Der imposante Sitzungssaal der ORF-Gremien, hier tagt gerade der Publikumsrat.

Foto: ORF / Thomas Ramstorfer

Wien – Die parallele Tätigkeit von Petra Stolba als ORF-Stiftungsrätin und Kabinettschefin des Ersten Vizepräsidenten des Europäischen Parlaments, Othmar Karas (ÖVP), ist "auf jeden Fall gesetzlich zulässig", sagt Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer. Die Opposition ortete in der Vorwoche eine Gesetzeslücke. Lehofer kommt zum selben Schluss. Es wurde wohl auf EU-Kabinettsmitarbeiter vergessen, was aber nicht das größte Problem des ORF-Stiftungsrats sei.

"Wohl vergessen"

2001 wurden u. a. Mitglieder der allgemeinen Vertretungskörper – Gemeinderat, Landtag, Nationalrat – von einer Tätigkeit im ORF-Stiftungsrat per Gesetz ausgenommen. "Auf das Europäische Parlament dürfte damals vergessen worden sein. 2010 wurde es ergänzt, jedoch sind die Kabinettsmitarbeiter von Europäischen Parlamentariern nicht wie auf nationaler Ebene berücksichtigt worden", erklärt Lehofer. Keinen Hinweis gebe es, warum dem so ist. "Ich gehe von keiner strategischen Überlegung aus. Es wurde wohl darauf vergessen", sagte der Rundfunkrechtler.

Die Bestimmungen im ORF-Gesetz zur Unvereinbarkeit mancher Funktionen mit einer Tätigkeit als ORF-Stiftungsrat dienen der verfassungsgesetzlich vorgesehenen Unabhängigkeit des Rundfunks. "Die konkrete Abgrenzung ist schwer anhand bestimmter Funktionen zu treffen. Manche Leute haben großen politischen Einfluss, obwohl sie keine politische Funktion ausüben", sagt Lehofer.

"Nicht das größte Problem des Stiftungsrats"

Inwieweit Stolbas Tätigkeit im EU-Parlament administrativer und nicht politischer Natur sei – wie sie selbst erklärte –, könne er nicht beurteilen. Aber auch in Österreich ist es grundsätzlich möglich, dass Parlamentsmitarbeiter für den Stiftungsrat infrage kommen. "Wenn jemand zum Beispiel im Legislativdienst des Parlaments tätig ist, dürfte er ORF-Stiftungsratmitglied werden."

Genügt Bestellvorgang Unabhängigkeitsansprüchen?

Die Lücke in Hinblick auf EU-Kabinettsmitglieder könne nicht durch Interpretation auf Basis des geltenden Gesetzes geschlossen werden. "Man müsste rechtspolitisch überlegen, ob man EU-Kabinette gleichstellt. Ich halte das aber nicht für das größte Problem des Stiftungsrats. Die Frage ist, ob die Bestellungsform des Stiftungs- und Publikumsrats den Unabhängigkeitsansprüchen genügt", so Lehofer. Denn die Nähe mancher Mitglieder des ORF-Stiftungsrats zu politischen Parteien sei evident. Dennoch liege formal kein Ausschlussgrund vor.

Wie ließe sich der Bestellmechanismus adaptieren, um der Unabhängigkeit des ORF gerecht zu werden? "Eine einfache Lösung gibt es sicher nicht. Man hat in Österreich probiert, durch Aufzählung von Funktionen, den Ausschluss zu schaffen und die Unabhängigkeit abzusichern. Ich halte das für unzureichend", sagte der Rundfunkexperte.

Kanzler oder Medienministerin entscheiden

Europaweit werden von öffentlich-rechtlichen Rundfunkunternehmen häufig Vorschläge von repräsentativen Einrichtungen der Zivilgesellschaft eingeholt. Dabei komme stets die Frage auf, wer die Einrichtungen sind und wer diese auswählt. "Hier wäre eine denkbare Variante, dass nicht nur die Ministerin einer Partei aus den Vorschlägen auswählt, sondern auch Personen aus Gremien, wo etwa mit Zweidrittelmehrheiten operiert wird", meinte Lehofer.

Besonders wichtig sei Transparenz und Nachvollziehbarkeit des Bestellvorgangs. "Die entscheidende Frage ist, wer wählt wen auf Basis welcher Kriterien aus." Dabei werden die Politik bzw. das Parlament als Repräsentant der Gesellschaft bei einem öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer mitspielen. "Man soll das auch gar nicht ausschließen, nur muss sichergestellt werden, dass erstens keine automatische 'Regierungsmehrheit' in den Gremien zustande kommt und dass zweitens Personen ausgewählt werden, die parteipolitische Loyalitäten in ihrer Gremientätigkeit hintanstellen", sagte er.

Verfassungsgerichtshof muss prüfen

Mit dem Bestellvorgang und der Besetzung der ORF-Gremien muss sich auch der Verfassungsgerichtshof (VfGH) befassen. Das Land Burgenland brachte im Juni eine Verfassungsbeschwerde gegen das ORF-Gesetz ein. Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) ortete "Grenzüberschreitungen", die verfassungsrechtlich bedenklich, vom ORF-Gesetz aber gedeckt seien.

Nach Doskozils Ansicht nach ermögliche das derzeitige Gesetz zu viel Einfluss der Regierung auf die Bestellung der Aufsichts- und Kontrollorgane des öffentlich-rechtlichen Medienhauses.

"Wir werden nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshof klüger sein. Er wird dazu konkret etwas sagen müssen, wenn die Beschwerde zulässig ist", sagte Lehofer, der keine Prognose für den möglichen Ausgang abgeben wollte.

Regierung verteidigt Bestellmodus von ORF-Gremien vor Verfassungsgericht

Die Bundesregierung ist zur Stellungnahme gegenüber dem Verfassungsgerichtshof aufgefordert. Sie verteidigt nach STANDARD-Infos die aktuelle Rechtslage, die Argumente im Normenkontrollantrag des Burgenlands gingen ins Leere.

Die Regierung soll gegenüber dem Höchstgericht argumentieren: Die Rechtslage für den ORF sei nicht vergleichbar mit jener des ZDF – dort limitierte das deutsche Verfassungsgericht 2014 den Anteil "staatsnaher" Gremienmitglieder auf ein Drittel. Beim ZDF hätten die Gremien Rechtsaufsicht, in Österreich die unabhängige Medienbehörde. Beim ZDF hätten die Gremien Einfluss auf die Programmgestaltung, in Österreich legten schon das ORF-Gesetz und Redaktionsstatut die inhaltliche Weisungsfreiheit der Redaktionen fest.

Weisungsfrei seien laut Gesetz auch die Mitglieder der ORF-Gremien, und die Regierung verweist auch auf das gesetzliche und umfassende Verbot aktiver und teils auch ehemaliger Politikerinnen und Politiker von den ORF-Gremien – das in Deutschland nur für einen Teil der Gremienmitglieder gelte.

Der Antrag des Burgenlands benenne zudem zu wenig konkret die behauptete Verfassungswidrigkeit der angefochtenen Paragrafen zur Bestellung der ORF-Gremien im Gesetz, soll die Bundesregierung argumentieren. (APA, fid, 21.9.2022)