The pandemic is over", verkündete US-Präsident Joe Biden in einem am Sonntag ausgestrahlten Fernsehinterview. Corona sei zwar weiterhin "ein Problem", die Pandemie aber sei vorbei. Schließlich würde im TV-Studio niemand eine Maske tragen: "Ein perfektes Beispiel dafür." Auch in Österreich breitet sich diese Meinung aus, Maßnahmen gibt es kaum noch.

Und zum Teil stimmt das: Durch viele Impfungen und Infektionen ist in der Gesellschaft ein breiter Immunschutz entstanden; immer weniger Menschen erkranken schwer an Corona oder sterben an den Folgen einer Infektion. Blickt man also nur auf die Entwicklung der Hospitalisierungs- und Sterberaten in den letzten zwei Jahren, könnte man tatsächlich meinen, die Pandemie sei überstanden. Trotzdem setzen Aussagen wie diese ein falsches Signal.

Ein Virus kann immer überraschen.
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Nach zweieinhalb Jahren Lockdowns, Lockerungen und dann doch wieder Lockdowns, Empfehlungen und wieder zurückgezogenen Empfehlungen sollte mittlerweile klar geworden sein, wie wichtig wahrheitsgetreue und präzise Kommunikation ist, damit Menschen notwendige Maßnahmen mittragen – und die könnten wir irgendwann wieder vermehrt brauchen, warnen Fachleute. Ein Virus kann immer überraschen.

Statt vom Pandemieende zu sprechen, brauchen wir neue Parameter, an denen wir das Infektionsgeschehen messen. Ja, die Zahl der Corona-Toten sei die niedrigste seit März 2020, sagte WHO-Chef Tedros Ghebreyesus vor kurzem. Aber es sind längst nicht mehr nur die Hospitalisierungen und Todesfälle entscheidend. Diese Kennzahlen waren angebracht, als die Impfung bei früheren Varianten noch besser vor Ansteckung geschützt hat.

Variantenwechsel

Mittlerweile ist die Situation eine andere. Der Schutz vor Ansteckung hat sich durch zahlreiche Variantenwechsel drastisch verkürzt. Das heißt: Es erkranken zwar immer weniger Menschen schwer, gleichzeitig stecken sich aber immer mehr Menschen in kürzeren Abständen an. Fallen viele Leute gleichzeitig aus dem Arbeitsprozess aus, kann das für die Infrastruktur genauso kritisch sein wie eine hohe Spitalsbelegung. Ob man das nun Pandemie nennt oder nicht, ist letztlich egal. Die Herausforderungen bleiben real.

Ein politischer Ausstieg aus dem Thema ist nicht das epidemiologische Ende der Pandemie. Statt hoffnungsvoller Phrasen bräuchte es fundierte Prognosen, die zeigen, wann tatsächlich mit einem Pandemieende zu rechnen ist. Aus wissenschaftlicher Sicht lassen sich aber keine Vorhersagen treffen, die erhobenen Zahlen sind zu schlecht für zuverlässige Modellrechnungen – auch was Folgeerkrankungen angeht.

Was man weiß: Die Zahlen werden im Herbst und Winter wieder ansteigen. Jeder positive Test bedeutet auch das Risiko, in ein langfristiges Krankheitsbild wie Long Covid zu schlittern. Solange es keine Strategie für den Umgang mit den vielen krankheitsbedingten Ausfällen oder mit Spätfolgen gibt, sollte man eine Pandemie nicht für beendet erklären, nur um kurzfristig für gute Stimmung in der Bevölkerung zu sorgen.

Das ist eine Verhöhnung der unzähligen Menschen, die mit Long Covid und ohne Aussicht auf entsprechende Behandlung seit Monaten zu Hause sitzen. Wir wünschen uns alle, dass Biden recht hat, aber trügerische Hoffnungen bringen niemandem etwas, wenn sie sich am Ende nicht bewahrheiten. (Magdalena Pötsch, 21.9.2022)