Jean-Luc Mélenchon gerät unter Druck.

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Eine Ohrfeige schallt durch die französische Politik. Ihr Urheber ist Adrien Quatennens, die faktische Nummer zwei von La France insoumise (LFI), zu Deutsch: Unbeugsames Frankreich. Der 32-jährige Abgeordnete mit dem roten Haarschopf als Markenzeichen hat am Sonntag eingeräumt, er habe seine Frau geschlagen. Das Paar habe sich zerstritten und stecke in einer schwierigen Scheidung. "Inmitten extremer Spannung und gegenseitiger Aggressivität habe ich ihr eine Ohrfeige gegeben", bekannte Quatennens.

Der Abgeordnete aus Nordfrankreich reagierte auf eine Enthüllung des Wochenmagazins Le Canard enchaîné, der zufolge die Ehefrau das Geschehene bei der Polizei protokolliert hatte. Sie wollte den Fall an sich nicht publik machen und reichte auch nicht formell Anzeige ein. Die Staatsanwaltschaft hat dennoch Ermittlungen aufgenommen. Quatennens legte seine Funktion als Koordinator des linken Parteienverbundes Nupes nieder. Nupes besteht aus LFI, den Sozialisten, Kommunisten und Grünen, wobei LFI über ihren Vorsteher Jean-Luc Mélenchon klar den Ton angibt.

Für Aufsehen sorgt die Affäre, weil sich die "Unbeugsamen" mit Feministinnen wie Clémentine Autain mehr als andere Parteien für die Rechte der Frauen einsetzen. Der Fall Quatennens ist nun aber schon der dritte in Serie. Im Mai hatte sich LFI-Kandidat Taha Bouhafs aus dem Parlamentsrennen zurückgezogen. Er begründete dies zuerst mit rassistischen Attacken gegen ihn, doch dann musste LFI zugeben, dass gegen Bouhafs "angebliche Fälle sexueller Gewalt" aktenkundig seien. Mehr will die Partei dazu nicht sagen.

"Flirt"

Im Juli wurde dann der LFI-Abgeordnete Éric Coquerel (63) von der bekannten Linksaktivistin Sophie Tissier der sexuellen Belästigung bezichtigt. Gegen ihn ermittelt die Justiz nun nicht nur wegen Belästigung, sondern auch wegen sexueller Gewalt. Coquerel spricht von einem bloßen "Flirt". Trotz des Justizverfahrens leitet er weiter den Finanzausschuss der Nationalversammlung, die wichtigste Parlamentskommission Frankreichs.

Dass Coquerel wie auch Quatennens einen Teil ihrer Parteiämter behalten, obwohl Frauen der eigenen Partei ihren kompletten Rücktritt verlangen, verdanken sie Mélenchon. Er verteidigte sie und lobte ihre "Würde". Quatennens, so führte er aus, sei ein Opfer von "polizeilicher Bösartigkeit, medialem Voyeurismus und der sozialen Medien".

Zahlreiche Nupes-Politikerinnen warfen dem LFI-Chef daraufhin vor, er habe "kein Wort für das Opfer" der häuslichen Gewalt durch den Abgeordneten gefunden. Erst jetzt reichte Mélenchon nach, eine Ohrfeige sei "inakzeptabel."

Verhalten "katastrophal"

Auch die Zeitung Le Monde kommentierte, eine solche Haltung sei "untragbar für eine politische Familie, die sich an der Spitze der Verteidigung der Frauenrechte wähnt". Ein LFI-Vertreter meinte sogar anonym, das Verhalten der Parteispitze sei "katastrophal". Quatennens galt bisher als möglicher Nachfolger Mélenchons, der seinen Rückzug in Aussicht gestellt hat. Bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen dieses Frühjahrs war der 71-jährige LFI-Chef die prägende Figur gewesen. Die diversen Affären schwächen seine Partei, die gerade daran war, gegen die Sozialreformen von Präsident Emmanuel Macron zu mobilisieren.

Am Dienstag haben Frauenrechtlerinnen in Paris gleich zwei neue, noch eher nebulöse Fälle publik gemacht. Der von den Grünen und Kommunisten zu LFI gekommene Parteiführer Thomas Portes soll Frauen via SMS sexuell belästigt haben. Politisch noch gewichtiger, wird Grünen-Chef Julien Bayou – einem der Architekten der Nupes-Allianz – vorgehalten, er habe seiner früheren Partnerin so schwer zugesetzt, dass sie einen Selbstmordversuch unternommen habe. (Stefan Brändle aus Paris, 20.9.2022)