfte sich der Modedesignerkopf zumindest im Standby-Modus befinden.

Ein Barschrank, dessen Oberfläche aus Straußeneiern besteht.
Foto: Katharina Gossow

Der Designer ist der Ansicht, dass, "seine Art zu wohnen etwas mit Geschichte und Geschichten zu tun haben soll". Er blickt auf eine große bauchige Vase, in der ein nicht gerade alltäglicher Blumenstrauß zurechtarrangiert wurde. "Sehen Sie sich diese Vase mit ihren roten, blauen und gelben Einsprenkelungen an. Sie stammt aus den 30er-Jahren, und ich überlege mir oft, wie die das damals gemacht haben."

Der Designer und eine üppig gedeihende Geigenfeige.
Foto: Katharina Gossow

Viel Kunst lässt sich ebenso an den Wänden der Wohnung studieren, obwohl sich Petrov nicht als Sammler bezeichnen würde. Auch im Fall der Kunstwerke ist ihm der persönliche Bezug von großer Wichtigkeit. "Ich kenne fast alle Künstler dieser Arbeiten."

Einen Zusammenhang zwischen Mode und Möbeln sowie Objekten des Alltags ortet der 1977 Geborene im Bedürfnis, sich mit Schönheit zu umgeben. Und die liege im Auge des Betrachters. "Jeder Mensch muss Kleidung tragen, und jeder muss wohnen. Und jeder Mensch muss selbst wissen, welchen Stellenwert er dem beimisst. Das sehe ich als demokratischen Zugang. Und der muss nicht zwangsweise mit Geld zu tun haben." Manche mögen derlei Themen als Lifestyle abtun. Nennen wir sie lieber die Beschäftigung mit dem Stil des Lebens. Klingt doch besser. Und reflektierter. (Michael Hausenblas, RONDO, 13.10.2022)