Sahra Wagenknechts Rede über die "dümmste Regierung in Europa" inklusive der Forderung nach einem Ende der Russland-Sanktionen sorgt für Aufruhr in ihrer eigenen Partei.

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Eigentlich ist das Muster bereits seit Jahren bekannt. Wenn Sahra Wagenknecht spricht, hören viele zu, und danach regen sich nicht wenige auf. Die prominente deutsche Linken-Politikerin polarisiert wie kaum eine andere in ihrer Partei.

Im Vorjahr hat das der Bundestagsabgeordneten sogar ein Parteiausschlussverfahren eingebracht. Ein Anlass dafür war ihr Buch "Die Selbstgerechten", in dem die 53-Jährige mit den "Lifestyle-Linken" in ihren eigenen Reihen, die sich nicht um die finanziell Schwächeren kümmern würden, abrechnete. Doch sie durfte dann doch in der Partei bleiben.

Nun herrscht neuer Ärger, es brodelt stärker als je zuvor. Stein des Anstoßes ist eine Rede, die Wagenknecht unlängst im Bundestag zum Thema Energie gehalten hat. In ihr griff sie die Bundesregierung scharf an und sagte: "Wir haben wirklich die dümmste Regierung in Europa. Das größte Problem ist ihre grandiose Idee, einen beispiellosen Wirtschaftskrieg gegen unseren wichtigsten Energielieferanten vom Zaun zu brechen." Dann forderte sie noch ein Ende der Sanktionen gegen Russland.

Entsetzen und Applaus

Es gab viel Applaus – allerdings nicht bei der Linken, sondern bei der AfD. In den eigenen Reihen herrschte Entsetzen, gepaart mit dem Hinweis, dass dies nicht Parteimeinung sei. "Es gibt keinen Wirtschaftskrieg gegen Russland. Russland führt Krieg gegen die Ukraine", twitterte der frühere Parteichef Bernd Riexinger.

Viele andere allerdings wollten es nicht mit einer Erwiderung belassen. Henriette Quade, Katharina König-Preuss und Jule Nagel, drei ostdeutsche Landtagsabgeordnete, fordern erneut zum Parteiausschluss Wagenknechts auf – ihr Aufruf hat den Titel "Es reicht!". Zwei prominente Linke haben die Partei verlassen: der Finanzexperte und frühere Bundestagsabgeordnete Fabio de Masi sowie Ulrich Schneider, der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

Kompromiss geschlossen

Acht Mitglieder der Fraktion haben einen Antrag vorbereitet, in dem die Fraktionsspitze aufgefordert wird sicherzustellen, dass Wagenknecht künftig solche Reden nicht mehr im Bundestag halten darf. Ein generelles Redeverbot allerdings fordern sie nicht. Vielmehr solle "die Redezeit der Fraktion für die Vertretung der gemeinsam beschlossenen Positionen genutzt werden". Das geht vor allem gegen die Fraktionschefs Dietmar Bartsch und Amira Mohamed Ali, die Wagenknecht sprechen ließen.

Bei der Fraktionssitzung am Dienstagabend wurde der Richtungsstreit dann vorerst entschärft. Der besagte Antrag der acht Mitglieder, der Wagenknecht namentlich nannte, wurde zurückgezogen. Die Fraktionsspitze konterte mit einem Kompromissvorschlag, der einige Formulierungen aufgreift, der aber Wagenknecht nicht mehr nennt. Damit zeigte sich letztlich eine Mehrheit zufrieden. Riexinger, einer der acht Antragsteller, sagte der Deutschen Presse-Agentur, man habe "eine ganz gute Grundlage für die Fraktionsarbeit gefunden". Er fügte aber hinzu: "Das muss jetzt erst mal von allen gelebt werden."

Es ist nicht das erste Mal, dass Wagenknecht aneckt. Auch ihre Impfskepsis und ihre Warnung vor zu viel Zuwanderung stießen vielen Genossen sauer auf – nach dem Motto: "Das sind AfD-Positionen."

Doch völlig isoliert ist Wagenknecht nicht. Sie hat in der Fraktion Unterstützung, bekommt diese auch aus ihrem Landesverband Nordrhein-Westfalen und mittels einer Online-Petition. Diese bezieht sich auf ihren Auftritt im Bundestag, heißt "Ich finde die Rede von Sahra Wagenknecht gut" und hatte am Dienstag mehr als 11.500 Unterstützerinnen und Unterstützer.

Korte: "Niederträchtige Angriffe"

Vor der Fraktionssitzung wurde gemunkelt, dass Wagenknecht und ihre Getreuen die Fraktion im Bundestag verlassen wollen, von "Spaltung" war die Rede. Würden drei oder mehr der 39 Abgeordneten gehen, verlöre die Linke ihren Fraktionsstatus, politischen Einfluss und Geld.

"Ich appelliere an alle zu bleiben, aber wer Fraktion oder Partei verlassen möchte, soll das jetzt tun", sagt der parlamentarische Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Jan Korte, vor der Fraktionssitzung. Die "niederträchtigen Angriffe" müssten aufhören. Korte: "Während wir ein Theaterstück aufführen, sorgen sich die Menschen in diesem Land darum, wie sie künftig die Energierechnungen begleichen oder ihren Einkauf bezahlen sollen. Für diese Leute müssen sich unsere Diskussionen in den letzten Tagen anfühlen wie ein Arschtritt."

Trotz der aktuell schwierigen wirtschaftlichen Lage für viele Menschen in Deutschland liegt die Linkspartei derzeit in Umfragen nur bei fünf Prozent. (Birgit Baumann aus Berlin, 20.9.2022)